Der Fluch der Pipelines

Afrika "Öl auf Wasser“ von Helon Habila ist ein packender Roman aus Nigeria, der nun zu Recht die deutsche Krimibestenliste bereichert
Dokument des Widerstands in Lagos: Diese Pipeline wurde 2009 vom MEND (Movement for the Emancipation of the Niger Delta) gesprengt
Dokument des Widerstands in Lagos: Diese Pipeline wurde 2009 vom MEND (Movement for the Emancipation of the Niger Delta) gesprengt

Foto: Pius Utomi Ekpei / AFP / Getty Images

Um Nigerias Ruf ist es hierzulande nicht gut bestellt. Entweder liest man von gewaltsamen Konflikten in dem Vielvölkerstaat, insbesondere zwischen Christen und Moslems. Oder man hört von explodierenden, weil angezapften Ölpipelines, die nicht selten viele Menschenleben fordern. Dass der Bevölkerung oft keine andere Möglichkeit bleibt, als sich so in Lebensgefahr zu bringen, wird von den westlichen Medien oft ebenso verschwiegen, wie die Rolle der ausländischen Öl-Konzerne, die ungerechte Verteilung der hohen Einnahmen und die gigantische Umweltverschmutzung im Nigerdelta.

Mitte der neunziger Jahre war es der Schriftsteller Ken Saro-Wiwa, der die Umweltschäden anprangerte, er wurde im November 1995 erhängt. Inzwischen sind fast zwei Jahrzehnte vergangen und eine neue Generation nigerianischer Intellektueller hat sich des Themas angenommen. Zu ihnen gehört der 1967 geborene Helon Habila. Er studierte Englisch und Literatur an der Universität von Jos und lehrte an der Federal Polytechnic in Bauchi, bevor er in die frühere Hauptstadt Lagos ging, um als Journalist zu arbeiten. Nach den beiden preisgekrönten Büchern Waiting for an Angel (2002) und Measuring Time (2007) veröffentlichte er 2010 seinen dritten Roman Oil on Water, der nun als erstes Werk überhaupt von ihm auf Deutsch vorliegt.

Helon Habilas – von Thomas Brückner flüssig übersetztes – Buch ist wie jeder gute Krimi mehr als ein Krimi: Entwicklungsroman, Geschichts- und Umweltbuch, Ehedrama und Liebesgeschichte, (Post-)Kolonialismuskritik und Diskurs über guten Journalismus. Mit der Entführung der Ehefrau eines britischen Erdölchemikers aus der Millionenstadt Port Harcourt ins nördliche Nigerdelta setzt die Geschichte ein. Ein Schicksal, das ausländischen Öl-Beschäftigten und ihren Angehörigen in Nigeria häufiger zustößt. Ihr Ehemann nimmt daraufhin Kontakt mit Zaq, einem etwas abgehalfterten Starreporter, auf und bittet ihn, die 39-Jährige zu suchen.

Enormer Schaden

Meist laufen solche Entführungen reibungslos: Die Journalisten vereinbaren ein Treffen mit den Kidnappern, bekommen das Entführungsopfer zu Gesicht, kehren zurück, schreiben Artikel, die dessen Unversehrtheit bestätigen und das betroffene Unternehmen zahlt das Lösegeld. Hier ist es jedoch anders. Zaq und der 25-jährige Rufus, der ihn begleitet und hofft, die große Story gefunden zu haben, müssen feststellen, dass das Militär Wind vom geplanten Treffen bekommen und eine Offensive gestartet hat. Das Dorf im Flussgebiet ist überfallen und die Bewohner massakriert worden. Obwohl alkoholsüchtig und krank, gibt Zaq nicht auf, die Britin zu finden. Rufus begleitet ihn. Der junge Reporter – Ich-Erzähler des Romans – unternimmt eine Reise, die (wie auch andere Rezensenten hervorgehoben haben) an Joseph Conrads Erzählung Herz der Finsternis erinnert.

