Es gibt Gegenden in Deutschland, in denen ein besonderes Verhältnis zur Sparsamkeit gehegt wird. Sie gilt dort als wichtige Eigenschaft, um sich Ansehen und Autorität zu verschaffen. Sogar in Kontaktanzeigen versuchen Menschen durch den Selbstausweis, sie seien sparsam, andere für sich einzunehmen. Sich seiner Erfolge beim Sparen zur rühmen, gehört zum guten Ton und gilt keineswegs als unbescheiden. So ist es dort verbreitete Sitte, aus dem Urlaub zurückzukehren und davon zu erzählen, wie viel man wieder gespart habe: wie billig das Ticket war, wie günstig die Halbpension. Oder auch wie unverschämt teuer der Cappuccino - auf den man dann selbstverständlich verzichtet hat.
Ökonomisch gesehen stehen diese Gegenden gut da. Was allerdings darauf hindeutet, dass in Wahrheit gar nicht so viel gespart wird wie versprochen. Im Verborgenen nämlich wird auch bei den Sparsamen Verschwendung betrieben. Legendär ist, wie viel in die eigene Häuslichkeit investiert wird. Zum Ausgleich legt man aber auch besonderen Wert auf fahrbare Untersätze. Der relative Wohlstand dieser Gegenden errechnet sich wohl mehr aus dieser diskret gehaltenen Großzügigkeit denn aus dem sprichwörtlichen Geiz. Schließlich ist Sparen an sich konjunkturfeindlich, nicht umsonst bauen gerade die Vorschläge zur Reform des Gesundheitssystems darauf, die Pflichtbeiträge der Arbeitgeber zu senken, um die Versicherten dazu zu bringen, mehr Geld auszugeben - und sei´s für den eigenen Krankenhausaufenthalt.
In den Gegenden des Sparsamkeitskults werden schon die kleinen Kinder zum Sparen angehalten: Sie erhalten extra wenig Taschengeld. Anderen Kulturen muss die Logik dieser Erziehungsmaßnahme wohl erst erklärt werden: Das heranwachsende Subjekt soll lernen, vom Wenigen noch etwas abzuknapsen, in der Hoffnung, dass der Betrag sich dann beständig vermehrt. Studierte Geister erkennen hier die "protestantische Ethik" am Werk, das Prinzip des Befriedigungsaufschubs, das dem bürgerlichen Kapitalismus zu seinem Durchbruch verholfen hat.
Heutzutage setzt sich der Kapitalismus ganz offensichtlich dank anderer ethischer Haltungen zum Geld durch, wie zum Beispiel die Witze über die "neuen Russen" der postsowjetischen Ära belegen, die von der demonstrativen Lust an Verschwendung und Luxus handeln: "Wie viel hast du für die Krawatte bezahlt?", fragt ein neuer Russe einen anderen. "3.000 Dollar." "Bist du blöd, gleich hier um die Ecke hättest du sie für 6.000 kaufen können!" So manchen Mitteleuropäer wird dieser Witz mehr erschrecken als erheitern.
Aber nicht nur in Russland tritt mittlerweile immer klarer zu Tage, dass mit der protestantischen Sparpraxis im Grunde nicht mehr die erhoffte Lebenstüchtigkeit erreicht werden kann. Um Kinder auf das vorzubereiten, was sie in Zukunft erwartet, wäre es wahrscheinlich sinnvoller, ihnen viel Taschengeld zu geben, damit sie lernen könnten, einen großen Betrag für die Zeit anzulegen, in der es kein Taschengeld mehr gibt. Aus dem Mangel heraus zu sparen, mag eine lange Tradition haben, aus der Fülle heraus zu sparen ist, man vergleiche die Zinstabellen, ertragreicher.
Das mit der Fülle beziehungsweise dem Wohlstand ist natürlich immer relativ. Schließlich kommt es darauf an, was die Nachbarn so haben. Zunehmend populär wird es, in den Taschen der anderen zu sparen. Der Blick richtet sich aber interessanterweise auch da mehr auf den Mangel als auf die Fülle. Ins Visier von Boulevardpresse und Politik geraten weniger die Reichen und Spendablen, sondern die, die eigentlich eh nichts haben. Schon seit einiger Zeit kann man im Fernsehen immer wieder Mitarbeiter des Sozialamts bei ihren schwierigen Missionen begleiten. Peinlich genau wird aufgelistet, was die vor laufender Kamera Überprüften zu viel bekommen haben an Sozialhilfe, Wohn- oder Kleidergeld. Zur besten Geschichte des Sommers arrivierte nun "Florida-Rolf", der, wie besonders betont wird, ganz legal ein bequem aussehendes Leben auf Sozialamtskosten am Strand in Florida verbringt, und damit offen verhöhnt, woraus diejenigen, die sich gerne "arbeitende Bevölkerung" nennen, angeblich ihre Motivation zur Arbeit ziehen: dass es Sozialhilfeempfängern schlecht gehen soll. Der Konsens, wonach die Hilfe für diejenigen, die nicht arbeiten können, auch eine Investition in den sozialen Frieden ist, wird immer brüchiger. Vielleicht nimmt der Neid in letzter Zeit so zu, weil mehr und mehr Angst im Spiel ist: Es muss gespart werden, nicht, weil wir heute schon so wenig hätten, sondern weil wir morgen weniger haben werden.
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