Eigentlich ist Ioannis Mouzalas nur griechischer Migrationsminister. Was aber die Realität von ihm verlangt, ist vielmehr der Posten eines Migrationsministers der Europäischen Union. Wenn es nach dem Gros der EU-Parlamentarier geht, sollten die griechische Syriza-Regierung und ihr zuständiger Minister höchstselbst dafür sorgen, dass keine Flüchtlinge mehr auf europäischem Boden landen. Mouzalas hat für diese Haltung kein Verständnis: „Die Flüchtlingskrise ist keine griechische Angelegenheit, sondern es gibt eine europäische Verantwortung. Griechenland ist wegen seiner geografischen Lage das Tor zur EU. Hier muss das Prinzip der europäischen Solidarität greifen“, sagt Mouzalas dem Freitag. Derzeit sitzen jedoch immer noch tausende Flüchtlinge im griechischen Idomeni an der Grenze zu Mazedonien fest. Die EU hat für diese Menschen keine Lösung gefunden, die griechische Regierung will sie nun in andere Lager bringen. Doch die meisten Menschen weigern sich, zu gehen. Sie wollen die Hoffnung nicht aufgeben, doch noch weiterzukommen. Flüchtlinge, die neu auf der Insel Lesbos ankommen, sollen nach den jüngsten EU-Beschlüssen nun möglichst schnell in die Türkei abgeschoben werden. Die Hilfsorganisationen Oxfam und Ärzte ohne Grenzen haben aus Protest gegen die katastrophalen Zustände auf Lesbos ihre Arbeit eingestellt.
Es sind schwierige Zeiten für Mouzalas. Dabei hätte der 61-Jährige ahnen können, auf was er sich einließ, als er im August 2015 ins Amt gehievt wurde. Als bis zu 10.000 Menschen täglich auf den Ägäis-Inseln landeten. Länger als einen Monat sollte Mouzalas den Job gar nicht machen. Er war die Übergangslösung in der Übergangsregierung von Premierministerin Vasiliki Thanou-Christofilou, die sich kurzfristig finden musste, nachdem Alexis Tsipras Neuwahlen angekündigt hatte. Politiker war Mouzalas nie gewesen. In einer Partei auch nicht. Er ist Arzt, Gynäkologe. Einer der bekanntesten in Griechenland. Immerhin: Krisenerprobt ist er ganz bestimmt. Er hat die griechische Abteilung der Organisation „Ärzte der Welt“ mitgegründet und war auf 25 Missionen weltweit unterwegs. In Somalia, in Ägypten, auf Haiti, im afghanischen und im syrischen Bürgerkrieg. Seit einem Einsatz im Irak humpelt er auf dem linken Bein, eine Kugel hat den Schenkel durchschlagen. Wahrscheinlich kennt kein anderer Minister das Leid der Menschen, die nach Europa kommen, so gut wie Mouzalas. „Auf den Missionen mussten wir Operationen unter schlimmsten Umständen durchführen, mit Mangel an Medikamenten klarkommen und mit fehlender Infrastruktur“, erinnert er sich. Und vielleicht ist er gerade deshalb der richtige Mann, um die Flüchtlingsproblematik zu lösen. Politisch und vor allem: menschlich.
Keine Woche nach seinem Amtsantritt legte er einen Vier-Punkte-Plan vor: Schaffung von neuen Stellen, um die Migrationsbewegungen zu koordinieren; verbesserte logistische und medizinische Unterstützung in den Erstaufnahmestellen; Geld, um die lokale Wirtschaft auf den betroffenen Inseln zu unterstützen; und Zugriff auf europäische Gemeinschaftsfonds und Solidaritätsprogramme. Im Februar wurden die letzten Hotspots eröffnet, die der Identifizierung und Umverteilung von Geflüchteten dienen sollen. Die Infrastruktur wurde notdürftig ausgebaut. Die Inseln profitieren inzwischen von den Journalisten und freiwilligen Helfern, die Geld in die Wirtschaft spülen. Und die europäische Solidarität? Auf die wartet Mouzalas vergeblich. Nach Angaben des Ministeriums hat das finanzkrisengeschüttelte Griechenland in den letzten zweieinhalb Jahren mehr als 2,7 Milliarden Euro aus dem eigenen Haushalt aufgebracht für die Flüchtlingskrise. Aus europäischen Fonds hingegen floss im vergangenen Jahr nur ein Bruchteil der Summe: 33 Millionen Euro.
Und die Migrationsbewegungen reißen nicht ab. Allein in diesem Jahr sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks schon mehr als 140.000 Flüchtlinge über den Seeweg nach Griechenland gekommen. Der Großteil der Menschen will nicht in Griechenland bleiben. Das macht die Griechen zum Sündenbock für die osteuropäischen Staaten und für Österreich. Aus Wien kritisierte Kanzler Werner Faymann zuletzt: „Es geht nicht, dass Griechenland wie ein Reisebüro agiert und alle Flüchtlinge weiterschickt. Griechenland hat letztes Jahr 11.000 Flüchtlinge aufgenommen, wir 90.000.“ Jetzt macht Österreich Ernst. Nur noch 80 Menschen pro Tag dürfen in den Alpenstaat, was einen Dominoeffekt der Grenzschließungen auf dem Balkan auslöste. Das Resultat: Am griechisch-mazedonischen Grenzzaun hausen die Menschen unter unmenschlichen Bedingungen. Niemand weiß dort, wie es weitergehen soll. So viel Zynismus verbittert den griechischen Migrationsminister. In einem Interview mit Euronews zeigt er sich ratlos: „Österreich hatte ursprünglich den EU-Plan unterstützt, demzufolge keine Grenzen geschlossen, sondern Flüchtlinge registriert und umverteilt werden sollten. Der Plan wurde nicht umgesetzt, weil einige Mitgliedstaaten, zu denen auch Österreich gehört, nationale Lösungen suchen. Österreich war ein befreundetes Land, jetzt handelt es feindlich.“ So feindlich, dass die griechische Regierung gleich den Botschafter aus Wien abbestellte.
Als letzte Verbündete ist den Griechen in der Flüchtlingsfrage die deutsche Kanzlerin geblieben. „Frau Merkels Kurs ist menschlich, wie es eines Europas der Aufklärung würdig ist“, meinte Mouzalas kürzlich in einem Interview. Und was macht Griechenland? Dem Freitag sagt der Migrationsminister: „Unsere Marine ist in der Lage, die Küste zu schützen. Wir werden auch in Zukunft alles dafür tun, um die schutzbedürftigen Menschen aus dem Meer zu retten.“
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