Ende der Alternativen

Die neue Unübersichtlichkeit Von aufgeweichten Gegensätzen zu neuen Unterscheidungen

Wo man hinschaut, lösen sich die gewohnten Gegensätze auf, sei es der von Konservativen und Modernisierern, von neoliberal und altlinks, von bellizistisch und friedensbewegt. Die lautstärksten Befürworter der Modernisierung aller Lebensbereiche sind heute konservative Traditionalisten, linke Politik, wo sie zur Anwendung kommt, trägt stets neoliberale Züge und Frieden schafft man heutzutage nur noch mit Waffen. Wir befinden uns mitten im Zeitalter der neuen Unübersichtlichkeit, in der keineswegs erfolglose Politiker wie Lionel Jospin genauso abgewählt werden wie keineswegs unbeliebte - siehe Reinhard Höppner. Stramme Rechtsextreme geben sich währenddessen als Speerspitze der Antiglobalisierungsbewegung aus (Le Pen), was es Politikern mit einem Haufen Affären und unter schwerem Korruptionsverdacht wie Jacques Chirac ermöglicht, auf einmal als letzte, rettende Bastion vor Rassismus und Rechtsruck zu erscheinen. In Ungarn immerhin wurden die Sozialisten gewählt, aber auch das gehört eher zum Phänomen der neuen Orientierungswirren, als dass es dem widerspricht. Tun sich in Mittelosteuropa die linken Parteien doch meist dadurch hervor, noch marktorientierter zu sein als hierzulande die FDP. Die sich ihrerseits, siehe Sachsen-Anhalt und andere Wahlprognosen, eines Zuspruchs erfreut, als hätte sie Lösungen anzubieten. Da kann man fast froh sein, dass die Grünen dank ihrer Zustimmung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan ein solides Feindbild als Verräterpartei bereitstellen.

Es wäre eventuell alles halb so schlimm, wenn die Unübersichtlichkeit sich nur auf das Feld der großen Politik beschränken würde. Aber leider setzt sie sich bis ins Privatleben, ja bis ins Freizeitvergnügen fort. Das große Sparen bringt es an den Tag: Der Einzelne kommt bei uns vielleicht noch ganz gut über die Runden, als Gesellschaft aber stehen wir kurz vor der Pleite. Lediglich die vielbeklagte Trägheit der Strukturen bewahrt uns noch vor Insolvenz und endgültigem Ruin. Soziales Netz, gemeinnütziger Wohnungsbau, Kulturförderung - alles Dinge, die wir uns vielleicht früher, als die Mehrzahl noch ärmer war, leisten konnten, die jetzt aber, da jeder sozusagen sein eigenes Geld verdient und selbst für die Rente zuständig ist, zum unvertretbaren Luxus geworden sind.

Sparen muss sein, das leuchtet jedem ein. Am liebsten wird natürlich im Geldbeutel der anderen gespart. Hier hat sich denn wenigstens ein vertrauter Antagonismus erhalten: die "unten" würden zum Beispiel gerne die sechsstelligen Abfindungssummen für keinesfalls ehrenhaft Entlassene einsparen; die "oben" dagegen streichen bevorzugt die Ausgaben für die, die sowieso wenig und sich somit als ineffektiv erwiesen haben. Ein gemeinsames Feindbild haben beide: der aufgeblähte, unbewegliche, zur Verschwendung neigende Apparat, sei es der der öffentlichen Verwaltungen oder der der subventionierten Kulturinstitutionen. So einig man sich darüber ist, dass hier gespart werden sollte, und das womöglich sogar einen heilsam-innovativen Effekt auf die zu verwaltenden Interessen haben könnte, so fest steht doch auch, dass am Apparat zu sparen sich immer wieder als zu schwer herausstellt, um es sinnvoll zu tun. Hier stößt man auf einen weiteren Gegensatz, der sich immer deutlicher bemerkbar macht: den von draußen und drinnen.

