Eine Stunde zu spät treffen sie vor dem „Weltraum Nachbarschaftsladen“ in Berlin-Kreuzberg ein. Statt mit dem Bus zu fahren, seien sie geradelt, entschuldigt sich einer der jungen Aktivisten. Einige hätten seit zehn Jahren nicht mehr auf einem Sattel gesessen, sagt ein anderer. Es falle ihm schwer, die Rücktrittbremse zu bedienen. Der erste Clash der Kulturen.
Sieben Männer und eine Frau zwischen 20 und 30 engagieren sich politisch, sozial oder kulturell im „Arabischen Frühling“. Die meisten tragen T-Shirts und Jeans. Sie stammen aus Marokko, Algerien, Ägypten, Palästina und dem Irak, haben studiert und arbeiten als Journalisten, Blogger, Uni-Dozenten und Projektkoordinatoren in lokalen Initiativen.
Nun sind sie mit dem Projekt „Cultural Innovators Network“, koordiniert vom Goethe-Institut in Alexandria, zu Gast in Deutschland. Sie besuchen verschiedene zivilgesellschaftliche Gruppen in Berlin und Leipzig und sollen sich mit ihnen vernetzen, von der Erfahrung der anderen profitieren. Die Gruppe bestand ursprünglich aus zehn Personen, zwei der Teilnehmer sei jedoch die Ausreise aus Gaza verweigert worden.
Margret Thieme führt an diesem Vormittag die Besuchergruppe. Sie ist um die 30, hat Umweltpolitik studiert und betreibt die Bürgerinitiative „Kiezwandler“, deren Büro sich im Nachbarschaftsladen befindet. Ein paar Hundert Meter weiter, im Görlitzer Park, erzählt sie den Aktivisten dann etwas über nachbarschaftlichen Zusammenschluss.
Lokal und selbst gemacht
Die Idee der Kiezwandler stammt aus England, sagt sie auf Englisch. 2006 hat der Umweltaktivist Rob Hopkins dort die „Transition-Towns-Bewegung“ gegründet, die ökologisch, wirtschaftlich und sozial nachhaltig mit allen Ressourcen wirtschaften will. Das Konzept hat inzwischen auch in Deutschland viele Anhänger – wie die Kiezwandler in Kreuzberg. Sie streben eine lokale Selbstversorgung an und wollen die Energiewende selbst in die Hand nehmen.
Ein Bauer aus der Umgebung liefert dem Nachbarschaftsladen jede Woche Gemüse und bekommt monatlich 40 Euro, sagt Thieme – auch bei Ernteausfall, damit er die Risiken nicht allein trägt. Man wolle die regionale, nachhaltige Wirtschaft stärken, neue Versorgungskreisläufe schaffen oder bestehende unterstützen. Für ein anderes Projekt – „Obstbäume im Görli“ – setze sich zwar vorrangig eine „weiße bürgerliche Mittelschicht“ ein, die Bäume würden aber Anwohner aus allen Schichten pflanzen und gießen, sagt Thieme.
Nur was könnte arabische Aktivisten an solchen Zusammenschlüssen reizen? Es scheint so weit weg von ihrem Alltag und ihren Problemen. Aber die Besucher stellen Fragen, sind neugierig. Thieme erzählt, wie Freunde und Bekannte eines Tages beschlossen hätten, etwas für ihre Umgebung zu tun, etwa den Park vor ihrer Tür selbstständig zu gestalten. Manche in der Gruppe machen sich Notizen, fragen, wie das Projekt finanziert wird, wie man neue Mitglieder gewinnen kann. Vor allem interessiert sie, wie das Verhältnis zu den Behörden ist. Es amüsiert sie, dass die Bürger hier so „polite“ sind, wie einer sagt, so höflich, dass sie sich um ihren Stadtteil kümmern, ohne dafür Geld zu bekommen.
Wäre ein Projekt wie „Obstbäume im Görli“ auch bei ihnen möglich? Amal stammt aus dem Westjordanland, sie ist Anfang 20 und die einzige Frau in der Gruppe: „Sicherlich geht das, aber es ist eine Sache der Zukunft. Wir müssen erst mal dafür sorgen, dass die Menschen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie sich überhaupt um ihre Umgebung kümmern können. Parks in dieser Art haben wir nicht. Wenn wir Bäume pflanzen, würden die Leute sie vielleicht abhacken und mitnehmen.“ Die meisten hätten ohnehin ihren eigenen Garten.
Tarek ist ebenfalls Palästinenser: „Bei uns geht man eher in die Berge und grillt. Es ist nicht so organisiert wie hier. Zudem darf man nicht vergessen: Wir leben unter einer Besatzung.“ Bei ihm würden die Leute eher Häuser als Parks bauen, sagt Adil aus Marokko. „Schuld ist die Korruption. An Gebäuden verdient man einfach mehr als an Grünflächen. Aber wir machen Druck auf die Behörden, etwa bei Wahlen. Wir haben nur kein Budget, bekommen weder Gelder noch Spenden. Deswegen wollen wir Schüler, Aktivisten und Frauen gewinnen. Kinder sollen dazu erzogen werden, die Natur und grüne Flächen zu schützen.“
Der Park ist politisch
Daniel Stoevesandt ist Leiter des Goethe-Instituts in Alexandria, er kennt viele Stadtteile, die in arabischen Ländern aufgrund der Landflucht in wenigen Jahren aus dem Boden gestampft werden. An Supermärkte oder Cafés würde man denken, aber nicht daran, wie Menschen sich dort organisieren könnten, erzählt er. Für Stoevesandt sind Initiativen wie die der Kiezwandler auf solche Communities mit über 100.000 Einwohnern übertragbar. So unbedeutend das Bepflanzen einer Grünfläche in Deutschland erscheint, so politisch kann es in arabischen Ländern sein. Parks können Versammlungsorte sein – ein demokratischer Mikrokosmos.
Für autoritäre Regierungen ist der öffentliche Raum schwer zu kontrollieren. Eine potenzielle Gefahr. Also werden die Menschen von dort verdrängt, wie jetzt in Ägypten. Einer der Aktivisten, Zeyad aus Alexandria, erzählt auf dem Weg zur nächsten Station der Tour, wie das Militär versucht, den öffentlichen Raum zurückzuerobern. Die Happenings seien inzwischen wieder von der Straße vertrieben worden. „Sie übermalen die Graffitis, wollen die Zeit zurückdrehen, die Erinnerung an die Revolution auslöschen.“ Da wirft Ahmed aus Kairo ein: „Aber wir werden sie neu malen.“ Sprüche auf Wände schreiben oder Parks bepflanzen – beides kann politisch sein.
So weit liegen die beiden Welten also doch nicht auseinander.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.