How to: Konservativ argumentieren

Diskurs „Sozialismus!“-Rufe, Veganerwitze und der Status Quo: Konservative sind selten um eine lautstarke Meinungsäußerung verlegen. Aber was sagen sie eigentlich?

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In lästiger Regelmäßigkeit stolpert man in Twitter-Diskussionen, mittelmäßigen Zeitungen oder dem sogenannten richtigen Leben über die gleichen Argumentationsmuster von konservativer Seite. Im Folgenden geht es darum, wie diese Muster aussehen und warum sie trotz ihrer Inhaltsleere funktionieren. Ich beziehe mich dabei (trotz argumentativer Schnittmengen) nicht auf explizit Rechtsradikale und selbstverständlich auch nicht auf alle konservativen Ansichten, sondern eher auf die laute, unreflektierte Sorte, die man aus Kolumnen, gewissen Satiresendungen oder einschlägigen Talkshows kennt.

Der Kampf um den eisernen Tellerrand

Was die absolute Mehrheit konservativer Menschen eint, ist, dass sie sich in der politischen Mitte wähnen und darauf aus irgendeinem Grund stolz sind. Was in der Mitte ist, ist gut, was zu weit von der Mitte weg ist, ist zu extrem. Dass diese Ansicht weitgehend akzeptiert ist, hat vermutlich zum einen damit zu tun, dass wir alle ein Bedürfnis nach Sicherheit haben und radikalere Ansichten immer etwas mit Bewegung zu tun haben. Diese Bewegung ist anstrengend und riskant und wer eh schon in einem Klima der Angst lebt, ist vielleicht verständlicherweise weniger risikobereit. Zum anderen verbinden wir diese Art von Bewegung nicht unbedingt mit etwas Gutem. Alle Gesellschaften, die sich zu weit von der Mitte weg bewegt haben, sind scheinbar im Chaos, mitunter in Szenarien wie dem dritten Reich oder dem Stalinismus gelandet. Und das ist der dritte Punkt: Der Status Quo, die angeblich gemäßigte Mitte wird als alternativlos dargestellt. Entweder das oder der Untergang. Umso näher man an der Mitte bleibt, umso besser sei es für alle.

Allerdings gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass die Mitte prinzipiell besser ist als die Extreme. Einerseits hängt die Mitte immer davon ab, wie extrem gerade die Extreme sind, was man unschwer daran erkennt, dass die Mitte sich in den letzten Jahren ordentlich nach rechts verschoben hat. Zum anderen ist etwas nicht wahrer oder besser, nur weil es gerade der Status Quo ist. Allerdings geht die Erhaltung des Status Quo ohne großen Lärm vonstatten. Gemäßigte ältere Leute in seriöser Kleidung erklären ruhig und sachlich, was los ist. Diese ruhige Sachlichkeit, die manchmal eine Aura von Weisheit, manchmal eine Prise kumpelhaften Humor enthält, halten wir für vernünftig. Nicht wegen der Inhalte, sondern wegen der Art. Die Idee, dass Gelassenheit ein Zeichen von Vernunft ist, die Äußerung von Emotionen aber nicht, hält sich schon seit Jahrhunderten. Eigentlich ist Gelassenheit aber nichts weiter als ein Zeichen davon, dass einen gerade nichts stört, eine Gemütsverfassung von Menschen, die einverstanden sind. Und einverstanden sind in der Regel die Privilegierteren.

Die Grundlage konservativen Glaubens ist (notwendigerweise) die Ansicht, dass alles okay ist, so wie es ist, oder zumindest so, wie es vor kurzem war, bevor irgendwelche verirrten Linken, Grünen o. Ä. angefangen haben, Lärm zu machen. Das, was gerade ist oder vor kurzem noch war, wird von den meisten für das Normale gehalten, für alles was geht. Deshalb funktioniert auch das nächste Argumentationsmuster, nämlich der Rekurs auf die Alltagswelt der Mehrheit.

