Einige Wissenschaftler bekräftigen dieser Tage ihre Kritik an den geplanten Freihandelsabkommen der Europäischen Union. Professorinnen und Professoren aus ganz Deutschland haben sich deshalb in einer Initiative zusammengeschlossen. Sie befürchten, dass TTIP (EU-USA) und CETA (EU-Kanada) die gesellschaftliche Ungleichheit vergrößern könnten. Mit den intransparenten Verhandlungen würden außerdem demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien völlig unter den Tisch fallen.
„Wissenschaftler gegen TTIP“ heißt ihre Initiative. Ist diese Positionierung nicht zu einseitig? „Nein“, antwortet Prof. Dr. Eva Walther, Leiterin der Abteilung Sozialpsychologie der Universität Trier. Es gebe historische, umgreifende Veränder
änderungen, bei denen man nicht neutral sein kann. Auch Neutralität sei in diesem Fall „ein politisches Statement und die Unterstützung der Abkommen, weil man sich ihnen nicht in den Weg stellt“. TTIP und CETA brächten auch Vorteile für bestimmte Teile der Industrie. Aber die Abkommen müssten anders verhandelt werden: Alle Akteure, die davon betroffen seien, gehörten an den Verhandlungstisch, fordert die Initiative.Die Gesellschaft sei heute stark im Wandel, viel Geld müsste genutzt werden, um „zu integrieren und in Bildung zu investieren“. Diese Investitionen würden durch TTIP und CETA aber eher noch schlechter werden.Mit CETA werde beispielsweise im Bildungswesen „der Subventionsvorbehalt gekippt“. Das bedeute, dass private internationale Anbieter auf dem Bildungssektor mit öffentlichen Bildungsanbietern gleichgestellt würden. Zum Beispiel könnten sie „auf die selben Subventionen wie öffentliche Hochschulen klagen“. Schon jetzt sind Bildungseinrichtungen hierzulande chronisch unterfinanziert. Die CETA-Regelungen würden sicher nicht dazu führen, dass mehr Geld in Bildung investiert würde – „eher im Gegenteil“, so Walther.Das verletze wiederum die Vorstellung der Bürger von Gerechtigkeit. Der Bildungserfolg sei hierzulande ohnehin stark an die soziale Herkunft der Kinder geknüpft. Durch CETA könnte das weiter verstärkt werden.Vor kurzem hat die Initiative ihre Kritik in einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgedrückt. Mehr als 100 Wissenschaftler und Ärzte haben ihn bereits unterzeichnet. Auf eine Antwort der Kanzlerin warten sie bislang jedoch vergeblich.Auch Prof. Dr. Andreas Fisahn hat den Brief unterzeichnet. Er leitet an der Universität Bielefeld den Lehrstuhl für öffentliches Recht, Umweltrecht und Rechtstheorie. Bereits heute würden regionale Produkte wie Wein über die ganze Welt transportiert. Schon aus ökologischer Sicht sei es „Wahnsinn, das zu verstärken“, sagte Fisahn. Zollabbau sei völlig unproblematisch – „aber dafür braucht es keinen neuen 2400-seitigen Vertrag“. Es gehe bei den Freihandelsabkommen im Kern nicht um den Warenverkehr, sondern um Privatisierungen und den Zugang zu Dienstleistungsmärkten, meint Fisahn.Fisahn bereitet aktuell eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) vor. Dass es zur Verhandlung vor dem höchsten deutschen Gericht kommen wird, hält er für wahrscheinlich.Verträge wie CETA seien kündbar. Doch gebe es im Vertragstext eine Vorschrift, wonach der Investorenschutz noch weitere 20 Jahre nach der Kündigung gelte. Überhaupt habe die EU gar nicht die Kompetenz, Schiedsgerichte einzurichten. Denn dafür hätte es eine eigene Ermächtigung durch die Mitgliedsstaaten geben müssen – die es eben nicht gab. Verfassungsrechtlich sei CETA zudem fragwürdig, weil neben dem Bundesverfassungsgericht eine für Unternehmen gleichrangige Instanz eingerichtet werde. Deren Entscheidungen würden eine ähnliche Bedeutung bekommen wie die des Bundesverfassungsgerichts.Die Eigentumsgarantie sei vor den Schiedsgerichten „viel weiter ausgedehnt“. Die ausgleichenden Werte im Grundgesetz – etwa Sozialstaat oder Arbeitnehmerrechte – gebe es in TTIP und CETA nicht: „Die Gegengewichte auf der Schale der Justitia sind weggefallen.“ Durch die Freihandelsabkommen würde die Tür für eine Zwei-Klassen-Justiz geöffnet. Da es mit den Schiedsgerichten zwei verschiedene Rechtsformen gäbe, könnten sich die Unternehmen künftig das für sie günstigere Recht aussuchen. Damit werde, so Fisahn, „eine Nebenverfassung errichtet“.Schiedsgerichte sind im Völkerrecht nicht ungewöhnlich. Auch Deutschland hat Freihandelsabkommen mit vielen Ländern geschlossen, die vertragliche Regelungen zu Schiedsgerichten beinhalten. Andreas Fisahn hält diese Regelungen, über die es weitaus weniger öffentliche Debatten gibt, grundsätzlich für ebenso problematisch. Daneben gibt es seit 1965 das ICSID-Schiedsgericht, das angerufen werden kann, wenn die Vertragsparteien das ausdrücklich vereinbart haben.Im CETA-Abkommen sei der Unterschied, dass Unternehmer die Schiedsgerichte immer anrufen könnten. Die Investoren bräuchten dafür keine besondere Vereinbarung mit dem Staat – anders als in den bisherigen völkerrechtlichen Regelungen. „Sobald ein Unternehmen investiert, kann es nach CETA ein Schiedsgericht anrufen“, sagte Fisahn. Er hält es für wahrscheinlich, dass das Verfassungsgericht die Investorenschutz-Klauseln für nichtig erklären wird.Ein grundsätzliches Problem ist laut Eva Walther, dass „großes Misstrauen gegen die Politik in Teilen der Gesellschaft verwurzelt ist“. Viele Politiker, wie am vergangenen Montag EU-Parlamentspräsident Martin Schulz betrieben eher „Symbolhandlungen“. Das sei „besser als nichts“ - aber es brauche deutlich mehr, um das Vertrauen in die Politik zu verbessern.Aktuell sei dieses „nicht sehr stark“, meint die Sozialpsychologie-Professorin. Das läge auch an der Politik: „Es kommt vor, dass Bürger von Politikern beleidigt werden“, wie beispielsweise von Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD). Bei vielen Podiumsdiskussionen in der ganzen Republik habe sie „den Eindruck bekommen, dass TTIP-Befürworter dazu neigen, Sorgen der Bürger als rein affektive Reaktionen abzutun“. Das beleidige die Vernunft der Menschen, so Walther.