Unter feinpolierten Oberflächen

Lyrik Hilda Doolittles Debüt "MeeresGarten" ist ein Markstein moderner Dichtung. Nun ist es erstmals auf Deutsch zu lesen

Welches Bild vor dem inneren Auge auch auftauchen mag, wenn man das Wort „Rose“ liest – es dürfte wenig Ähnlichkeit mit der „MeeresRose“ in dem gleichnamigen Gedicht von Hilda Doolittle haben. Darin ist die Rose eine „spärliche Blume, dünn, / karg an Blättern“, die jede konventionelle Vorstellung von der Gattung konterkariert. Weit entfernt von der harmonisch-schlichten Fülle einer Seerose, heißt es von dieser „MeeresRose“ weiter: „Verkümmert, kleinblättrig, bist du auf den Sand geworfen“. Was sie neben ihrer Kargheit auszeichnet, ist ihr durchdringender Geruch. Mit der Frage „Kann die Gewürz-Rose / solch scharfen Duft tropfen / gehärtet in einem Blatt?“ endet das Gedicht.

Herb und hart im Gebrauch der Sprache, die Erwartungen ihrer Titel vielfach durchkreuzend, räumten die Gedichte von Sea Garden, dem lyrischen Debut Hilda Doolittles, bei ihrem ersten Erscheinen im Jahr 1916, inmitten des Ersten Weltkriegs, gründlich auf mit der Opulenz viktorianischer Dichtung. Erstmals unter dem Titel MeeresGarten von Annette Kühn ins Deutsche übersetzt, haben die Gedichte bis heute nichts von ihrer Kraft eingebüßt. Ihre Verse scheinen regelrecht ins Papier eingekerbt. Unter anderem orientieren sich die Gedichte an japanischer Haiku-Dichtung und japanischer Holzdrucktechnik, die Hilda Doolittle aufmerksam studierte, an der antiken griechischen Dichtung mit ihren mythischen Gestalten, aus der die Autorin zuvor übersetzt hatte und am französischen Symbolismus. Der Bandtitel deutet auf eine am oder im Wasser angesiedelte oder durch das Wasser betrachtete Welt. Wesen und Dinge sehen hier anders aus, Farbe und Licht sind verändert.

Bewegtes Leben

Die Sehnsucht nach einem Überschreiten von Grenzlinien, etwa in den Versen von „Schutzgarten“: „O, diesen Garten auszuradieren, / zu vergessen, neue Schönheit zu finden / an einem grausamen, windgequälten Ort“ treibt das dichterische Sprechen an. In den Versen werden die Wechselwirkungen zwischen Betrachten, Reflektieren und den damit verbundenen Gefühlen lesbar. Unter ihrer kühlen und feinpolierten Oberfläche brodelt und rauscht es unentwegt, wie das zeitlebens auch bei Hilda Doolittle der Fall gewesen sein könnte, die durch ihr vielschichtiges Werk und ihr bewegtes Leben zu einer Ikone moderner und feministischer Dichtung wurde.

Als Sea Garden erschien, lebte die 1886 in Pennsylvania geborene Tochter eines Astronomieprofessors schon seit Jahren in London. Amerika hatte sie wegen Ezra Pound, ihrer großen Liebe, verlassen. Es war Pound, der in der Londoner Zeit Doolittles Namen auf die Initialen H. D. eindampfte. So musste Uneingeweihten unklar bleiben, ob hier ein Mann oder eine Frau schrieb, so ließ sich das Spiel mit den Geschlechterrollen, das H. D. auch im Alltag nicht fernlag, virtuos inszenieren. Pounds erotisches Interesse an H. D. kühlte sich ab, nicht aber sein Interesse an ihrer literarischen Produktion.

Strikter Verzicht

Im gemeinsamen Dichterzirkel rief Pound den Imagismus aus, eine literarische Bewegung, die in der deutschen Literaturgeschichte keine Entsprechung hat. Bis heute gilt H. D. als dessen reinste Vertreterin, immer wieder wurde gemutmaßt, Pound habe den Begriff überhaupt nur als Werbestrategie für ihre Gedichte geprägt. Dem Imagismus lagen drei Forderungen zugrunde: Neben einer „direkten Behandlung des Dings, ob subjektiv oder objektiv“, dem „strikten Verzicht auf jedes Wort, das nicht zur Darstellung beiträgt“, sollte die Sprache des Gedichts nicht am Metronom, sondern an der Musikalität des Rhythmus ausgerichtet sein. Die extreme Kargheit und Kühle von Sea Garden wird vor dem Hintergrund dieses Programms besser nachvollziehbar.

Übersetzer stellen H. D.s Gedichte im strengen Verzicht auf alles Überflüssige vor einige Herausforderungen. Gerade im Deutschen, das fast immer mehr Worte braucht als das Englische, muss sich der extreme Verdichtungsgrad der Verse zwangsläufig verringern. Dennoch wird in Kühns Übersetzung das Scharfkantige, Wildentschlossene, dauerhaft Gültige dieser Verse, wird deren innere Notwendigkeit offenbar: „Singe eine Wehklage, die niemals innehält, schreite einen Kreis und zolle Tribut / mit einem Lied.“

Man läse die Gedichte allerdings noch lieber ohne die Illustrationen zu den Übersetzungen. Sie nehmen in ihrer Konkretion den spröde-schönen Versen einiges von ihrer Kühle. Die Qualle auf dem Umschlag als Anspielung auf das von H. D. in der poetologischen Schrift Notes on Thought and Vision als „Jellyfish experience“ beschriebenes, dichterisches Erweckungserlebnis hätte vollkommen ausgereicht, um den meerischen Assoziationsraum zu eröffnen, durch den diese Verse den Leser tragen.

H. D.: MeeresGarten Hilda Doolittle Aus dem amerikanischen Englisch von Annette Kühn. Mit einem Nachwort von Dietmar Dath und Illustrationen von Martina Hoffmann, luxbooks 2012, 134 S., 19,80

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Beate Tröger

Freie Autorin, unter anderem für den Freitag

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