Wer draußen steht - im Billiglohnland oder vor dem Arbeits- beziehungsweise Sozialamt - kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass es Gewerkschaften und Arbeitgebern gemeinsam vor allem um das eine geht: Besitzstandswahrung. Die "drinnen", in Lohn und Brot, dagegen wollen die über Jahrzehnte erkämpften Errungenschaften der geregelten Tarifverträge nicht zur Disposition stellen. Besonders in der Kultur werden sie dafür schief angesehen. Dort nämlich, wo im Gegensatz zur Verwaltung, die mit wenigen Ausnahmen doch ewig fortbestehen wird, die Existenz der Institutionen auf dem Spiel steht, stehen nun immer öfter "linke" Theatermacher auf den Positionen des Neoliberalismus mit seinen Leitlinien von "lean production" und totaler Flexibilisierung der Arbeitskräfte. Wobei noch auf eine wesentliche Unterscheidung beharrt wird: dies geschähe nicht zum Wohle eine Konzerns, sondern der Kunst.

Glanz und Misere liegen hier nah beieinander. Der Zwang zum Sparen vollbringt in der Kultur, was er in der freien Wirtschaft auch tut: Er legt strukturelle Fehlentwicklungen bloß. Nur dass in der freien Wirtschaft die sinnvollsten Sparmaßnahmen von Investitionen begleitet werden. In der Gesellschaft der Besitzstandswahrung hingegen wird immer mehr ausgegrenzt - gegen die Ausgegrenzten kann am leichtesten Ressentiment mobilisiert werden. Auf einmal kann es kommen wie in Frankreich: vor den Wahlen hieß es noch müde, es gäbe keine Unterschiede zwischen den Kandidaten; ganz vorbei mit Alternativen ist es aber erst danach.

U

ltimo

Bevor Connie Piep der Größenwahn heimsucht, hat sie sich schnell noch entschlossen, Ministerpräsidentin von Sachsen-Anhalt zu werden. Das war wirklich knapp. Tobi Westerwelle hatte ihr gerade einen Super-Duplo-Sperr-Riegel zwischen die kesse Zuckerschnute und das weitläufige Wangengebirge schieben wollen - da war es schon zu spät. Schweigen ist Gold und Reden ist Blech, sagt Connie, aber bei mir ist es umgekehrt. Connie kann sich nämlich auch vorstellen, nicht nach Magdeburg zu gehen und lieber in Berlin zu bleiben. Connie könnte ja auch KanzlerkandidatIN der neuen großliberalen 18+x-Partei werden und sich Lenchen Süßmuth-Demut als KulturbeauftragtIN ins Kabinett holen. Nachdem die nun die Machwerke der heimtückischen VerharmloserIN Dahn endlich gelesen hat und an Rosamunde Pilcher für den Luise-Schroeder-Preis 2003 festhält, geht das.

"Der Böhmer ist für mich nur als Hebamme reizvoll, wenn ich der FDP 18 Kinder gebären wollte, aber da ist noch nichts raus", wird Connie vom Frauenmagazin Kuschel-Sissi zitiert, "aber ich will und kann mehr für meine Partei tun". Da befiel Tobi außer chronischem Veitstanz noch ein Pawlowscher Reflex, und er ließ ein gefriergetrocknetes Lächeln auf die Oberlippe segeln. Die Geschwisterliebe zwischen Tobi und Connie stand mächtig auf der Kippe, denn Tobi will als Tobi Osterwelle im Osten selbst die 18+82 - Marke schaffen. Und zwar als Kanzlerkandidat. Irgendwas muss im Anhalter Wahlkampf schiefgelaufen sein, dachte Tobi und tätschelte liebevoll seine neuen Brioni- Schuhe mit der eingravierten Goldenen Achtzehn auf der Sohle (Können sich soziale Verantwortung und Gemeinsinn einer Volkspartei anmutiger zeigen als in diesem Gespür fürs Großgedruckte ganz unten?). "Kost die Ost - Guter Geschmack kennt keine Grenzen" hatte die FDP in Sachsen-Anhalt plakatiert. Alle Industriebrachen waren damit verklebt. Der Straße der Romanik wurde sogar Väterchen-liebt-Mädelchen-Romantik spendiert: Alle zehn Meter musste der pensionierte Große Zampano und Große Ohrensegler der Groß-Liberalen zur Großen Connie aufsehen und rufen "Sie kann es!" - "Sie kann es!" Hans-Dietrich schrie so laut und herzzerreißend, dass Connie anfing, selbst daran zu glauben. Aber sie wusste es besser und schrie zurück: "Ich kann mehr". Für Sachsen-Anhalt war eine Große

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