Statt wirklich zu argumentieren, setzt man neue, abweichende Ideen in Kontrast zu dem, was die meisten kennen. Das tun vor allem Menschen, die witzig sein wollen oder sich als Satiriker*innen missverstehen. So redet man von Gendersternchen oder vom Konzept Gender überhaupt, erklärt, wie komisch sich Veganer*innen ernähren oder macht sich darüber lustig, dass sich manche Personen z. B. als nicht-binär bezeichnen. Wie ein Alman-Opa, der einen ausländischen Namen prinzipiell langsam und umständlich ausspricht, markiert man abweichende Ideen als komisch. Damit hat man zwar in der Sache nichts gesagt, aber das muss man auch nicht, denn die meisten anderen werden es auch ohne nachzudenken komisch finden und so hat das Ganze zumindest die Auswirkungen eines Arguments.

Das generelle Normalfinden dessen, was gerade ist, geht Hand in Hand damit, progressiven Gruppen vorzuwerfen, sie hingen einer Ideologie an. Der Status Quo ist normal und wer ihn anzweifelt, hängt einer grünen/linken/identitätspolitischen/veganen/… Ideologie an. Die Realität wie sie ist, ist normal und natürlicherweise so und jede andere Realität kann nur eine ideologische Verzerrung dieser eigentlichen normalen Realität sein.

Kein Wort über die Sache

Da jede andere Ansicht nur eine Ideologie ist, muss man sich auch nicht wirklich mit dieser Ansicht auseinandersetzen und tut das dann auch nicht, wie an einem aktuellen Beispiel unangenehm deutlich wird: Ende März erzählte die Grünen-Politikerin Bettina Jarasch auf einem Parteitag, dass sie als Kind hatte „Indianerhäuptling“ werden wollen. Da Angehörige indigener Völker den Begriff „Indianer“ mitunter als kränkend empfinden und er eine koloniale Fremdbezeichnung ist, wurde sie dafür kritisiert. Als Reaktion darauf entschuldigte sie sich und sagte, dass auch sie dazulernen müsse. Eigentlich ein Paradebeispiel für gute Fehlerkultur.

Die ganze Sache wurde in den Medien extrem breit aufgemacht. Allerdings nicht, um darüber zu sprechen, dass der Begriff trotz seines kolonialistischen Hintergrunds noch verwendet wird, oder darüber, dass es immer noch akzeptiert ist, Kinder an Fasching als „Indianer“ zu verkleiden, weil das ja so ein lustiges Volk ist und damit kulturelle Aneignung betrieben wird. Im Gegenteil ging es (mal wieder) um die Frage, was man denn noch sagen dürfe, um schockierte Deutsche („Aber ich hab das schon immer gesagt! Jetzt werde ich aber sehr stark eingeschränkt!“) und die ach so schlimmen Praktiken bei den Grünen, wo man tatsächlich für solche Dinge kritisiert werden kann. Die Kritik wurde als Shitstorm etikettiert und der Diskussionsschwerpunkt auf die privilegierten Deutschen verschoben. Ein besonders besorgter Autor verglich das Ganze sogar mit stalinistischen Schauprozessen. (Ich werde hier absichtlich keinen der Artikel verlinken, aber wenn man googelt, wird man sehr schnell fündig.)

Ähnlich ist das bei Diskussionen um gendergerechte Sprache, wo sich allzu häufig darauf konzentriert wird, wie unglaublich schwer lesbar ein gegenderter Text ist und kaum darauf, dass sich manche Personen von der Sprache ausgeschlossen fühlen, wie Sprache Realität schafft etc. Äußerungen über Veganismus beschränken sich im konservativen Milieu sehr häufig auf Aussagen über ach so schwache, ungesunde Körper, Gejammere über die bösen, militanten Veganer*innen und Biomarktwitze, statt über Krebs, die Umwelt und vor allem Tierausbeutung zu sprechen.

Was ist mit den anderen?

