Für deutsche Ohren mutet es wahrscheinlich seltsam an – der deutsch-iranische Attentäter von München, Ali David S., soll laut Informationen der FAZ rechtsextrem und stolz auf sein Ariertum gewesen sein. Wie Adolf Hitler am 20. April geboren, hat der rassistisch motivierte S. bewusst den fünften Jahrestag von Anders Behring Breiviks Terrorakt in Oslo und auf der Insel Utøya gewählt und gezielt Menschen mit Migrationshintergrund erschossen. S. soll Türken und Araber gehasst und ihnen gegenüber ein "Höherwertigkeitsgefühl" gehegt haben.
Wie passt das zusammen, dass der 18-jährige Attentäter stolz darauf war, als Deutscher und Iraner Arier zu sein? Es handelt sich dabei nicht um eine zusammengeklaubte Privatideologie von Ali David S., sondern es gibt eine Vielzahl von Menschen im Iran, die so denken. Das ist die Folge einer verqueren Ideologisierung, die ihren Anfang in der Herrschaftszeit der Pahlewi-Dynastie (1925-1979) nahm und seitdem – trotz der islamischen Revolution – starke Wurzeln im Land geschlagen hat.
Nicht alle Iraner sind Perser
Den Iran kennen die meisten hierzulande als islamische Republik. Doch dass es vor allem ein Vielvölkerstaat mit großen sprachlichen und kulturellen Unterschieden ist, wissen nur wenige. Das merkt man in Deutschland am Gebrauch der Begriffe "Iraner" und "Perser". Sie werden meist als Synonyme verwendet. Zwar sind alle Perser Iraner, aber nicht alle Iraner Perser. Es gibt noch, um nur ein paar Ethnien zu nennen: Aserbaidschaner, Kurden, Belutschen, Araber und Turkmenen.
Dass Iran ein Vielvölkerstaat ist, war seit der Machtergreifung der persischstämmigen Pahlewis Tabu. Der wenig gebildete Offizier Reza Khan bestieg 1925 mit Hilfe der Briten und ihrer Agenten wie des indischen Zoroastriers Ardeshir Reporter den Pfauenthron und gab sich den Namen Pahlewi – nach der gleichnamigen mittelpersischen Sprache. Er befahl, dass man den Menschen im Iran lehren sollte, dass die Perser arischen Ursprungs wären und eine höherwertige Kultur besäßen als die anderen Ethnien im Land. Tatsächlich sollen Stämme, die sich selbst als Arier bezeichnet haben sollen, mehrere Jahrtausende vor Christus aus der Region nördlich des Schwarzen Meeres und des Kaspischen Meeres nach Nordindien und Iran migriert sein. Die "Aufwertung" als Bezeichnung für eine Herrenrasse erhielt der Begriff Arier dann aber erst im 19. Jahrhundert durch europäische Rassentheorien.
Dies nutzten Reza Schah, später auch sein Sohn Mohammed Reza Pahlewi und ihre Berater. Sie zielten darauf ab, aus dem Vielvölkerstaat einen zentralistischen, rein persisch geprägten Nationalstaat zu schaffen, dem das antike, zoroastrische Perserreich als Vorbild diente. Diese Art Konstruktion eines Nationalstaats war typisch für die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Die Pahlewis wollten mit ihrer Arier-Ideologie den Türken und Arabern nicht nachstehen, die nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs ihrerseits eine neue Identität mit Hilfe von Nationalismus suchten.
Die Pahlewis nutzten auch die Geschichtsschreibung, um die persische Kultur hochleben zu lassen, die ihrer Meinung nach deswegen höherwertig war, weil sie sich angeblich durch die Jahrtausende gegen äußere Feinde – Araber, Mongolen, Türken, Aserbaidschaner – behauptet hatte. Als Beleg wurde das mittelalterliche Heldenepos Schahnameh des Dichters Firdausi, das Nationalepos der Perser, herangezogen. Es spielt in der vorislamischen Zeit und thematisiert unter anderem die Kämpfe gegen die turkischen Völker, die ins südliche Zentralasien und in den Nordosten des heutigen Iran migriert waren.
Der Islam als unpersische Religion
Folgerichtig war es die Politik der Pahlewis, den Islam als unpersische, weil aufgepfropfte, arabische Religion zu diskreditieren, die das Land verunreinige und seiner antiken Identität beraube. Zum anderen stellten die Pahlewi ihre Vorgängerdynastie, die Kadscharen, einen turkisch-aserbaidschanischen Nomadenstamm, als rückständig und degeneriert dar. Dass es freilich die im Iran herrschenden turkischen Dynastien waren, die seit dem Mittelalter an Persisch als Amts- und Literatursprache festgehalten und damit bis ins 20. Jahrhundert hinüber gerettet hatten, wurde der Bevölkerung verschwiegen.
