Vor gut zehn Jahren hatte jemand die Idee, mit der Cannes-Rolle die auf dem dortigen Branchenfestival ausgezeichneten Werbespots zusammen zu schneiden und in die Kinos zu bringen. Die so entstandenen neunzig Minuten waren allerdings eher lehrreich als unterhaltsam (so dass nach dem Publikumserfolg der ersten Saison schon bald die Zuschauer wegblieben). Da war zum Beispiel jener Pepsi-Cola-Spot, in dem in ferner Zukunft eine Gruppe Studenten auf den Planeten Erde kommt und sich ausgräberisch betätigt. Welchen Gegenstand auch immer sie finden, stets weiß der begleitende Professor zu sagen, um welche irdische Gerätschaft es sich handelt. (Zwischendurch wird an Pepsi-Dosen genuckelt). Dann hält einer eine etikettlose Flasche aus Glas hoch und fragt, was das denn sei. "Ich habe keine Ahnung", lautet nach staunendem Zögern diesmal die Antwort des Professors, was die effektvolle Schlusspointe des Spots ist, denn, Sie werden es bereits ahnen, die Glasflasche ist nicht irgendeine, sondern jene, in deren bloßer Form große Teile der irdischen Bewohner des 20. Jahrhunderts sofort eine einzige Marke wiedererkennen: Coca-Cola.
Vielleicht haben die Herren von Pepsi ja noch rechtzeitig gemerkt, dass dieser Spot eher eine Hommage an den Konkurrenten als Werbung für das eigene Produkt darstellt, auf jeden Fall hätten sie kaum besser zur Anschauung bringen können, was auch der Ausgangspunkt von Naomi Klein in ihrem Buch No Logo ist: Unternehmen mögen Produkte herstellen, aber Verbraucher kaufen Marken.
Würde Klein allerdings hauptsächlich die Werbestrategie des weltweit bekanntesten Getränkeherstellers behandeln, hätte ihr Buch wohl kaum solche Furore gemacht. Denn Coca-Cola und Disney sind lediglich die Dinosaurier des Phänomens, dem Klein versucht auf die Spur zu kommen. Der eigentliche (Anti-)Held ihres Buches ist Nike, das paradigmatische Beispiel für einen Konzern, der im Grunde keine Turnschuhe mehr herstellt, sondern nur noch seinen Swoosh verkauft, jenen schwungvollen Bogen, der beansprucht, das alleinige Emblem der Sportwelt zu sein. Dahin gebracht hat es Nike, indem der Konzern ganze Segmente der Jugendkultur sozusagen inkorporiert hat, vom Beatles-Song Revolution über die Ästhetik von MTV und Streetball bis zum schwarzen Basketballstar Michael Jordan. Während früher der Erfolg eines Markennamens sich daran messen ließ, wie sehr er mit dem Produkt verschmolz (wie, so einst die väterliche Einführung in die Warenwelt, Tempo für Papiertaschentücher), gehen heute Produkt und Marke zunehmend getrennte Wege: Ersteres wird zum sekundären Anhängsel des Eigentlichen, der Marke, die immer mehr nur noch rein ideelle Werte versinnbildlicht.
In vier Schritten, so griffig benannt wie Werbeslogans, beschreibt Klein diese Strategie der "Supermarken" weg vom konkreten Produkt hin zu einem Image, einer Haltung, einem Wertekanon, der mithin das eigentliche Produkt darstellt. Swatch verkauft keine Uhren, sondern modernes Zeitgefühl, Disney keine Zeichentrickserien, sondern glückliche Kindheit. No space ist das erste Kapitel überschrieben und schildert die zunehmende Vereinnahmung des öffentlichen Raums durch Markenwerbung. Was mit harmlosen Reklametafeln beginnt, findet seine logische Fortsetzung in der Umgestaltung ganzer Gebäude, ja ganzer Stadtteile zu Werbeträgern. Der räumlichen Inbesitznahme folgt die geistig-kulturelle, ob Rockkonzerte, Sportveranstaltungen oder Universitätskongresse, das "Sponsoring" ermöglicht den Konzernen, ihren Stempel einem Lebensgefühl, einem Stück Alltag und der Wissenschaft aufzudrücken.
Unter dem Titel No Choice behandelt Klein die Konsequenzen dieser aggressiven Werbestrategien: Durch Flächendeckung wird die Vielfalt der Konkurrenz beseitigt, ein Logo wird durch Produktverästelung in mehreren Sparten gleichzeitig groß gemacht, um schließlich in beherrschender Stellung Einfluss zu nehmen: auf das Kulturprogramm des "Events", für den eine Brauerei großzügig die Infrastruktur stellt, auf das Curriculum der Schulen, in denen Computer und Getränkeautomaten aufgestellt wurden, exklusiv, versteht sich, und schließlich auf Städtebau und Inhalte der Wissenschaft. Immer weniger hat so der Verbraucher das, was ihm die Werbung suggeriert: eine Auswahl. Immer mehr werden ihm die Produkte eher aufgezwängt, als dass er sich frei für sie entscheiden könnte - so wie das Microsoft mit seinen Softwarepaketen beispielhaft vormacht.
