Das Wetter ist aus den Fugen geraten. Abwechselnd herrschen Dürrezeiten und Sintfluten. Obendrein droht dem geschändeten, übervölkerten Planeten eine neue Pestplage. Das Engagement des früheren Öko-Terroristen Ty Tierwater hat den klimatischen Horror nicht verhindert. Alt geworden pflegt er im Auftrag eines steinreichen Ex-Popstars die Restbestände von aussterbenden Tierarten.
Unter diesen Vorzeichen beginnt Ein Freund der Erde, T.C. Boyles jüngster Roman über den ökologischen Kollaps der "guten alten Mutter Erde". Kann das gut gehen?
Ja, es kann! Denn der 1948 in Peekskill, im amerikanischen Bundesstaat New York geborene Autor, Verfasser von insgesamt 14 Fiction-Romanen, ist nicht nur frei von Berührungsängsten, was aktuelle Themen anbelangt, er verfügt auch über die literarische Virtuosität, sie in spannende Literatur zu verwandeln. Die Furcht vor einer heiklen Gratwanderung zwischen dem Öko-Juchhee und dem Welt-ade-Groove verfliegt, sobald klar wird, dass er präzise beobachtet, rasant erzählt und allen Figuren zum Schluss eine herausfordernde Ambivalenz belässt.
In T.C. Boyles Büchern geht die Welt vor die Hunde, tun sich Abgründe zwischen Arm und Reich auf, entladen sich rassistische Ressentiments in Hass und massakrieren Kleinbürger die eigene Seele. Boyle ist ein bitterer Spötter, der auch vor hohem Pathos und schneidenden Schwarzweiß-Kontrasten nicht zurückschreckt. Insbesondere in den letzten Jahren hat er seinen boshaften Zynismus jedoch gezügelt und sich näher an die Realität herangetastet. Der Roman Ein Freund der Erde demonstriert dies wie zuvor schon der Roman América (1996) und der Erzählband Fleischeslust (1999).
Boyles Themenpalette klingt sehr nach political correctness, doch dieser Eindruck ist oberflächlich und falsch. Zwar spielt er nur zu gerne mit modischen Themen und inszeniert sie effektvoll, mit grellen Metaphern und kitschigem Pathos. Doch hinter der oft nonchalanten Form verbergen sich Abgründe und Ängste, die nie heuchlerisch klein geredet und auf billige Hoffnung getrimmt werden. Ein Teil seines Erfolgs erklärt sich wohl gerade aus Boyles provozierender Respektlosigkeit. Der Pessimist und Melancholiker maskiert sich mit Sarkasmus und großen Gefühlen. Seine Geschichten rufen eine Lächerlichkeit hervor, die der verzweifelten Reglosigkeit à la Buster Keaton gleicht. Doch Boyle inszeniert sie nicht mehr so lauthals und grotesk wie früher, sondern bettet sie zwischen die Zeilen.
In Fleischeslust führt Boyle es vor, indem er darin das Bild von Menschen zeichnet, die ihrem eigenen Glück im Weg stehen, weil sie gerade dann ins Verderben rennen, wenn sie glauben, gut also korrekt zu handeln. Sie sind Gefangene der Paradoxien ihres Alltags. "Immerhin lag unser Irrtum im Tun und nicht im Lassen. Wir haben´s wenigstens versucht", tröstet sich ein Chemiker darüber hinweg, dass ein Pestizid-Einsatz in Borneo ein biologisches Desaster ausgelöst hat (Ende der Nahrungskette).
Zum Tun drängt´s die Menschen. Doch wissen sie, was zu tun ist und wozu überhaupt? Die Zweifel lassen sich mit Rhetorik allein nicht verscheuchen, denn alles Reden über Toleranz und Humanität kaschiert letztlich nur die Angst vor den eigenen Ressentiments und Reflexen. Dieser Widerspruch zwischen Ansichten und Gefühlen verführt dazu, das erbitterte Engagement lieber auf Hunde und Bäume zu richten, weil es so leichter fällt und gefahrloser ist. "Wir wollten die Tiere retten. Doch die ökologische Hysterie wirkt oft bloß als Placebo, das lindernd das Bewusstsein trübt.
Die eigene Hilflosigkeit angesichts des Zustands der Welt, der Komplexität der Probleme und des Verlusts von wirklichen Handlungsmöglichkeiten führt zu Gewissensbissen, die gerne mit privaten Ritualen abreagiert werden. Uneingestandene Schuldgefühle sind allgegenwärtig in Boyles Geschichten. Seine Figuren ahnen, dass sie sich an der Welt, mithin an den eigenen Grundsätzen versündigen, weswegen ihre Rhetorik noch gewundener und heuchlerischer ausfällt.
Das Handeln droht zum Selbstzweck zu werden, mit unverhofften Folgen. Die Erde hat Ty mit seinen Aktionen nicht gerettet, dafür ist er hinter Gitter gewandert. Und seine Tochter wurde in ein Kinderschutzprogramm gesteckt, um daraus, volljährig, als Säulenheilige und Öko-Märtyrerin aufzuerstehen: Nach drei Jahren fiel sie entkräftet vom besetzten Baum. Die Erinnerung daran klingt bitter nach im Jahr 2025.
Eine kurze Variation von Ein Freund der Erde erzählt schon die Titelerzählung im Band Fleischeslust. Ein junger Mann lässt sich von der zauberhaften Alena zu radikalem Umweltaktionismus verführen, doch nach der ersten Enttäuschung erliegt er gleich wieder der profanen Lust auf Hamburger und Steak. Die Erzählungen geben Einblick in Boyles Schreiblaboratorium. In ihnen finden sich die Romane stilistisch und inhaltlich vorgearbeitet. Die Erzählung Nebelmann zum Beispiel greift auf (für Boyle) ungewöhnlich intime Weise das Rassismus-Thema des Romans América nochmals auf.
