Er solle sich mit Komplimenten zurückhalten, heutzutage würden die Leute es vorziehen, beleidigt zu werden, diesen Tip gab der Chairman der Europäischen Filmakademie, Nik Powell, dem Conferencier der Preisverleihung am vergangenen Samstag, Heino Ferch, mit auf den Weg. Wahrscheinlich trifft es das ganz gut: In Europa ist man tatsächlich gerne ein bisschen beleidigt. Zum Beispiel darüber, dass das amerikanische Kino so übermächtig ist. Oder darüber, dass die europäischen Nachbarn gegenseitig ihre Filme nicht gerne anschauen. Oder darüber, dass alle immer davon reden, wie wichtig ihnen das europäische Kino ist, und dann beim entscheidenden Event nicht auftauchen.
Die Verleihung des europäischen Filmpreises, alle zwei Jahre in Berlin und dazwischen in anderen europäischen Städten, soll so ein entscheidender Event sein. Die Idee klingt ja auch wirklich schön: Oscar auf europäisch! Nur umsetzen lässt sie sich gar nicht so leicht. Dass sich kein Fernsehsender findet, der gewillt ist, den Abend live zu übertragen, spricht für sich. Denn genau das, was Europa nie müde wird an sich so loben, seine Vielfalt und Vielsprachigkeit, stellt für den Filmmarkt zugleich das größte Problem dar: Was etwa in Italien populär ist, kommt vielleicht noch in Frankreich in die Kinos, sehr viel seltener aber in Deutschland. Den in drei Kategorien nominierten Film La meglio gioventu (The Best of Youth) von Marco Tullio Giordana kennt deshalb hierzulande kaum jemand; und da er letztlich keinen der Felix-Statuetten gewinnen konnte, wird das wohl auch so bleiben.
So nobel also das Anliegen auch ist, das im Kern darauf zielt, die europäische Kunstkino-Tradition vor der endgültigen Vertreibung durch das Kommerzkino zu schützen, es zieht in Zeiten internationaler Koproduktion unweigerlich diverse Paradoxien nach sich: So konnte zwar Dogville für den besten Film, die beste Regie, das beste Drehbuch und die beste Kamera nominiert werden, aber eben nicht Nicole Kidman als beste Darstellerin. Was natürlich genauso für die pakistanischen Laiendarsteller aus Michael Winterbottoms ebenfalls für den besten Film nominierten In This World galt. Der russische Regisseur Andrej Zwjaginzew erzählte in seiner Dankesrede - er bekam den Fassbinder-Preis für seinen Erstlingsfilm Die Rückkehr -, der Taxifahrer habe ihn auf dem Weg in die Berliner Arena gefragt, ob denn Russland überhaupt zu Europa gehöre. Der Preis sei die beste Antwort darauf. Vielleicht sollte Europa in dem, was und wen es als europäisch betrachtet, ruhig großzügiger verfahren und keine übertriebene Angst vor falschen Eingemeindungen hegen.
Genügend Stars für eine glamouröse Veranstaltung gibt es zwar trotz solcher Ausschlussverfahren, nur müssten die dann auch wirklich kommen. Wie man aus der Not eine Tugend machen kann, hat Wim Wenders, der für den Ablauf verantwortlich war, am Samstag-Abend vorgemacht. Dass Lars von Trier nicht kommen würde, war ein offenes Geheimnis; statt schamvoll darüber hinwegzugehen, inszenierte Wenders sein eigenes Spiel mit dem großen Abwesenden. Gleich zu Beginn des Abende sah man auf der Leinwand Heino Ferch im Auto durch Berlin fahren - auf der Suche nach von Triers Wohnmobil. Am Brandenburger Tor wurde er fündig und an demonstrierenden Studenten vorbei geleitete Ferch dann diesen Wohnwagen bis nach Treptow in die Arena, wo er seitwärts auf die Bühne gefahren wurde. Als schließlich Lars von Trier die Statuette für die beste Regie übergeben werden sollte, wurde sie doch tatsächlich ins Wohnmobil hineingereicht - und ein geschickter Kameraschwenk von der Lifeaufnahme weg zu einer Aufzeichnung schaffte die schöne Illusion, von Trier säße tatsächlich dort im Wohnwagen, mit Kopfhörern auf den Ohren, unwirsch den Preis entgegennehmend. Im übrigen war das der einzige Versuch des ganzen Abends, wirklich witzig sein zu wollen. Auf weitere bemühte Scherze verzichtete man, was der Veranstaltung ausgesprochen gut tat.
Trotz diesem Bekenntnis für die Unterhaltsamkeit des Ernsts sollte schließlich die einzige Komödie unter den nominierten Filmen triumphieren: Wolfgang Beckers Wende-Film Good-bye Lenin gewann in sechs Kategorien, darunter in der des besten europäischen Films. Ist dieser Film wirklich so gut, mag sich mancher gefragt haben. Abstimmungen in einer über Tausend Mitglieder zählenden Akademie spiegeln stets einen Popularitäts-Faktor wieder: Good-bye Lenin, der nach Deutschland auch in Großbritannien und Frankreich ein Millionenpublikum erreichen konnte, hat etwas geschafft, was eben kaum noch einem europäischen Film gelingt: Er findet sein Publikum über die Grenzen hinweg.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.