Um nicht auf das Thema an sich eingehen zu müssen und zu offenbaren, dass man dazu nicht wirklich etwas zu sagen hat, lenkt man die Diskussion auf andere Dinge. Um die eigene Gleichgültigkeit der Sache bzw. den Betroffenen gegenüber nicht allzu offensichtlich zur Schau zu stellen, geben sich Konservative dann gern besorgt um eine andere Gruppe, die angeblich von den Linken/Feminist*innen/… bedroht wird. Diese Gruppe sieht sich zwar selbst oft überhaupt nicht bedroht und ist dem*r besagten Konservativen ansonsten auch herzlich egal, aber für die Instrumentalisierung taugt sie schon mal. So hat man sich in der Corona-Krise ganz plötzlich für die armen Kinder oder die psychisch Kranken interessiert, komischerweise vor allem dann, wenn es um Öffnungen ging. Wenn es um die Kritik an binären (Mann/Frau) Geschlechtervorstellungen geht, entdeckt Jan Fleischhauer plötzlich den Feminismus für sich oder zumindest das, was er dafür hält. Wenn ein*e Politiker*in zugunsten des Klimaschutzes dafür plädiert, Flugreisen teurer zu machen, kommt ein*e andere*r plötzlich mit finanziell Benachteiligten. Insgesamt hat sich in diesem Zusammenhang ja der Mythos etabliert, Umweltschutz wäre etwas, das vor allem zu Lasten der Arbeitenden gehen müsste. Und in der Diskussion um gendergerechte Sprache entdecken manche Konservative plötzlich, dass es Legastheniker*innen und autistische Menschen gibt.

Verschiedene Gruppen werden gegeneinander ausgespielt, wie man es gerade braucht, um am Ende so tun zu können, als wären die eigenen (progressiven) Gegner*innen die Schlimmsten und nicht man selbst. Jeden Tag resümiert irgendwo ein Kolumnist, eine Buchautorin oder ein „Satiriker“, dassVeganer*innen die schlimmsten Schäden anrichten, weil sie ja so viel Getreide essen, bei dessen Ernte Mäuse und Insekten sterben, dass antirassistische Aktivist*innen am rassistischsten sind, weil sie ach so böse zu den Weißen sind, dass Feminist*innen den Frauen schaden, weil sie sie von der Familie weg auf die Arbeit zwingen etc. etc. Dass das alles in der Regel argumentativ ziemlich peinlich ist, ist egal, denn es geht meist nur um die Bestätigung der eigenen Ansichten.

Rumopfern

Viel lieber und öfter redet man aber über sich selbst. So sitzt ein (natürlich nur aus Versehen) von Rechten und Corona-Leugner*innen gefeierter Millionär namens Jan Josef Liefers in einer Talkshow und erzählt erst mal eine Viertelstunde lang von seinen persönlichen Oberschichtsbefindlichkeiten, während außerhalb des Studios Menschen in Einsamkeit auf Intensivstationen sterben, andere wochenlang (oder für den Rest ihres Lebens) an den Symptomen leiden und wieder andere zu Arbeiten gezwungen werden, in denen sie kaum vor der Krankheit geschützt sind. Andere fragen, statt um Rassismus, Frauenfeindlichkeit oder den Klimakollaps besorgt zu sein lieber „Muss ich denn jetzt immer gendern?“, „Darf ich als weißer Mann denn überhaupt noch existieren?“, „Wird man mir bald mein Auto wegnehmen?“ oder Ähnliches.

In Bezug auf Geschlechterrollen (und es scheint auf andere Bereiche übertragbar zu sein) spricht man in diesem Zusammenhang davon, dass sich privilegierte Gruppen in eine „strategische Minderheit“ begeben. Das heißt, man ahmt die Argumentationsmuster von Feminist*innen, Antirassist*innen etc. nach und tut so als wäre man selbst die unterdrückte Gruppe. Weil Minderheiten den Vorteil hat, die Herrschaft der anderen kritisieren zu können, tut man so als wäre man selbst eine Minderheit.

Besonders auffällig ist das, wenn Konservative (und Rechtsradikale) immer wieder die lächerliche Behauptung aufstellen, ihre Ansichten seien in den Massenmedien unterrepräsentiert und es gäbe einen linksgrünen Mainstream. Abgesehen davon, dass unsere linken und (leider sehr gemäßigten) grünen Parteien in den Umfragen allerhöchstens von einem Drittel der Deutschen unterstützt werden, ist auch die Zeitungslandschaft nicht gerade progressiv. Die Auflagenzahl der meistverkauften linken Tageszeitung taz ist gerade mal ein Vierundzwanzigstel so groß wie die der Bild. Ebenfalls im Ranking vor der taz sind SZ (immerhin liberal), FAZ, Handelsblatt und die Welt.

