Es kommt nicht oft vor, dass ein Programmdirektor das eigene Programm als "Tralala" bezeichnet. So geschehen jüngst in Gestalt von Günter Struve und der ARD. Dort war passiert, was man sonst eigentlich nur aus dem Privatfernsehen kennt: Wegen mangelnder Quote wurden kurzfristig Shows abgesetzt, und das gleich zwei Mal hintereinander. Zuerst erntete die aufwändig beworbene Stylingshow von Bruce Darnell einerseits laues Zuschauerinteresse, andererseits Hohn und Spott bei der Kritik und wurde nach zwei Wochen sang- und klanglos eingestellt. Die daraufhin vergleichweise bescheiden gestartete Datingshow Ich weiß, wer gut für dich ist brachte es auf noch schlechtere Quoten und wurde noch schamvoller vor Aussendung aller bereits produzierten Teile in den Programmkellern versenkt. Da schien der Zeitpunkt gekommen, um mit vollem Mund Abstand zu nehmen von solchem "Tralala, bei dem wir amateurhaft daherkommen" (Struve). Seither wird die Grimme-Preis-legitimierte Serie Berlin Berlin wiederholt. Übrigens mit noch schlechteren Quoten. Die Geschehnisse bringen auf den Punkt, was der Zuschauer schon lange weiß: Wenn die öffentlich-rechtlichen Sender versuchen, die privaten zu kopieren, kommt nichts Gutes dabei heraus. Warum versuchen sie es überhaupt? Nun, um das jüngere Publikum zu gewinnen, das an das Privatfernsehen gewöhnt ist. Und warum schauen die 14- bis 29jährigen nur noch privat? Nun, weil es da Styling- und Datingshows gibt, die besser gemacht sind als bei den öffentlich-rechtlichen.
Interessant an den letzten Geschehnissen ist, dass das löbliche Eingeständnis einer Unfähigkeit aller Wahrscheinlichkeit wieder nicht dazu führt, es nächstes Mal besser machen zu wollen. Statt zuzugeben, dass man noch übt, zementiert man lieber die alte Frontstellung von öffentlich-rechtlich und privat: Hier die seriösen Medien, dort die unseriösen; hier Hoch-, dort Niederkultur; hier Anstand, dort Pöbel.
Wie man sich das en detail vorstellt, konnte man jüngst im ZDF studieren. Dort wagte man sich an eine "seriöse" Kopie der Castingshow heran und nannte es Musical Showstar 2008. Moderiert vom letzten Publikumsmagneten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, Thomas Gottschalk, wollte man Deutschland sucht den Superstar Konkurrenz machen und dabei selbstverständlich in jeder Hinsicht "anständig" bleiben.
Dieser demonstrative Anstand bestand in erster Linie darin, dass die Kandidaten nicht beschimpft wurden. Statt den oft ausgesucht beleidigenden Schmähreden von Dieter Bohlen bekamen sie Lob und Ermutigung zugesprochen. Für alle, die genau hinhörten, war das in der Tat erfrischend, denn die drei Juroren Katja Ebstein, Uwe Kröger und Alexander Goebel machten nicht einfach nur plump Komplimente und redeten sich ihre Kandidaten schön, nein, sie bemühten sich darum, präzis ihre positiven Eindrücke wiederzugeben und jede Kritik stets mit ermutigenden Hinweisen zu versehen. Für alle, die weniger genau zuhören mochten, war es schlichtweg weniger unterhaltsam als Bohlens prollige Kraftreden.
In Ablauf und Sendungsstruktur aber ließ sich Musical Showstar 2008 kaum von DSDS unterscheiden: Vor jedem Auftritt gab es Videofilmchen mit und über die Kandidaten, in denen ihre Menschlichkeit bezeugt wurde. Dann gab es die Nummer mit immer schon bekanntem Material, dann die Runde der Kritik und dann in Begleitung des Moderators der Gang zum Kandidatensofa und ein kleiner Schwatz. Es war alles sehr nett, aber eben nicht halb so aufregend wie das RTL-Vorbild, was gerade deshalb besonders auffiel, weil sonst alles so ähnlich war. Vergleichen könnte man das Ganze am Besten mit dem Versuch eines Sinfonie-Orchesters, eine Punkhymne nachzuspielen. Nicht dass das nicht ginge, nur klingt das Ergebnis eben allenfalls nach Richard Clayderman oder Andre Rieu.
Mal anders herum gefragt: Was macht eigentlich die "Tralala"-Shows der Privaten so viel besser, beziehungsweise, in Umdrehung von Struves Worten, "professioneller" als die öffentlich-rechtlichen Kopien? Nun, es mag mit dem Mut zum Vorführen und Manipulieren zu tun haben. Bei allem Neid auf das Trashige muss man nämlich zugeben, dass die Privaten in Shows wie DSDS, Germany´s next Topmodel oder Dschungelcamp eine eigene Kunst praktizieren: aus drögem Ausgangsmaterial mit oft recht langweiligen Menschen schaffen sie packende Dramen über schräge Außenseiter und trotziges Beharrungsvermögen. Wer sich da nur angewidert abwendet, versäumt auch etwas: Sowohl in DSDS als auch in Formaten wie Supernanny und Raus aus den Schulden werden soziale Welten vor die Kamera gezerrt, die in den öffentlich-rechtlichen Programmen nur im Journal-Feature zur Sprache kommen. Dort sind die Migranten oder HartzIV-Empfänger Thema, mithin Objekt, im Privatfernsehen aber werden sie zu Protagonisten. Dass sie dabei oft alles andere als gut aussehen, zählt dabei nicht: Solange sie mitspielen dürfen.
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