Welche Ausmaße die rassistische Politik der Pahlewis annahm, zeigte sich nicht nur in der brutalen Entrechtung und Unterdrückung anderer Ethnien, die ihre Sprachen und Kulturen nicht mehr pflegen durften. Ab 1933 kam es auch zu einer Zusammenarbeit mit Hitler-Deutschland. Ein gemeinsamer Gegner waren der Bolschewismus und der unter Stalin erstarkte junge Sowjetstaat.
Reza Shah suchte die Nähe der Deutschen, die im "Orient" spätestens seit dem Ersten Weltkrieg den Ruf hatten, Gegner von Briten und Russen und Bundesgenossen der unterdrückten Völker zu sein. Es war zudem im Geist und Glauben an die gleiche höherwertige Herkunft, dass die Pahlewis 1934/35 anordneten, das im Westen bisher als "Persien" bezeichnete Land auch offiziell in Iran, "Land der Arier", umzubenennen. Sie änderten auch Namen von Städten. Urmia in Iranisch-Aserbaidschan etwa wurde nach dem Herrscher in "Rezaieh" umbenannt. Nach der islamischen Revolution 1979 wurden diese Umbenennungen jedoch zum größten Teil wieder aufgehoben.
Nazi-Propaganda in Massen
Dass der Iran für das nationalsozialistische Deutschland ein wichtiger politischer, wirtschaftlicher und ideologischer Bündnispartner war, machen die Reisen etwa von Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht im Jahre 1936 und von Reichsjugendführer Baldur von Schirach ein Jahr später deutlich. Nazi-Propaganda in Form von kostenlosen Zeitschriften und Filmen wurde in Massen in den Iran eingeführt. Umgekehrt besuchten iranische Politiker das Dritte Reich, wie 1937 Hossein Esfandiary, Sprecher des iranischen Parlaments, der auch von Hitler empfangen wurde. Seit 1939 war Deutschland der wichtigste Handelspartner des Iran, bis 1941 Briten und Amerikaner Reza Shah wegen seiner nazifreundlichen Politik zur Abdankung zwangen und das Land besetzten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war der rassistische Spuk im Iran allerdings nicht zu Ende. Davud Monshizadeh, der im Dritten Reich studiert und für die persischsprachigen Sendungen des NS-Radios gearbeitet hatte, gründete Anfang der 1950er, nach seiner Rückkehr in den Iran, mit anderen die nationalsozialistische Partei SUMKA, das iranische Pendant der NSDAP. Andere Faschisten gründeten in den 1940ern die "Paniranist Party" und zielten – bis heute – auf die Schaffung eines einzig persisch geprägten Groß-Iran. Mohammed Reza Pahlewi nutzte diese Ideologie auch, um die Herrschaft seiner Familie zu legitimieren und sie in eine Tradition mit dem antiken Persien zu stellen. So ließ er etwa 1971 in Persepolis eine 2500-Jahr-Feier der iranischen Monarchie feiern, die an das Todesjahr von Koroush II., der das zoroastrische Perserreich gegründet hatte, erinnern sollte.
Die Revolution als arabische Invasion
Die islamische Revolution 1979 hat an dem Glauben persischer Rassisten nichts geändert. Im Gegenteil wird die Herrschaft der Geistlichen, die dem Arierkult, der radikalen Verwestlichung und Modernisierung des Landes unter dem Schah eine strikte Re-Islamisierung entgegensetzten, als eine zweite Invasion der Araber angesehen, die den Iran besetzt hielten und darum bekämpft werden müssten.
Der Attentäter von München hat vermutlich in dieser Gedankenwelt gelebt. Dass Ali David S. kein Einzelfall ist, sondern viele solcher Brüder im Geiste hat, konnte man etwa im Oktober 2004 bei einem Freundschaftsspiel zwischen der deutschen und iranischen Fußballnationalmannschaft in Teheran erleben. Während die deutsche Nationalhymne erklang, hoben persische Fans den rechten Arm zum Hitlergruß. Was der deutsche Fußballreporter damals sogleich als "perversen Auswuchs" bezeichnete, war für jene im Gegenteil eine Ehrenbekundung für die arischen Rassegenossen in Deutschland.
Eingebetteter MedieninhaltDer Rassismus und das imaginierte Ariertum des Münchner Attentäters gehen damit letztlich auch auf eine jahrhundertalte Identitätskrise bei einer Vielzahl von Persern im In- und Ausland zurück, die wegen der anhaltenden repressiven Situation im Iran nicht kritisch diskutiert und aufgearbeitet werden kann. Darum wuchern bis heute der Glaube an das persische Ariertum und die Diskriminierung nichtpersischer Ethnien im Land. So hat dem Autor dieser Zeilen ein persischer Landsmann vor ein paar Jahren zu verstehen gegeben, dass die Aserbaidschaner auch Iraner seien – allerdings solche, die bedauerlicherweise von Mongolen vergewaltigt worden wären.
Behrang Samsami wurde 1981 in Urmia im Nordwesten des Irans geboren. Er kam mit seiner Familie 1986 nach Deutschland
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