Einen "Malocher" will er sich nicht nennen lassen, doch er ist ohne Zweifel ein ungeheuer produktiver und hart arbeitender Autor: Adri van der Heijden respektive "A.F.Th.", wie er sich neuerdings nennt. Sein Werk umfasst zur Zeit rund 25 Bücher von teils erheblichem Umfang: Romane, Erzählungen, Essays. Rund zehn davon sind auch auf Deutsch übersetzt, allen voran der eindrucksvolle Zyklus Die zahnlose Zeit. Van der Heijden erzählt darin die Geschichte seines Protagonisten und Alter egos Albert Egberts und mit ihr ein niederländisches Gesellschaftspanorama aus einer Perspektive von unten. Die Arbeit am Zyklus wie an den parallel dazu entstandenen Satellitenbüchern hat der 1951 geborene Autor während der letzten 40 Jahre kontinuierlich in einem Arbeitsjournal begleitet. Diese Notizen, zumindest Teile daraus, sind nun unter dem Titel Engelsdreck erschienen. Chronologisch geordnet, doch in sprunghaften Intervallen gibt uns van der Heijden Einblick in seine Textwerkstatt, die eng mit seinem Privatleben verbunden ist. Die Eintragungen setzen 1966 ein und enden anfangs 2003, kurz vor der Publikation des Originals in den Niederlanden.
Van der Heijden berichtet von persönlichen Krisen (Gesundheit, Alkohol) und von Glücksgefühlen wie allem voran seiner Vaterschaft. Die ausführlichen Notizen zu diesem Hauptereignis im Jahr 1988 fallen erstaunlich konventionell aus angesichts dessen, dass van der Heijdens Lebensgeschichten nur allzu gern ins Turbulente tendieren. In dieses Kapitel fallen nicht selten auch seine Anmerkungen und Anekdoten über die zuweilen doch recht enge und daher streitbare holländische Literaturszene. Vor allem aber vermittelt er in den Notizen einen Eindruck von seiner ungemeinen Arbeitsproduktivität und vom steten Schreibdruck, den er sich selbst auferlegt und mit rigiden Plänen zu kanalisieren versucht. Van der Heijden treibt sich vorwärts, als ob er Angst hätte, dass ihm seine Lebenszeit unverrichteter Dinge entglitte. "Meine Hauptbeschäftigung während des Totschlagens der Wartezeit ist die Wiedererschaffung der vertanen, unwiderruflich verlorengegangenen Zeit", lautet eine Notiz vom 12. Dezember 1981. Der Titel Engelsdreck bezieht sich assoziativ auf diese Furcht: Engelsdreck bezeichnet geschwärzte Stellen an Wänden und Mauern, die von den Ausdünstungen der Cognacfässer herrühren. Hier würden sich die Engel am göttlichen Getränk laben, weshalb diese Dreckstellen ex negativo der einzige Ort seien, wo die Engel sichtbar würden.
Ein zweites Motiv durchzieht diese Notizen: "Das Eine Buch", die Gesamtkonzeption des eigenen literarischen Schaffens als Totalwerk. Zunehmend kreisen van der Heijdens ästhetische Überlegungen in den letzten Jahren um dieses alles einbegreifende, das Dasein in seinem innersten Kern treffende Buch, das er zwar mit ungeheurem Willen und Ehrgeiz anstrebt, das aber - wie er weiß - eine Illusion bleiben muss. Selbst die größten Künstler haben "ihr Leben lang das Wissen um ihr totales Scheitern mit sich herumgetragen". Dennoch, wie er im Juni 1998 schrieb: "Schluss mit der langsamen Entwicklung. Ich will einen eigenen, unverwechselbaren Stil, der, wie sich zeigen wird, immer noch einen Grad extremer werden kann ... Direkt. Extrem. Kombination aus scharf und stumpf, wie bei einem Messer (das im Herzen der Leser umgedreht wird)."
Dieser ästhetische Ehrgeiz ist weit mehr als bloße Hybris, wie Die zahnlose Zeit bezeugt. In den Notizen finden sich wiederholt Einschübe, die das Entstehen des Zyklus begleiten und begründen. Eigene Erfahrungen, die er aufzeichnet, kehren darin in verfremdeter Weise wieder. Grundlegende Überlegungen zur Form demonstrieren die literarische Konzeption des Romanzyklus. Er schreibe nicht Ideenromane, heißt es am 19. Februar 1993: "Nein, der Roman ist für mich das Vehikel, mit dem ich mich auf die Suche nach meinen eigenen Ideen begebe. Die Ideen, die in mir leben, die von ihrem Versteck aus höchst despotisch - aber einstweilen noch unerkannt - mein Weltbild beherrschen. Nenn es eine Expedition, eine Safari." In dieser Gestalt gehört natürlich auch Engelsdreck zu diesem "Einen Buch".
Van der Heijdens Engelsdreck-Notizen versuchen, wenn nicht die Zeit festzuhalten, so doch, sie aufzuheben. Wer einige der Bücher kennt, die van der Heijden während jener Jahre schrieb, wird entsprechend mehr Gewinn aus den Notizen ziehen. Doch selbst ohne dieses Wissen lassen sie eine beeindruckende Schaffenskraft erahnen. Noch ist das Werk erst teilweise ins Deutsche übertragen, insbesondere der Homo Duplex-Zyklus fehlt. Deshalb ist sehr zu hoffen, dass seine hervorragende und verdienstvolle Übersetzerin Helga van Beuningen noch genügend Atem hat (und mit ihr der Suhrkamp Verlag), damit sie uns van der Heijdens Produktivität weiter ins Deutsche überträgt. Das allumfassende "Eine Buch" ist noch längst nicht vollendet.
A.F.Th. (van der Heijden): Engelsdreck. Notizen aus dem Alltag. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Suhrkamp, Frankfurt 2006, 554 S., 29,80 EUR
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