Die Debatten um die Besetzung des Kultursenators in Hamburg und Berlin bezeugen den Niedergang eines Traumberufs. Was man sich einst als würdiges Amt vorstellte, das seinem Inhaber erlaubte, in die Rolle des umworbenen Mäzens zu schlüpfen, hat sich in den allseits unbeliebten Job des Überbringers schlechter Nachrichten verwandelt. Wo sich früher Menschen im Glanze ihrer verdienstvollen Aufgaben sonnten - dem Wahren, Schönen, Guten - versteckt man sich heute hinter Sparzwängen. Konzeptlosigkeit wird der Kulturpolitik vorgeworfen; mit mangelndem Gestaltungsraum wegen Schuldnerpflichten wird dieser Vorwurf von Seiten der Politik zurückgegeben. Wo immer hier die Ursache und wo die Wirkung liegen, ob bei der nicht vorhandenen Idee oder den fehlenden Mitteln, sie umzusetzen, ist doch eines unverkennbar: Die Kulturpolitik steckt in der Krise. An ihr aber zeigt sich eine tiefer gehende Veränderung. Schon jetzt ist abzusehen: So wie früher wird es nie mehr werden.
Die Saga der alten Bundesrepublik beschreibt es so: Nach der großen Erschütterung des II. Weltkriegs betrieb der Staat zunächst mit seiner Kulturförderung dezentrale Traditionspflege; Kultur - das war der Bereich des Unpolitisch-Besinnlichen, Höherstehenden. Dann kam die Studentenrevolte und in der Folge setzte sich ein anderes Kulturverständnis durch, das fortan nicht nur Hochkultur fördern wollte, sondern auch die Alltags- und Populärkultur: die "Soziokultur" war erfunden. Hilmar Hoffmanns "Kultur für alle" bildete mit Willy Brandts "Mehr Demokratie wagen" den Leitsatz jener verklärten Epoche beschleunigten bundesdeutschen Modernisierens. Der Bruch mit den alten kulturellen Hierarchien erschien als Bereicherung; der prosperierende Staat leistete sich viele Kulturen. Eine ungewollte Folge war allerdings der damit einhergehende Statusverlust der Künste. Wo die Hochkultur im alten Sinne eine "heilige Kuh" war, erschienen die vielen Akteure der Soziokultur als unübersichtliche Menge, die es verwaltungstechnisch in den Griff zu bekommen galt.
Für die DDR war der Bereich der Kultur dagegen von Anbeginn und bis zum Ende von staatstragender Wichtigkeit. Kulturförderung war hier weder Sinnsurrogat noch ergänzende Sozialarbeit: Sie war die Stelle, an der der Staat sich beweisen musste. In dieser Perspektive wurde jeder Kulturschaffende zum "Staatsvertreter" und war zugleich "Volksvertreter", wurde jedes Kunstwerk in seinen Aussagen diesbezüglich sehr ernst genommen. Der Druck war groß, der Status dafür enorm. Als sie noch in weiter Ferne schien, stellten sich die Kulturschaffenden hier wie dort die Wiedervereinigung deshalb als ideale Synthese vor: Die Freiheit und Diversifikation im Westen mit der gesellschaftlichen Wichtigkeit der Künste im Osten. Eine Hoffnung, die sich schnell als bloße Illusion erwies: Die Einheit vollzog sich unter der Preisgabe des einen wie des anderen. Den Sparzwängen wird die kulturelle Vielfalt geopfert; wirklich wichtig ist sie nicht mehr.
Der mit dem Ende des Kalten Krieges erlittene Funktionsverlust scheint unwiederbringlich: Auf beiden Seiten war die Kultur ein Repräsentationsfeld der jeweiligen Überlegenheit, dementsprechend großzügig wurde verfahren. Dass mit Kultur Demokratiewerbung und Imagepflege betrieben werden könnte, wird heute noch geglaubt, aber immer weniger umgesetzt. Der scheidende Präsident des Goethe-Instituts Hilmar Hoffmann rechnete kürzlich vor, dass man von den Kosten des Bundeswehreinsatzes in Zentralasien die Arbeit des gesamten Goethe-Instituts für zwei Jahre finanzieren könnte. Das Beispiel mutet so überzeugend wie nostalgisch an: Die Zeit, in der die Rüstungsmilliarden gegen die Kulturmilliönchen ins Feld geführt wurden und erstere eine todessüchtige Verschwendungsökonomie, letztere aber eine Überschussproduktion darstellten, scheint endgültig vorbei.
Denn aus den Diskussionen der diversen Sparpläne wird vor allem eines deutlich: "Zwecklosigkeit" stellt keine hinreichende Legitimation für Kultur mehr dar. Heute muss sie mindestens das Medium zur Konfliktlösung abgeben - auch international im "Kampf der Kulturen", dann wird vielleicht das Goethe-Institut in Kabul neu eröffnet.
Wo der Zweck klar bestimmt ist, werden die Mittel gegengerechnet: Billig und effizient soll Kultur nun hergestellt werden, wie alle übrigen Güter eben auch. So liest man in den Gutachten zur Kulturförderung immer weniger über Entwicklungen und Inhalte der Künste und desto mehr über neue Rechtsformen, die vor allem das Ziel haben, den Angestellten des Kulturbetriebs zu ermöglichen, unter Tarif zu arbeiten und leichter kündbar zu sein.
Gefördert wird Kultur heute im abgesteckten Rahmen - als weicher Standortfaktor, der zur Lebensqualität beiträgt und als Touristenattraktion für Umsatzsteigerungen sorgt. Jede Kulturinstitution muss sich heute dementsprechend vorrechnen lassen, wie viel Arbeitsplätze sie schafft, welchen Werbeeffekt sie ausstrahlt und wie viel Folgekosten sie verursacht. Den Theatern hält man gern vor, mit wie viel Euro eine Karte subventioniert wird. Was aber sagt diese Zahl aus? Dass jenes Theater, welches den Staat vier Euro pro Karte kostet, besseres Theater macht, als das mit 120 Euro Zuschuss?
Mit Kürzungen im Kulturhaushalt verliert man heute keine Wähler mehr; in solchen Rechnereien kommt ein allgemeiner Zeitgeist zum Ausdruck, der nur noch dafür bezahlen will, wovon unmittelbar profitiert werden kann. Keine Stadt stellt sich heute mehr hinter ihr Theater, sondern allenfalls noch die Theatergänger. Wo man selber lange nicht war, kann getrost geschlossen werden.
Wir erleben eine paradoxe Entwicklung: Inmitten einer reichen Gesellschaft lässt man die Kultur verarmen, drängt sie in die Abhängigkeit von Sponsoren und Imagekampagnen und nimmt ihr so den Atem zur langfristigen Entwicklung. Solange man sie nicht um ihrer selbst Willen, sondern als Tourismuswerbung oder Trendressource will, ist es um die Kultur schlecht bestellt. Es könnte in Vergessenheit geraten, dass das "Schöne" kein angenehmes Erlebnis, sondern eine essentielle Erfahrung ausdrücken sollte, das "Wahre" keine aktuelle Nachricht, sondern Erkenntnis bedeutete, und das "Gute" nicht als moralische Überlegenheit, sondern als in allen angelegte Neigung begriffen wurde.
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