T.C. Boyle liebt die knalligen Effekte, sein Szenario der Zukunft leuchtet in den düstersten Farben. Mitunter wirkt die eine oder andere Geschichte sehr penetrant auf eine absehbare Pointe hin gedrechselt, und Klischees gehören selbstverständlich zum Repertoire. Allerdings ist Boyle dabei zugute zu halten, dass er mit solchen Effekthaschereien gerade auch spielt, wenngleich die Grenzen zwischen Ironie und Effekt manchmal sehr fließend sind.
Dies zeigt sich besonders in der biblischen Grundtönung, die seine Prosa wuchtig in Schwung hält. Ein Vermächtnis von Boyles irisch-katholischen Wurzeln? Wie in der Offenbarung des Johannes (1,19) geschehen darin "Blitze und Stimmen und Donner und Erdbeben und ein großer Hagel", die mit apokalyptischer Gewalt am amerikanischen Traum rütteln und den festen Glauben daran ins Wanken bringen.
In Ein Freund der Erde hat sich Boyle damit zu visionärer Form geschrieben, im América-Roman dagegen schrumpft das hohe Pathos zu aufgedonnertem Spektakel. Auf vierhundert Seiten ereilt den reinen Helden Cándido wie einst Hiob jede mögliche Unbill und jede Demütigung - bis hin zur grandiosen Sintflut, die ihn mitsamt seiner Frau América und der eben in einem traurigen Stall geborenen Tochter - die heilige Familie! - hinwegspült. Doch Hiob-Cándido bleibt unbescholten, ja zum Schluss streckt er die Hand aus nach seinem weißen Antipoden Delaney Mossbacher, der ihn zu Beginn des Buches unglücklich angefahren und die Unglücksspirale damit ausgelöst hat.
Boyle will natürlich provozieren, doch nicht immer gelingt der Anschlag. Während die Figur des erbärmlichen Immigranten rechtschaffen blass bleibt, ein vom Schicksal Gebeutelter, erhält Delaney mehr Kontur. Mit seiner Familie wohnt er in einer Wohlhabenden-Residenz außerhalb des urbanen Molochs Los Angeles und verfasst ab und zu erquickliche Kolumnen über Naturthemen. Delaney ist ein Liberaler im Geiste, doch, wie sich schnell erweist, ein gewöhnlicher Rassist im verängstigten Herzen.
Stets ist T.C. Boyle dem amerikanischen (und westlichen) Traum auf der Spur, um ihn mal phantastisch, mal realitätsnah als Schimäre zu entlarven. Das Plädoyer für Humanität, Toleranz und das Lebensglück aller bleibt Lippenbekenntnis, wo die eigenen Privilegien bedroht sind. Ein Happyend mit Kleinfamilie gibt es nur im Film, nicht bei Boyle. Vielmehr geht stets die Angst um, dem Ansturm der Immigranten oder den Launen der Natur nicht gewachsen zu sein, die Kontrolle über die eigene Heimat, die eigene Kultur zu verlieren. Gefühle der Ohnmacht, Verunsicherung und Resignation machen sich breit, angespornt durch Gerüchte und Mythen, die Boyles Geschichten unterfüttern.
T.C. Boyle ist der (schlaksige) Kobold, der das literarische Triumvirat Gaddis - Pynchon - DeLillo ergänzt. Doch er bietet mehr als nur Possen. Unter der Oberfläche seiner apokalyptisch verdunkelten Geschichten sind immer die gesellschaftlichen Widersprüche und Ängste erkennbar. In einem Interview hat Boyle erwähnt, dass die schlimmsten Reaktionen auf América von Seiten der politisch Korrekten gekommen seien: "Das ist ein Faschismus von links, fast wie eine Religion." Seine Analyse dieser zwiespältigen Haltung ist präzise, differenziert und illusionslos, aber auch frei von Besserwisserei. T.C. Boyle ist sich der eigenen Ratlosigkeit nur zu bewusst. Er stelle sich einfach Fragen über den Zustand der Welt, bemerkte er, um dann schreibend zu versuchen, "meine Meinung herauszufinden."
Er mag sich als Punk oder Rockstar inszenieren, sein Schreiben verrät harte Arbeit. Entsprechend ist in ihm kein Guru zu sehen, der Heilsrezepte ausstellt; eher ist er ein gut getarnter Moralist, der die verdrängten Ängste, Schuldgefühle und Ressentiments denunziert. Glorifiziert wird im Endeffekt nichts und niemand.
In diesem Sinn bleibt auch seine Auseinandersetzung mit dem drohenden Kollaps der Ökosphäre ohne Antwort. Boyle ist ein Pessimist, ein Anti-Utopist, was die irdische Glücksverheißung anbelangt, doch ein kleines Feuer glimmt auch in ihm, wie die leise optimistisch klingenden Schlusspassagen in América (Cándido rettet Delaney) oder in Ein Freund der Erde ("Und ich, ich bin ein Mensch.") verraten. Boyle hegt die Hoffnung, dass seine Bücher "die Menschen an ihre Humanität erinnern".
T. Coraghessan Boyle: Ein Freund der Erde. Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Richter, Carl Hanser Verlag, München 2001, 355 S., 39,80 DM
Fleischeslust. Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Werner Richter, Carl Hanser Verlag, München 1999, 293 S., 36,- DM
América. Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Richter, Carl Hanser Verlag, München 1996/2001, 388 S., 45,- DM
Und weiteres unter www.tcboyle.com
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