Um es gleich vorauszuschicken: Der Film ist natürlich eine Enttäuschung. Er wird dem Hype nicht gerecht, der um ihn gemacht wird. Wer ihn aus Interesse an den essentiellen Themen und Konfliktlagen unserer heutigen Welt anschaut, in der Hoffnung, etwas über den Nahostkonflikt im Speziellen oder gar den Terrorismus im Allgemeinen zu erfahren, wird das Kino wohl kaum klüger als vorher verlassen. Ganz nach Ausgangslage werden die einen genervt sein, die anderen zufrieden und die dritten gleichgültig. Das kann auch gar nicht anders sein. Denn München ist nur ein Film.
Die Enttäuschung hat zwei Hauptursachen: Zum einen wird nach dem Film deutlich, dass ein großer Teil der Diskussionen im Vorfeld schlichtweg am Thema vorbeiging. Er habe nicht mit den Angeh
t mit den Angehörigen der Opfer gesprochen, hielt man Spielberg vor - aber München beschäftigt sich nicht mit dem Attentat selbst, sondern der israelischen Racheaktion danach. Er habe die historische Wahrheit verfälscht, hieß es auch - aber wie will man das einem Film nachweisen, der freimütig zugibt, "inspiriert" zu sein von "realen Geschehnissen" und weder seine Vorlage, George Jonas´ Vengeance - The True Story of an Israeli Counter-Terrorist Team verschweigt, noch die Tatsache, dass man eine und nicht die Geschichte erzählen wollte?Die zweite Quelle der Enttäuschung hat mit dem zu tun, was man die Haltung des Films nennen könnte. Klagen darüber waren von beiden Seiten zu hören: den einen war er nicht pro-israelisch genug, den anderen nicht ausreichend pro-palästinensisch. Das zweifache Ungenügen schien immerhin anzuzeigen, dass München genügend "politisch korrekt" sei. Doch seltsamerweise enttäuscht der Versuch, beiden Seiten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auch den vermeintlich "Objektiven", und erzeugt das unbestimmte Gefühl, die Schärfe des Konflikts nicht wirklich angemessen wiederzugeben. Aber schließlich ist München ja auch nur ein Film.Entgegen dem, was in den letzten Tagen häufig zu lesen war, liegt Spielberg mit seiner political correctness im Übrigen ziemlich im Hollywood-Mainstream. Nach dem 11. September 2001 nämlich ist dort große Sorgfalt eingekehrt, was die Behandlung von stereotypen Feindbilder aus dem Nahen Osten angeht. Vertraten "Araber" vorher oft idealtypische Bösewichter, sind sie seit 2001 verpflichtet auf die Rolle der verdächtigten Unschuld. Wo immer im Film heutzutage ein Araber ein Flugzeug besteigt, begleiten ihn zwar stets die misstrauischen Blicke der übrigen Filmfiguren, der Zuschauer jedoch kann sicher sein, dass es sich dabei um eine falsche Fährte handelt.Er habe den Vereinfachern nicht das Feld überlassen wollen, sagt Spielberg in seinen Interviews zum Film immer wieder. Das ist nicht ohne Ironie aus dem Mund eines Regisseurs, den man genau darin für groß hält: im Vereinfachen. Spielbergs Filme waren nie intellektuellen Großtaten, aber eben auch kein dummes Spektakelkino. Deshalb kann die ebenfalls im Umfeld von München geäußerte Ankündigung, er habe endlich etwas Ernsthaftes machen wollen, die Fans nur düpieren. Tatsächlich zeichnete Spielberg aus, dass er seine Sache, seien es weiße Haie, Dinosaurier oder Außerirdische, stets sehr ernst nahm. Die Filme, mit denen er früher bereits ins "Seriöse" gewechselt war, Der Soldat James Ryan und Schindlers Liste, sind darüber hinaus beste Beispiele dafür, dass "ernst" nicht gleichbedeutend mit kompliziert sein muss. Beide Male gelang es Spielberg mit sozusagen kindlichem Gemüt den Nerv der