Keine gute Figur

Im Kino Michael Moore fragt sich in "Fahrenheit 9/11", wie Bush Präsident werden konnte

Die Szene in diesem Film, auf die die Zuschauer in der Regel am heftigsten reagieren, ist zugleich eine der inhaltlich bedeutungslosesten: In ihr wird enthüllt, dass Paul Wolfowitz seine beeindruckende Haartolle mit Spucke zähmt. Das ist kein schöner Anblick. Aber Michael Moore ist natürlich alles andere als gewillt, seine Zuschauer zu schonen. Insofern handelt es sich um eine Schlüsselszene: Moore geht es im buchstäblichen und im übertragenen Sinn um die hässlichen Praktiken des Präsidenten und seiner Entourage.

Unschön waren ja bereits die Umstände, unter denen George W. Bush zum Präsidenten gewählt wurde. Da gab es die Unstimmigkeiten des Registrierungsverfahrens, in deren Folge einige Tausend überwiegend farbige US-Amerikaner an der Stimmabgabe gehindert wurden, da war die strittige Zählung und das dubiose Verhindern einer Neuzählung, und das alles fand statt unter den nachsichtigen Augen ranghoher Verwandter und Freunde der Bush-Familie. Als eine Art Auftaktpotpurri bringt Moore die Erinnerung an dieses peinliche Geschehen zurück, das den amerikanischen Wahlvorgang auf einmal in einer Weise korrupt erscheinen ließ, die selbst abgebrühte USA-Kritiker dazu brachte, lieber schamvoll die Augen zu senken, als das Thema weiter zu verfolgen.

"Wie konnte das passieren?" fragt Moore sich selbst und uns Zuschauer als Abschluss zu dieser Sequenz; es ist eine rhetorische Frage, denn leider interessiert er sich herzlich wenig für mögliche Antworten. Die müsste man nicht zuletzt auch bei der Schwäche des demokratischen Gegenkandidaten Al Gore suchen. Moore zeigt uns zwar die quälende Szene, in der der zuständige Senatsausschuss unter Gores Vorsitz sämtliche Eingaben über die Unregelmäßigkeiten des Wahlvorgangs abschmettert, aber er hakt nicht bei den Demokraten nach, sondern konzentriert sich ganz auf Bush. In Fahrenheit 9/11 geht es dem Dokumentarfilmer mit dem Partisanenimage hauptsächlich darum, dem Publikum vor Augen zu führen, dass anders als durch grobe Wahlfälschung ein unbegabter Sohn, erfolgloser Geschäftsmann und fauler Politiker wie Bush jr. wohl nie hätte Präsident werden können.

In groben Skizzen zeichnet Moore Bushs wenig glorreiche Businesslaufbahn nach. Wir scheinen es mit dem nicht untypischen Schicksal eines Sohns aus gutem Hause zu tun zu haben, dem das Ansehen des Vaters den sofortigen Einstieg in hohe Positionen ermöglicht, auf denen er dann wegen mangelnder Kenntnisse und Erfahrungen nichts auszurichten weiß. Fast könnte er einem leid tun, gäbe es nicht das ironische Ende der Geschichte: Wo er als Manager versagte, sorgte er als Präsident dafür, dass bestimmte Aktienkurse steigen und verschaffte alten Bekannten Milliardenaufträge.

Doch damit nicht genug: Die Washington Post hat einst errechnet, dass Bush 42 Prozent der ersten acht Monate seiner Amtszeit im Urlaub verbrachte. Moore liefert nun die Bilder zur Statistik nach. Wir sehen Bush beim Golf spielen, fischen und auf seiner Farm; Aufnahmen, die zuerst dazu bestimmt waren, den US-Bürgern das gute Gefühl zu vermitteln, einen entspannten Präsidenten zu haben - glücklich das Land, dessen Regierung in die Ferien fahren kann! -, werden in der Reihung nicht nur zum Beleg manifester Faulheit, sondern bringen das Moment des Unangemessenen an den Tag, das darin liegt, wenn der ruler of the free world ständig in Freizeitkleidung kurze, witzig gemeinte Statements vor laufenden Kameras abgibt. Der Ernst des Amtes kollidiert mit der Alltäglichkeit der Feriensituation; so sehr man sich einen menschlichen Präsidenten wünscht, so wenig möchte man, dass er sich ständig amüsiert zeigt.

Zur Indizienkette wird die Urlaubssequenz in Moores Film aber erst richtig im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001. Was vergangene Woche durch den Abschlussbericht der Untersuchungskommission wieder durch alle Zeitungen ging, dafür findet sich in Fahrenheit 9/11 längst die polemische Verfilmung: "Hätte ich mehr Dossiers lesen sollen?" formuliert Moores Stimme aus dem Off über den Bildern eines regungslosen Bush, der gerade von den Attentaten erfahren hat.