Bis dahin könnte man noch denken, No Logo beschäftige sich ein weiteres Mal mit den im Grunde luxuriösen Problemen der reichen Gesellschaften, deren Verbraucher sich mit der Auswahl ihrer Konsumgüter schwer tun. Wäre da nicht das Phänomen, das Klein im Kapitel No Jobs behandelt: Indem die Konzerne immer mehr Geld in das Marketing investieren, gehen die Einsparungen ganz zu Lasten der Produktion. Flucht aus der Verantwortung als Arbeitgeber, nennt das die Autorin. Gefertigt wird nicht mehr in eigener Produktion, sondern in Zuliefererbetrieben, die in aller Welt so billig wie möglich Einzelteile herstellen. Selbstständig, so dass sie nicht unter die Arbeitsschutz- und Lohngesetze der westlichen Welt fallen und gleichzeitig vollkommen abhängig von ihren Auftraggebern, die jederzeit weiterziehen können in ein billigeres Land. Das aussagekräftigste Bild dafür sind jene berüchtigten "Sweatshops" in Indien oder auf den Philippinen, in denen namhafte Textilhersteller unter Bedingungen nähen lassen, wie sie zu Beginn der industriellen Revolution in Europa geherrscht haben.
Naomi Klein ist Jahrgang 1971, das Kind aktivistischer Eltern, die aus Protest gegen den Vietnamkrieg nach Kanada zogen, und besitzt jenen pragmatischen Optimismus, den Europäer als typisch nordamerikanisch und ein wenig politisch naiv ansehen. So versucht Klein in ihrem Schlusskapitel No Logo eine konkrete Antwort auf das berüchtigte "Was tun?" zu geben, ganz nach der Devise, wo bitte bleibt das Positive. Die Logos aus den Marken-Klamotten, die man trägt, herauszuschneiden mag unzureichend, aber ein erster Schritt sein gegen die supranationale Herrschaft der Konzerne. Klein weist auf weitere Guerillataktiken des Kultur- und Wirtschaftskrieges hin: Culturejamming dekonstruiert die Werbebotschaften durch Persiflage und Rekontextualisierung. Reclaim the streets nennt sich eine spontaneistische Bewegung, die durch Straßenaktionen den öffentlichen Raum wieder für Menschen zu beanspruchen versucht. Gezielte Einkaufsboykotts und das Öffentlichmachen von Verstrickungen schließlich vermag die Supermarken (man denke etwa an Shell und das Schicksal der Brent Spar) an ihrem empfindlichsten Punkt zu treffen: ihrem Image.
Das alles ist nichts wirklich Neues, wie Klein selbst zugibt. Neu sind lediglich die Größenverhältnisse: die Höhe der Werbeetats und die Weite der globalen Vernetzung der Konzerne. Neu ist die Zusammenschau der von ihr beschriebenen Phänomene unter dem Aspekt der Globalisierung. Ihren sprunghaften Aufstieg zur Zentral-Ikone der Antiglobalisierungsbewegung verdankt Naomi Klein aber wohl zwei Faktoren, die sie in unterschiedlicher Klarheit auf den Punkt bringt. Zum einen beschreibt sie etwas, was die linke Bewegung lange vermisst hat: ein reales Feindbild. Anders als bei den meist theorielastigen und weitgehend abstrakten Kapitalismuskritikern von gestern und vorgestern, nehmen die Gegner der Menschheit bei Klein wieder konkrete, sichtbare Gestalt an, wegen der Werbewirksamkeit der Marken sogar in sinnlich ansprechender Form; es sind die Konzerne und ihre Werbemanager.
Und zum zweiten schreibt Klein aus einer konkreten Erfahrung heraus, die als prägend für eine ganze Generation angesehen werden kann. Während sie in den neunziger Jahren für mehr Repräsentation von Frauen und Minderheiten im öffentlichen Raum kämpften, einer Politik, die als Political Correctness in Verruf geriet, überholten die Supermarken sozusagen von rechts. Mit Leichtigkeit übernahm die Werbung, was der Realpolitik bis heute schwer fällt: Ob United Colours of Benetton, der Swoosh oder das Unisex-Parfum von Calvin Klein, die Gleichberechtigung von Schwulen und Farbigen und viele weitere Themen des PC wie Ökologie und Feminismus wurden zum festen Bestandteil der Markenimages.