Zeit zu treffen. Und mit München, der "Hype" um den Film ist der beste Beweis dafür, ist ihm das ein weiteres Mal gelungen. Trotz alledem ist der Film übrigens sehr sehenswert.Eigentlich hätte Spielberg es sich leicht machen und "einfach" einen Film über das Attentat drehen können. Was für ein dramatisches, markerschütterndes Stück Kino daraus hätte werden können, führt Spielberg mit der Eingangssequenz von München vor, in der er in einer Collage aus Spielszenen und Archivaufnahmen den verhängnisvollen Hergang rekapituliert. Schnell wird dabei klar, dass sich der Regisseur weder für die taktischen Fehler der deutschen Polizei noch für die der Politiker oder der involvierten Medien interessiert, sondern allein für die Konfrontation von Opfern und Tätern, Israelis und Palästinensern. Die Opfer verhalten sich heldenhaft - einer könnte aus dem Fenster entkommen, macht dann aber kehrt und versucht Widerstand zu leisten, was ihn prompt das Leben kostet. Die palästinensischen Entführer sind rüde, hektisch und ungeübt. Spielberg zeigt sie einmal nicht als zynische, machtgeile Spieler, sondern als Getriebene.Der eigentliche Film aber beginnt erst nach dem katastrophalen Ausgang der Entführung. Er handelt von einer geheimen Mission und dementsprechend fühlt man sich zunächst in einen James Bond Film versetzt: Mossad-Agent Avner (Eric Bana) bekommt den Auftrag, als Kopf einer Brigade elf für das Münchner Attentat Verantwortliche aufzuspüren und zu töten. Zuerst ein williger Soldat seines Landes, steigen in Avner mit zunehmendem Missionserfolg immer größere Zweifel auf.Die moralische Zwiespältigkeit dieser Racheaktion bildet das eigentliche Thema des Films: Nach dem ersten gelungenen Attentat sitzen Avner und sein Team in Rom im Straßencafé und philosophieren melancholisch darüber, ob man auf einen Mord anstoßen darf. Beim zweiten Attentat beweisen sie sich und uns Zuschauern ihre Menschlichkeit, indem sie fast um den Preis des eigenen Auffliegens in letzter Minute verhindern, dass die kleine Tochter der "Zielperson" mit in die Luft fliegt. Auch die dritte Zielperson erweist sich als typisch menschlich, indem sie, unmittelbar bevor die Bombe ausgelöst wird, den Hotelzimmernachbarn Avner um Feuer bittet. Die Attentäter mit Staatsauftrag beginnen sich zu fragen, ob es richtig ist, was sie da tun, und ob ihre "Zielpersonen" auch tatsächlich schuldig sind. Dass die Tätigkeit im Rachebusiness nicht ohne Folgen für ihre Persönlichkeiten bleibt, zeigt der Film schließlich in seiner bizarrsten Episode, in der die Männer den Mord an einem ihrer Mitstreiter "auf eigene Faust", wie es so schön heißt, rächen. Dass es sich diesmal bei ihrem "Ziel" um eine Frau handelt, macht die Sache nicht schöner.Man, der Zuschauer, weiß dabei immer, was man zu fühlen hat: Zwiespalt. Tragik. Spielberg illustriert die Konfliktlage mit recht herkömmlichen Bildern: Blut und Milch mischen sich auf dem Boden des ersten Tatorts - verloren ist die Unschuld. Avner, ein Hobbykoch, bereitet seinen Mitstreitern immer überbordendere Mahle, die immer weniger angerührt werden - Rache ist ein Gericht, das auf den Magen schlägt. Von Tod zu Geburt schließt sich der Kreis, wenn Avner sein neugeborenes Baby im Arm hält, genauso vom September 1972 zum September 2001, wenn im Hintergrund des Schlussbilds die Türme des World Trade Centers zu sehen sind. Stets weiß man, was gemeint ist, einen tieferen Sinn muss man allerdings nicht vermuten.Wirklich interessant wird der Film jedoch in jenen Passagen, in