Nach Wolfowitz´ Frisiergeheimnissen ist das die meistdiskutierte Szene des Films: Der Präsident vor einer Schulklasse, einer seiner Mitarbeiter kommt herein und flüstert ihm etwas ins Ohr. Es heißt, es seien die Worte gewesen: "America is under attack". Der Präsident reagiert zunächst nicht, er bleibt ungerührt - die einen sagen: ängstlich - sitzen und schaut in das Kinderbuch My pet goat. Und das für geschlagene sieben Minuten.

Moore hat für seinen Anti-Bush-Film nicht viel selbst recherchiert, sondern vor allem auf vorhandenes Material und vorhandene Erkenntnisse zurückgegriffen. Sein furioser Zusammenschnitt aus Nachrichten- und Spielfilmschnipseln, Straßeninterviews und Offkommentar, den von Zeit zu Zeit ein ironisch eingespielter Songtext weiterführt, läuft auf eine Hauptthese hinaus, die er so effektvoll darbietet, dass man sie mit diesem Film für erwiesen hält: George W. Bush macht keine gute Figur als Präsident.

In Zeiten der Mediendemokratie ist das kein unerheblicher Vorwurf, wenn sich auch gegen Bush bessere Argumente ins Feld führen lassen, als dass er geschminkt werden muss, bevor er vor die Fernsehkameras tritt - und in der Maske dementsprechend doof aussieht. Moores Film wäre in der Tat nur billige Polemik, wenn er es bei solchen Bildern beließe. Aber die Spannung seiner Traktate bestand schon immer daraus, dass auf einige schlechte ganz unverhofft ein paar wirklich gute Argumente folgen. Obwohl er sich in Fahrenheit 9/11 also lange mit den legendären sieben Minuten Reaktionsunfähigkeit aufhält, wird doch klar, dass Bushs Hauptversagen nicht in dieser unmittelbaren Untätigkeit liegt, sondern in dem, was an Aktionen danach kam: der Patriot´s Act und das Anzetteln zweier Kriege, deren Berechtigung bestenfalls umstritten war, deren Planung zu wünschen übrig ließ und deren Ergebnisse ziemlich katastrophal sind.

Wo Moore sich mit den Kriegen beschäftigt, hat sein Film die größte Kraft. Für die aufschlussreiche Kollage aus dummdreisten, aber auch nachdenklichen Äußerungen von US-Soldaten im Irak - Material, das er im Übrigen nicht selbst gedreht hat - verzeiht man dem Film sogar die kitschigen Aufnahmen spielender Kinder, mit denen das Land vor dem Einmarsch als friedliches Unschuldsparadies illustriert wird. Oder auch die dümmliche Witzelei, mit der er die "Coalition of the willing" lächerlich zu machen sucht: beim Stichwort Rumänien tritt Dracula auf und zu Holland zeigt er einen Marihuana-Raucher. Wie er überhaupt in der Neigung zum Witzchenmachen seinem Lieblingsfeind manchmal verdächtig nahe kommt.

Fahrenheit 9/11 stellt so gesehen ein Wechselbad der Gefühle dar. Moore, dessen Stärke wie gesagt nicht in der Recherche liegt und auch nicht in der Revolutionierung der Perspektive, kann unerwartet wirkungsvoll wiederholen, was bereits bekannt ist und damit das Publikum hinter sich scharen. Er betreibt eine Art Stammtischaufklärung, die auch etwas Unangenehmes hat, stellenweise aber von regelrechten Geistesblitzen erhellt wird. Etwa wenn er in seiner Heimatstadt Flint zwei Armee-Werber beobachtet, die auf herumhängende Jugendliche zugehen und sie mit der Aussicht auf Ausbildung und Arbeit, auf sozialen Aufstieg und Sicherheit für das Militär gewinnen wollen. Wer damit wirbt, so das treffende Argument Moores, darf die so Gelockten nicht leichtsinnig in einen sinnlosen Krieg schicken. Der Punkt scheint so gut, dass er sich regelrecht hinreißen lässt zu einem für ihn ganz untypischen Radikalismus: Ist es nicht seltsam, fragt er, dass es gerade die Ärmsten und vom System Benachteiligten sind, die in der Armee stets ihren Kopf und Körper hinhalten für die Verteidigung des Systems?

Über 100 Millionen Dollar hat Fahrenheit 9/11 in den USA inzwischen eingespielt. Das ist für einen Dokumentarfilm ein so einsamer Rekord, dass man ihn nur noch durch Zukunftsaussichten relativieren kann. Egal, was er für die Abwahl Bushs leistet, dem Genre des Dokumentarfilms hat Moore damit wahrscheinlich eine ganz neue Dimension eröffnet.

Angesichts von so viel Erfolg erscheint jede Kritik an Moores Film, die nicht gerade Bush verteidigen will, kleinlich. Zumal das Hauptargument gegen den Film zugleich das Geheimnis seines Erfolges sein mag: Fahrenheit 9/11 greift die Schattenseiten der Mediendemokratie an und macht sich dabei perfekt deren Funktionsweisen zu Nutze.


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