Dieses Erlebnis, die zügige Kommerzialisierung der eigenen Revolte, haben allerdings auch schon die Generationen vor Klein zur Genüge gehabt, es ist sozusagen zur Grunderfahrung des Pop geworden, Ursache eines weit verbreiteten Kulturzynismus, der jedem Subkulturphänomen nur ein "Wartet, bis ihr vereinnahmt werdet" zuraunen kann. Der Verzicht auf jegliche Historisierung und Theoretisierung jener Unmenge an Fakten, die Klein in ihrem Buch anhäuft, scheint deshalb nicht ohne Absicht. Die missionarisch angehauchte Gründungseuphorie, die sie so geschickt mit angelsächsischem Understatement zu kombinieren weiß, verträgt den Bezug auf historische Erfahrungen nämlich nur schlecht. In der Relativierung durch Theorie und Geschichte ginge womöglich Kleins wesentliches Element verloren: ihr betont einfacher Optimismus, der Mut und Lust zu handeln macht.
So bleibt Klein willentlich blind jenem Phänomen gegenüber, das sie selbst schon einholt: Auch No Logo kann zum Label werden, ist es schon längst geworden, im Grunde bevor es das Buch gab. Denn in einer Welt voller Marken ist die Eigenschaft "Nichtmarke" lediglich ein Minusverfahren, das die Bedeutung der Kategorie "Marke" noch weiter unterstreicht. Längst ist die Kritik an den Supermarken Bestandteil deren Eigenwerbung. Ralph Nader mag sich noch weigern, seine Nike-kritischen Anmerkungen für einen Nike-Werbespot freizugeben; die Dreistigkeit des Angebots der Werbemanager zeigt, wie beliebig die Inhalte sind, solange die Marke erwähnt wird. Tatsächlich sind Marken unendlich kokett. Ein "fishing for compliments" steckt in jeder Negation der eigenen Wichtigkeit: Image ist nichts, Durst ist alles - so der globale Werbespruch von Sprite.
Sorgfältig trägt Klein die Erfolge der Bewegung zusammen, aus denen sie ihren Optimismus schöpft. Marks Spencer verkaufen auf Wunsch der Verbraucher keine genetisch manipulierten Lebensmittel in ihren Filialen. Müssen wir da nicht eigentlich froh sein, Konzerne zu haben, die, einmal auf den Weg gebracht, schließlich weltweit die Forderungen der westlichen Verbraucher umsetzen könnten? Kleins fröhliche Anleitung zum Antiglobalismus legt sich leider keine Rechenschaft ab darüber, wie sehr man sich gerade an der Tatsache freut, die man am schärfsten kritisiert, der Stärke und Verbreitung des Gegners nämlich, weil er dem Protest selbst das Gefühl gibt, stark zu sein und weltweit zu operieren. So subjektiv befriedigend es sein mag, das CK-Label aus der Unterhose zu entfernen - stört das den Konzern beim Verkauf seiner Waren denn wirklich?
Im Stadtbild bot der real existierende Sozialismus einst noch die Illusion einer markenlosen Welt, in der die bloßen Produkte im Zentrum standen. "Milch", "Fleisch", "Fisch" und "Obst" stand auf den Geschäften, die, so die Ironie der Geschichte, jenes Waren-Versprechen nicht immer einhalten konnten. Als 1989 McDonald´s auf dem Puschkin-Platz in Moskau eine Filiale eröffnete, sagten viele "Hardliner" den Untergang des Sozialismus voraus, der ja dann auch nicht lange auf sich warten ließ. Zwar war es nicht das große M, das ihn in die Knie gezwungen hat, aber der ungestillte Markenhunger der Bürger hat eine nicht unwesentliche Rolle in dieser Entwicklung gespielt.
Gerade dort, wo der öffentliche Raum von ganz anderen Kräften besetzt ist, scheinen paradoxerweise die Supermarken ihre Aura am nachhaltigsten entfalten, ebenso dort, wo die Kaufkraft eher gering ist: bei den Unterprivilegierten der europäischen Vor- und der amerikanischen Innenstädte, in den Außenbezirken der Weltwirtschaft, wo zugleich die Coolness-Jäger der Firmen die neuesten Imagetrends aufspüren. So tragen die "Kids" aus den interessanten, weil unsteten Gegenden zum "coolen" Image der Marken bei, an deren Versprechungen sie sich in ihrem Mangel zugleich vehement klammern.
Klein warnt vor der Privatisierung der fortschrittlichen Ideen wie Gleichberechtigung, Demokratie und Freiheit durch die Marken, die so ihren realen politischen, gesellschaftlichen Grund verlieren. Ältere Generationen erkennen darin die gute alte Konsumkritik von der Pseudobefriedigung und Ruhigstellung der wahren Bedürfnisse durch die Warenwelt. Das Beispiel Osteuropas aber hat gezeigt, dass dem Fetischcharakter der Markenprodukte eine Ambivalenz innewohnt: Kein noch so mit Bedeutung aufgeladener Turnschuh kann das Bedürfnis nach Freiheit befriedigen. So wird zum Kauf von weiteren Schuhen angeregt, zugleich aber auch der Wunsch weiter wachgehalten. Die Werbewelt ist ein falsches Paradies, in dem die Ideale des echten wie verzerrt auch immer ablesbar bleiben, zum Beispiel in der Coca-Cola-Flasche.
Naomi Klein: NoLogo. Bertelsmann Verlag, München 2001, 480 S. 48,- DM
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