Ich kann mich noch gut an das besondere Vergnügen erinnern, das mir dieser viel variierte Witz beim ersten Anhören bereitete: Arbeiten ist schön ich könnte stundenlang zusehen. Dabei war es weniger das ironisierte Arbeitsethos, das mich an dem Spruch so begeisterte, als vielmehr die tiefe Wahrheit dieser Feststellung. Es gibt tatsächlich kaum etwas Spannenderes, als Menschen bei der Arbeit zuzusehen. Erstaunlicherweise nützt der Spielfilm diese Möglichkeit, seine Zuschauer in den Bann zu ziehen, herzlich wenig außer vielleicht in dem inzwischen etwas außer Mode gekommen Genre des heist movie, dessen Höhepunkt stets die minutiöse Schilderung eines Raubüberfalls, mithin eines sehr speziellen Falls von Arbeit, ist. Ansonsten fällt das Spektakel der Arbeit ganz und gar in den Herrschaftsbereich des Dokumentarfilms.
Beim Stichwort Arbeit denken dabei die meisten eher an Fabrikhallen, an Fließbänder, an die so genannte »körperliche Arbeit«. Die wird ja längst zum größeren Teil von Maschinen gemacht. Auch über die lassen sich spannende Dokumentationen drehen, wie alle Zuschauer der legendären Sendung mit der Maus wissen: Nirgendwo wurde die Faszination der Produktstraßen, die am Ende eine bunte Tüte »Russisch Brot« oder eine Rolle Klopapier ausspucken, mit größerer Nachhaltigkeit dargestellt als in den kleinen Lehrfilmen, die stets eine Frage als Titel hatten: Wie wird eigentlich ... gemacht?
Heutzutage nimmt sich dankbarerweise das sogenannte Wissenschaftsmagazin Galileo auf pro7 der automatisierten Produktherstellung an. In einer als immer unübersichtlicher empfundenen Welt kann der detaillierte Einblick in die Herstellung von Tortillachips oder Eisbonbons tiefe Genugtuung bereiten. Dabei zuzusehen, wie aus einer weißen, weichen Endloszuckermasse Hunderte, ja Tausende Packungen voll Eisbonbons entstehen, mit Menthol-Geschmack und charakteristischer Mitteldelle, vermittelt einem fast schon das Gefühl von Herrschaftswissen. Dem Erfinder jener Maschine, die mit raffiniert angeordneten Zahnrädern jedes einzelne der Bonbons mit Papier einwickelt, möchte man am liebsten den »Wie kommt man bloß auf so was?«-Preis verleihen. Mit leichtem Schrecken nimmt man aber auch jedes Mal die ungeheure Produktivität dieser Fertigungsabläufe wahr: Werden die zig Millionen Bonbons, die hier täglich ausgestanzt werden, tatsächlich verkauft und gegessen? Werden die unzähligen Watte-Tips, die zu Abertausenden vom Band in die Packung fallen, tatsächlich auch verbraucht?
Q-Tips und Eisbonbons, das sind für den Regisseur Harun Farocki sozusagen peanuts. Den Filmer Farocki interessiert schon lange eine andere Art von Arbeit, jene, die »von außen« gar nicht so nach Arbeit aussieht. Er stößt dabei in Kernbereiche des Kapitalismus vor, in Branchen, in denen Arbeit aus einer besonderen Art von Expertentum besteht, besser noch aus dem intensiven Austausch zwischen Experten. Wie in der Werbefotografie etwa, wo Farocki einst für einen Film das überlange Gespräch zweier Männer vom Fach über das Foto eines Bierglases protokollierte: »Du, der Tropfen da ...« Es zeigte sich, wie ungeheuer lehrreich der Austausch über Banalitäten sein kann, welch filigrane Detail-Arbeit in der Werbefotografie steckt, vor allem aber auch: Wie viel professionelle Hingabe von Seiten der Macher.
In anderen Filmen machte Farocki seine Zuschauer zu Zeugen von hochkomplexen Diskussionen über die Sortierung des Brotregals in einem Supermarkt oder über die Aufstellung der Kleiderpuppen in einer Boutique. Diese langwierigen Verhandlungen waren nicht nur deshalb interessant, weil man einem Industriespion ähnlich in ein paar Verkaufstricks eingeweiht wurde, sondern auch weil man etwas über die berufliche Ausdauer erfuhr, mit der über solche Fragen gestritten wird.
Immer mehr hat sich Farocki dabei in jene Gefilde vorgetastet, wo »Arbeit« in unserem Kapitalismus heute am höchsten bewertet und entlohnt wird, obwohl sie aus so unscheinbaren und filmisch unspektakulären Handlungen wie Herumsitzen und Reden besteht. In Nicht ohne Risiko verhandeln drei Vertreter einer »innovativen« Firma mit drei Vertretern einer »VC-Gesellschaft«. »VC« steht für »venture capital«, Risiko-Kapital, eine Art von Geld, das man nicht bei Banken bekommt, das aber mit etwas Glück viel einbringt, und zwar beiden Seiten. Doch wieder sind es bei Farocki weniger die technischen Details, die Erläuterungen über Gewinnaussichten, Sicherheiten und Beteiligungen, die die Aufmerksamkeit fesseln, sondern das professionelle Reden an sich, das in solchen Situationen wir sehen Ausschnitte aus zwei aufeinanderfolgenden Verhandlungstagen wahre Dramenform annimmt.
Auf den ersten Blick sieht Nicht ohne Risiko wie die meisten Farocki-Filme vollkommen »kunstlos« aus. Eine Videokamera in einem Sitzungsraum filmt hauptsächlich Gesichter, nichts weiter. Sicher, da gibt es einen Rhythmus, eine große Sorgfalt in der Auswahl des Bildausschnitts, aber das sind alles Dinge, die man beim Betrachten gar nicht bemerkt. Die große Kunst Farockis besteht darin, dass die von ihm Gefilmten offenbar vergessen, dass sie gefilmt werden. Das ermöglicht dem Zuschauer »hautnah dabei zu sein«, wie das früher im Sport so schön hieß. Tatsächlich sieht man so etwas wie einen Wettkampf, hartnäckig verteidigen die »Kontrahenten«, die eigentlich gerne zusammenkämen, ihre Prinzipien. Wobei sich der Blick der Kamera eben nicht auf die privaten Momente der Verhandlungspartner konzentriert, sondern auf die »geschäftigen«. Man sieht den leichten Stirnschweiß, den der Gedanke an eine niedrigere Gewinnaussicht auslösen kann. Man hört die mühsame Übersetzungsarbeit, die hier geleistet werden muss zwischen den Interessen der Banker und der Firmengründer. Am Ende sitzen sie gemeinsam beim Italiener, wie erlöst, aber auch überrascht, dass das stundenlange Reden doch mal wieder zu einem Ergebnis geführt hat. Nicht ohne Risiko, ein Film, der wie gesagt nach »nichts« aussieht, ist so spannend wie ein heist movie, so lehrreich wie die Sendung mit der Maus und vermittelt dabei die Genugtuung eines echten Einblicks ins innere Räderwerk unserer modernen postindustriellen Gesellschaft.
Nicht ohne Risiko. Mittwoch 18. 5. um 23.15 Uhr im WDR
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