Bis zum linken oder grünen Mainstream ist es also noch weit. Aber dass ein solcher herbeigeredet wird, zeigt erstens, wie bedroht man sich fühlt, sobald die eigenen Privilegien infrage gestellt werden und zweitens, mit welchen Mitteln man gegen diese vermeintliche Bedrohung kämpft. Leider werden diese Narrative allzu oft übernommen und kleinste Banalitäten wie das offensiv uninformierte Lieferssche Gejammere über die Corona-Maßnahmen, die Frage, ob man das N-Wort sagen darf oder Diskussionen über Gendersternchen (die allein durch die Hysterie der Konservativen so riesengroß gemacht wurde) bekommen eine Plattform und werden behandelt wie richtige Probleme, während tatsächliche Diskriminierungsformen kleingeredet werden.

Sobald jemand widerspricht, bezeichnen einige Konservative (und Rechtsradikale sowieso) diesen Widerspruch gerne als „Sprechverbot“, „Meinungsdiktatur“ o. Ä. Man ist es nicht gewöhnt, sich mit Widerspruch auseinanderzusetzen, weil die eigene Meinung dem Status Quo entspricht, man sie für objektiv hält. Jeder Zweifel an der eigenen Machtposition wird als Bedrohung wahrgenommen, an Diskurs ist man nicht interessiert. Die eigene Position soll nicht diskutiert werden, weil ihr damit Macht und Selbstverständlichkeit genommen würden.

Äpfel mit Panzern vergleichen

Wem es nur darum geht, seine eigene Machtposition zu erhalten, der*die muss zwangsläufig jeden Diskussionsversuch bezüglich Diskriminierung etc. als Angriff wahrnehmen. Dementsprechend werden diese Versuche auch weniger als Diskurs und eher als Konkurrenzkampf gesehen. Das erklärt vielleicht den Verteidigungsdrang und die Tatsache, dass entsprechende Konservative sehr häufig überzeugt davon sind, Menschen, die gegen Diskriminierungen kämpfen, seien eigentlich nur aufmerksamkeitsgeil, egoistisch, böse, oder (im schlimmsten Fall) Teil einer Verschwörung. Dass es Antifaschist*innen, Feminist*innen etc. wirklich gut meinen könnten, kommt vielen gar nicht in den Sinn. Außerdem würde es die eigene Opferrolle in Gefahr bringen.

Aus dieser vermeintlichen Opferrolle resultieren die seltsamsten Vergleiche. Kritik an kolonialistischen Begriffen wird direkt mit stalinistischen Schauprozessen verglichen. Kritik insgesamt wird direkt zum Sprechverbot oder zum Shitstorm. Ganz schnell ist man auch beim dritten Reich, denn wer ein Buch scheiße findet, zögert bestimmt auch nicht, welche zu verbrennen. Linksradikale werden in akrobatischen Argumentationen auf eine Stufe mit Rechtsradikalen gestellt.

Die Argumente sind teilweise faszinierend schlecht, funktionieren aber trotzdem, weil sie auf fruchtbaren Boden fallen, bei denen, die ebenfalls ihre Machtposition bedroht sehen. Sicherlich glauben auch einige, dass sie wirklich eine bedrohte Minderheit sind. Da kommt es dann auch gar nicht auf die Qualität der Argumente an, es reicht, dass man sich auf derselben Seite sieht. Wichtig ist der Kampf gegen die anderen mit ihren Gendersternchen, ihrem „dritten Geschlecht“ und ihrem Klimaschutz.

Da entsprechende Konservative sich bisher kaum rechtfertigen mussten und ihre Position in der Gesellschaft natürlich gegeben erschien, haben sie bisher keine Argumente für die Verteidigung der Strukturen gebraucht, die ihnen Privilegien verschafft. Folglich können sie vielleicht auch gar keine besseren Argumente zustande bringen. Sobald sie als Gruppe benannt sind und ihre Machtposition die Aura der Selbstverständlichkeit verloren hat, müssen ihnen die Argumente ausgehen und es bleibt nichts, als mit Fehlschlüssen und rhetorischen Tricks zu kämpfen.

Dieser Artikel wurde zuerst am 1. Juni 2021 bei Negation.blog veröffentlicht.

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