denen die Absichten weniger klar sind. Da ist zum einen der Räuber-Charme, der cineastische Outlaw-Glamour, den die fünf Männer entwickeln. Der Macho Steve (Daniel Craig), der Kindskopf Robert (Mathieu Kassovitz), der alte Melancholiker Hans (Hanns Zischler), der verschlossen-steife Carl (Ciaran Hinds) und der ewig brütende Avner: Einzeln genommen sind sie eine kuriose Ansammlung männlicher Untugenden, zusammen ergeben sie ein erschreckend flottes Team, das man als Zuschauer geradezu anfeuern und bejubeln möchte - bevor man realisiert, dass man dabei vielleicht eben jener Illusion der Stärke aufsitzt, die die Gewaltspirale immer weiter treibt.Die frivole Aura der siebziger Jahre wird liebevoll in Szene gesetzt, die europäischen Schauplätze tun ihr Übriges: Berlin, Rom, Paris, London, Athen. Wie im Vorübergehen bietet der Film dabei eine Riege europäischer Schauspieler auf, die man in einem Spielberg-Film nicht erwartet und die auf angenehme Weise irritieren: Meret Becker schimpft in West-Berlin auf den Kapitalismus, während Moritz Bleibtreu als Jugendfreund Kontakte zu Ivan Attal verschafft, der schließlich Avner mit dem von Matthieu Amalric gespielten Louis bekannt macht, der rätselhaftesten Figur des Films. Louis verkauft Logistik und Informationen, aber seine kurzen Gespräche mit Avner verraten, dass er Prinzipien hat. Später stellt er Avner seinem "Papa" (Michael Lonsdale) vor. "Wir arbeiten nicht für Regierungen", ist das Credo der Familie, deren Weltanschauung Avner und dem Zuschauer ein irritierendes Geheimnis bleibt.Dabei sind es Louis und sein "Papa", die die eigentliche Arbeit machen: Sie spüren die von Avners Team gesuchten Leute auf, buchen die Unterkünfte und besorgen den Sprengstoff. Die Logistik lassen sie sich teuer bezahlen, aber bis zum Schluss können sich die Israelis nie sicher sein, ob sie von Louis nicht betrogen oder zumindest benutzt werden. Nur einmal werden sie ganz offensichtlich von ihm hinters Licht geführt: In der Nacht vor einem Attentat dringt in die konspirative Wohnung in Athen, in der Avners Team auf Matratzen nächtigt, ein Trupp Palästinenser ein, der darauf beharrt, hier ebenfalls von Louis gebucht zu sein. Die Israelis geben sich als europäische Linksradikale aus und in vermeintlicher Gleichgesinntheit teilt man das Nachtlager. Bei nächtlicher Zigarettenpause kommt es zum Gespräch zwischen Palästinenserführer Ali und Avner. Ali redet von Vertreibung und Flüchtlingslagern und davon, wie bitter es ist, keine Heimat zu haben.So plump, plakativ und ausgedacht die Szene auch sein mag, belegt sie wie keine andere die Schwierigkeit, wenn nicht Unmöglichkeit des Dialogs. Nicht nur, dass der Palästinenser hier nur deshalb redet, wie er redet, weil er nicht weiß, dass ihm ein Israeli gegenüber sitzt; auch der Israeli kann nur zu hören, weil er sich hier als jemand anderes ausgibt. Für beide Seiten gibt es immer nur ein kollektives "Wir", dem das kollektive "sie" der Feinde gegenüber steht. Mit "ihnen" aber spricht man nicht; man spricht allenfalls über sie. Als Ali und Avner sich ein paar Szenen später im Bewusstsein in die Augen sehen, nun zu wissen, wer der andere ist, endet das für einen der beiden zwangsläufig tödlich. Die Hoffnung, dass die gegnerischen Seiten miteinander sprechen, einander verstehen könnten, macht der Film mit der typischen Paranoia des Thrillers, in der am Ende jeder jedem misstraut, zunichte. Aber es ist ja auch nur ein Film.
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