Hörensagen

linksbündig Die geplante RAF-Ausstellung in Berlin erhitzt die Gemüter

Jeder kennt das vom heimischen Küchentisch: Am schönsten sind die Debatten, bei denen man gar nicht genau weiß, worum es geht. Die Unschärfe verleiht der Argumentationsphantasie erst so richtig Flügel. Kenntnisse des Hörensagens sind leichter in Anschlag zu bringen als widerlegbares Quellenwissen. Überhaupt ist es spannender, drauf los zu debattieren, wenn das Thema, um das es gehen soll, noch nicht richtig eingegrenzt ist. Und letztlich müssen selbst diejenigen zugeben, die in solche Diskussionen gerne durch strenge Einwürfe im Stil von "Worum geht es hier überhaupt?" eingreifen, dass das Debattieren im Ungefähren letztlich eine sehr produktive Form der Unterhaltung ist: Beobachtungen vom Rande können ins Zentrum rücken und die Richtung des Denkens verändern.

Um was es eigentlich geht? Um eine Ausstellung, die es noch gar nicht gibt. Die erst 2004 in den Berliner Kunst-Werken eröffnet werden soll. Was nun die Runde machte, waren verschiedene Arbeitstitel der Ausstellung - unter anderem Mythos RAF - und vor allem ein ominöses, inzwischen wohl verworfenes Konzeptpapier mit Formulierungen, die sich symptomatisch lesen. "Welche Ideen, Ideale haben ihren Wert durch die Zeit behalten und können nicht als naiv abgetan werden, was haben wir über das Verhältnis von Staat, von Möglichkeiten der Einflussnahme und über Machtstrukturen gelernt?" zitiert die FAZ und vermutet "professionelle Kultur-Animateure" am Werk. Der Spiegel stört sich an der Rede von der "gescheiterten" Schleyer-Entführung und den "wichtigsten Anschlägen und Überfällen" der RAF. Derart hervorgehoben erscheinen diese Sätze tatsächlich als Belege einer Einfühlung, die im Eifer der Emphase der Reflexion davonläuft. Einigen wird das Phänomen vom eigenen Verhalten aus der frühen oder späten Jugend nicht ganz unvertraut sein.

Darüber hinaus wurden Bedenken der Angehörigen der Opfer laut, die verständlicherweise fürchten, eine Ausstellung Mythos RAF betreibe eher eine Form von Glorifizierung als eine geboten kritische Betrachtung. Was wiederum eine Kette von Medienreaktionen zur Folge hatte: Auf einmal ist nun jeder herausgefordert, sich eine Meinung zu bilden, eine Haltung zu entwickeln - über etwas, was es noch nicht gibt.

Die Kommentatoren machen sich ein Bild davon. Die einen stellen heraus, dass es in der Ausstellung eine ethisch anzweifelbare Fokussierung auf die Täter geben könnte. Wieder andere vereinfachen das zu den Bedenken, dass hier die Taten verharmlost würden und die Täter dabei zu gut aussähen. Die Dritten beklagen überhaupt den Ansatz, der einen historischen Teil mit "künstlerisch-literarischen Events" aufdonnere (FAZ). Unterschwellig wird ein gemeinsames Feindbild sichtbar: Die "Popkulturalisierung" der RAF, die, so die in den vergangenen Tagen oft gehörte Behauptung, längst im Gange sei. Letzteres wird wiederum belegt mit diffusen Behauptungen über das Modischsein der RAF-Köpfe und -Embleme. Wer dieser Tage auf der Straße nach diesen Modeerscheinungen Ausschau hält, wird allerdings kaum fündig.

"Popkulturalisierung" ist in dieser Diskussion gleichbedeutend mit Verflachung, mangelndem Respekt vor den Opfern und einem unmoralischen Kokettieren mit den Gesten der Gewalt. Obwohl sich die Feuilletons seit der Medienkrise ganz besonders um "Pop" und damit vermeintlich junge Leser bemühen, treten hier auf einmal überraschend deutlich die alten hochkulturellen Bedenken zu Tage.

Das eigentlich Interessante ist nun, dass in der Konzeption der Ausstellung die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Phänomen der RAF eine große Rolle spielen soll. Die Kunst hat weniger Probleme mit der popkulturellen Bildermaschine als das Feuilleton; ganz im Gegenteil, sie macht sie sich zu Nutze und treibt sie selbst voran. Gerade deshalb aber verspricht die Ausstellung besonders interessant zu werden. Der Umschlag des Historischen ins Alltägliche, die Tiefenwirkung von Ereignissen, an denen die große Mehrheit nur medial Anteil hat, solche Dinge macht die Kunst sichtbar. Man wird eventuell entdecken, dass die RAF schon "popkulturalisiert" war, als es dieses Wort noch gar nicht gab.

In der aktuellen Debatte bilden sich weniger die Reflexe von damals ab - man hat vor der Aura dieses Terrorismus keine Angst mehr -, sondern eine Sehnsucht nach Eindeutigkeit und Deutungshoheit. Deshalb hört man dieser Tage auch oft das schöne patriarchale Argument, das auf Staatsebene wiederholt, was früher im Familienkreis mit den "Füßen unterm Tisch" verbildlicht wurde: "Nicht mit unseren Steuergeldern!"

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