Verliebt in eine Waffe

Im Kino "Dear Wendy" von Thomas Vinterberg zeigt, was Pistolen können

Dear Wendy gehört zu jenen Filmen, vor denen man irgendwie warnen will, aber nicht mit der Absicht abzuschrecken, ganz im Gegenteil. Dear Wendy ist einfach nicht ganz das, was man erwartet. Wobei es natürlich darauf ankommt, wer man ist. Diejenigen, die in den Film gehen wollen, um zu sehen, wie sich Jamie Bell seit den frühen Tanztagen in Billy Elliott entwickelt hat, seien deshalb darauf hingewiesen, dass es sich hier um einen Film von Thomas Vinterberg handelt, dessen berühmtestes Werk das Inzest-Drama Das Fest darstellt. Diejenigen, die gerade deshalb hineingehen wollen, womöglich noch, weil Dogma-Guru Lars von Trier selbst das Drehbuch geschrieben hat, seien darauf hingewiesen, dass es sich bei der im Titel angesprochenen Wendy um eine Pistole handelt und der ganze Film eine Art Abschieds-Liebesbrief an eben diese Pistole darstellt. Allerdings ist Wendy kein gewöhnliches Schießeisen, sondern ein liebliches Kleinkaliber mit perlmuttbesetztem Griff. Und als Jamie Bell sie in der Rolle des arbeitslosen Minenarbeitersohns Dick zum ersten Mal in der Hand hält, nachdem er ihre wahre Natur erkannt hat - er hatte sie in der falschen Annahme gekauft, es handle sich um eine Spielzeugpistole -, bekommt auch der Zuschauer etwas zu spüren von der Raffinesse und dem Charme dieser Waffe, die den Teenager verführt und bindet. Und die aus dem Off gesprochenen an sie gerichteten Ausführungen, die vom ersten Verliebtsein und den damit verbundenen Allmachtsgefühlen erzählen, von der dann einsetzenden Eifersucht und schließlich einer immer destruktiver werdenden Leidenschaft - sie bleiben zwar das entrückte und in seinem Pathos lächerliche Fantasieren eines Pubertierenden, aber sie sind eben deshalb auch sehr gut nachvollziehbar.

Das Amerika, das Vinterberg zur Spielstätte dieser Geschichte gewählt hat, ist unser europäisches Klischee-Amerika, unser liebstes Feindbild: eine Stadt wie eine Westernkulisse, die nur aus den Vorderfassaden von Häusern besteht. Nicht ganz so extrem wie die schwarze Bühne mit den Kreidestrichen in Lars von Triers Dogville verzichtet Vinterberg weitgehend darauf, den Stadt-Raum "filmisch" aufzubereiten und markiert ihn hauptsächlich durch das Bespielen der Darsteller. Im Hintergrund dräut der Aufzug eines Minen-Schachts, Sinnbild einer weitergezogenen Industrialisierung, die die Hoffnung der Menschen auf ein besseres Leben gleich mitgenommen hat. In den USA kam Dear Wendy ausgesprochen schlecht an; dort nimmt man den "Euro-Intellectuals" diese Verbindung aus Simplizität der Mittel und Besserwissertum in den Absichten eher übel. Vom dänischen Pseudo-Amerika, in dem Polizisten brutal, Schwarze kriminell und Weiße empfindsam sind, fühlten sich zahlreiche amerikanische Kritiker provoziert.

Dabei geht es in Dear Wendy weniger um die uramerikanischen Konflikte des Rassismus und Waffenwahns, sondern mehr um das zarte Gleichgewicht von Schwäche und Stärke und wie das Eine in das Andere umschlagen kann. Und darum, dass es nicht nur die Gewalt ist, die Gewalt sät, sondern dass auch die Empfindsamkeit eine produktive Quelle von Gewalt sein kann.

Dick nämlich, nachdem er Wendys diskreten Charme entdeckt hat, sammelt alsbald eine Gruppe von Versagern und Minderbemittelten um sich, die durch Waffenbesitz regelrecht aufblühen. Ihr oberstes Gebot ist allerdings die Gewaltlosigkeit, die geliebten Pistolen werden nur heimlich getragen und geheim ist auch der Bund, den sie bilden: Sie nennen sich "Dandys" und kleiden sch entsprechend. Sie sind ein sympathischer Haufen, weil Posieren, Sichverkleiden und abseitige Kenntnisse Anhäufen zu ihrem Lebensinhalt wird. Das klingt "abgedreht", die Künstlichkeit der Situation öffnet den Blick in die Seelen dieser Außenseiter jedoch besser als jeder Naturalismus es könnte: Welche Wunder an Kompensation sie leisten, welche Wärme der Zugehörigkeit sie als Ersatzfamilie zu schaffen im Stande sind, welche unerkannten Talente sie gegenseitig in sich fördern.

Doch dann wird ihr prekäres Gleichgewicht gestört: Dick soll sich um den Enkel seiner schwarzen Kinderfrau kümmern. Der hat jedoch den Fehler, kein Schwächling zu sein, sondern kriminell, das bedeutet stark. Andere zu belügen ist ihm ein vertrautes Geschäft, aber sich selbst vorzumachen, man sei ein Dandy, könnte ihm nicht fremder sein. Obwohl er sich nach und nach dafür zu erwärmen scheint, wird durch ihn die Probe aufs Exempel herbeigeführt: Die Dandies gehen die Konfrontation mit der Realität ein, was - man kennt das aus Filmen wie Bonnie und Clyde - zwangsläufig zum Tod im Kugelhagel führt. Aber da sind sie bereits so versierte Träumer und Poseure, dass sie es schaffen, diese endgültige Niederlage als Überhöhung darzustellen ...

Wer Dear Wendy als Satire auf den amerikanischen Waffenfetischismus sieht, ist wahrscheinlich schnell genervt von der Überdeutlichkeit der Parabel. Wer sich jedoch bei den Amerika-Klischees nicht aufhalten will, wird einen Film entdecken, der trotz Parabelhaftigkeit keine fertigen Antworten bietet und über das Strickmuster der "Gewaltspirale" hinausweist.


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