Habilas Buch ist eine Neubearbeitung dieses Klassikers von 1899. Auch Öl auf Wasser erzählt von einer Flussfahrt durch eine innere und äußere Wildnis, vorbei an inneren und äußeren Abgründen. Der Autor macht klar, dass die Suche nach dem „schwarzen Gold“ auch hundert Jahre später noch Afrika enormen Schaden zufügt. Allerdings sind es nicht mehr weiße Kaufleute wie der düstere Mr. Kurtz, die sich die Reichtümer des Landes brutal aneignen. Heute bekämpfen sich die Nigerianer selbst, die Militärs gegen die Rebellen, im Roman sind es stellvertretend der Major und der „Professor“.

Nach wie vor aber stehen die Multis im Hintergrund, die die Rohstoffe Nigerias ausbeuten; ihre Mitarbeiter wohnen in gut gesicherten Häusern. Sie bleiben unter sich und behandeln die Schwarzen oft nicht weniger arrogant als die früheren britischen Kolonialherren.

Apokalyptische Landschaft

Rufus’ Begegnung mit Land und Leuten öffnet ihm die Augen: Das Öl hat nichts Gutes gebracht, er sieht „die verlassenen Dörfer, die trostlose Landschaft, die Abgasfackeln, die immer irgendwo in der Luft brannten. Der einst paradiesische Lebensraum gleicht einer apokalyptischen Landschaft.“ Diese negative Entwicklung ähnelt der in anderen postkolonialen Staaten in der „Dritten Welt“. Statt Glück zu bringen, raubt das Öl den Einheimischen ihre Lebensgrundlage. Sie können keinen Ackerbau oder Fischfang mehr betreiben und sind gezwungen, mit ihren Stämmen und Familien fortzuziehen – in andere ländliche Provinzen oder in die Großstädte, wo sie sich als Arbeiter verdingen. Wer bleibt, gerät in den Krieg zwischen Militär und Rebellen. Letztere bekämpfen die Regierung, der sie vorwerfen, sich an den Einnahmen aus den Ölverkäufen zu bereichern. Ein Teil der Bevölkerung zapft derweil Pipelines an, arm, hungrig und verzweifelt. Ein anderer Teil entführt Ausländer, um Lösegelder freizupressen, die wiederum in den Kauf von Waffen und Munition investiert werden. So entsteht ein plastisches und auch ambivalentes Bild von den Verhältnissen; eine eindeutige Unterscheidung der Figuren in „Gute“ und „Böse“ ist nicht möglich.

Habila zeichnet vielmehr das Bild eines Landes, das sich in einer fast heillosen Spirale der Gewalt befindet. Trost bietet einzig die Insel Irikefe, auf die sich eine Gruppe weiß gewandeter „Glaubender“ zurückgezogen hat, um in Ruhe und Frieden zu leben. Rufus lernt dort eine Krankenschwester kennen und lieben (in dieser positiven Symbolisierung der Frau ähnelt Öl auf Wasser dem Roman Knots des somalischen Autors Nuruddin Farah).

Es braucht indes mehrere Anläufe, bis Rufus, ohne den schwer erkrankten Zaq, an sein Ziel kommt. Das Prinzip des Zurückgeworfenwerdens gestaltet der Roman sowohl auf inhaltlicher als auch auf formaler Ebene. Und auch der Leser wird gefordert. Der Autor erzählt die Geschichte zwar chronologisch, aber mit vielen Rückwendungen und Einblendungen, so dass jener sich stets neu orientieren muss. Dabei hilft, dass Öl auf Wasser in einer klaren, nüchternen Sprache gehalten ist, die das Grauen und den Tod aber umso unmittelbarer wiedergibt. Der Roman hat nicht zuletzt die Züge einer großartigen Reportage.

Öl auf Wasser Helon Habila und Thomas Brückner (Übers.), Wunderhorn 2012, 240 S., 24,80 € Behrang Samsami ist Literaturwissenschaftler

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Geschrieben von

Behrang Samsami

Wissenschaftlicher Mitarbeiter #Bundestag | freier Journalist | promovierter Germanist | #Iran

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