Am Markt zeigt sich die Ungleichheit

Wohnen Eine Studie belegt einmal mehr: Gerade arme Haushalte werden von hohen Mieten belastet, reiche dagegen weniger. Für den Wahlkampf lässt sich daraus einiges ableiten
Bezahlbarer Wohnraum entsteht hier nicht
Bezahlbarer Wohnraum entsteht hier nicht

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Wenn es um bezahlbaren Wohnraum geht, begegnet einem eine Größe immer wieder: 30 Prozent des Haushaltseinkommens. Diese 30 Prozent gelten gemeinhin als die Grenze des Leistbaren. Höhere Mieten gelten hingegen als finanzielle Überforderung. Gerade Haushalte mit geringem Einkommen sind bei Überschreiten dieser Grenze verstärkt von Armut bedroht. In deutschen Großstädten müssen jedoch fast die Hälfte aller Haushalte – das sind 4,1 Millionen – mehr als 30 Prozent für die Miete abdrücken. Das zeigt eine Studie des Stadtsoziologen Andrej Holm im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Wenn also im nun an Fahrt aufnehmenden Bundestagswahlkampf wieder die Stimmen zu hören sein werden, die die Wohnungsfrage als „die soziale Frage unserer Zeit“ bezeichnen, können sie sich auf die Erkenntnisse berufen, die das Team um Andrej Holm aus den Mikrozensus-Daten von 2006 bis 2018 ermittelt hat.

Dabei könnte man eigentlich meinen, dass die Auswertung aus 77 Deutschen Großstädten mit über 100.000 Einwohnern gute Nachrichten bereithält. Denn die mittlere Mietbelastungsquote, also der Anteil der Warmmiete am Haushaltseinkommen, ist zwischen 2006 und 2018 leicht zurückgegangen – von 31,2 Prozent auf 29,8 Prozent. Dennoch kommen die Macher*innen der Studie zu dem Schluss: „Von einer Entspannung ist die Wohnungsversorgungslage jedoch weit entfernt.“

Vier Millionen Haushalte zahlen überhöhte Mieten

Denn was bleibt, ist die Spaltung. Nicht nur, dass mehr als 4 Millionen Haushalte in Großstädten mehr als das eigentlich Leistbare für die Miete aufwenden müssen. Unter ihnen sind auch 2,2 Millionen Haushalte, die über 40 Prozent ihres Einkommens für Warmmiete und Nebenkosten ausgeben müssen. Und 11,9 Prozent aller Großstadthaushalte – 998.000 – verwendeten 2018 sogar mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete. In diesen Haushalten leben Mieterinnen und Mieter, denen entsprechend weniger Geld zum Leben bleibt – oftmals zu wenig.

Denn die Mietbelastungen sind nicht gleichmäßig verteilt. Bei armen Haushalten frisst die Miete einen deutlich größeren Teil des Einkommens. Während Haushalte unterhalb der Armutsgrenze von 60 Prozent des Medianeinkommens im Mittel rund 46 Prozent für die Miete aufbringen mussten, waren es bei den Haushalten die mehr 140 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung hatten gerade einmal knapp 20 Prozent. Wer viel verdient, muss also einen geringeren Anteil seines Einkommens für die Miete ausgeben. So werden Armut und Ungleichheit gleichermaßen zementiert.

Die Ungleichheit wächst

Diese Zahlen stehen sinnbildlich für wachsende Spaltung innerhalb der Städte. So ist zwischen 2006 und 2018 sowohl der Anteil der armen als auch der Anteil der reichen Haushalte gestiegen. Und während die Einkommen unterhalb der Armutsgrenze in diesem Zeitraum lediglich um 15,2 Prozent gestiegen sind, lag der Anstieg bei der höchsten Einkommensgruppe bei 20,3 Prozent. Verrechnet man diese Steigerung mit den gestiegenen Mietausgaben, bleiben ärmeren Haushalten am Ende 90 Euro mehr im Monat, Haushalten in der höchsten Einkommensgruppe blieben dagegen 2018 über 600 Euro mehr als 2006. Die Kluft vergrößert sich.

Hinzu kommt noch ein Versorgungsdefizit. Betrachtet man nicht nur die Höhe der Mieten, sondern auch die Größe der Wohnung, ergibt sich ein noch größeres Defizit. 4,4 Millionen Haushalte waren demnach mit angemessen großen oder bezahlbaren Wohnungen versorgt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Wohnungen nur schlecht verteilt sind, bleiben in deutschen Großstädten immer noch 1,5 Millionen Haushalte, die nicht mit angemessenen Wohnungen versorgt werden können. Allein in Berlin und Hamburg fehlen 345.000 bezahlbare Wohnungen.

Das passt zum Trend. So ist die Anzahl der Wohnungen mit einer Warmmiete von bis zu 10 Euro pro Quadratmeter um 30 Prozent zurückgegangen, während es zugleich 16 Prozent mehr Wohnungen gibt, deren Warmmiete bei 15 Euro oder mehr liegt.

Lehren für den Wahlkampf

All das sind Erkenntnisse, die auch den Parteien zu denken geben sollten, wenn sie sich im Wahlkampf die „soziale Frage Wohnen“ auf die Fahnen schreiben wollen. Die Mieten machen noch immer die Armen ärmer, während wohlhabende Haushalte unterm Strich günstig wegkommen. Während am Ende also den einen die Verdrängung droht, wird die soziale Spaltung der Gesellschaft auch an wohlstandsverödeten Städten sichtbar. Das greift nicht nur das Urverständnis städtischen Lebens an, es ist auch ein Armutszeugnis für eine wohlhabende Gesellschaft und widerspricht jedem Gerechtigkeitsempfinden.

Das ganze als ein Luxusproblem hipper Metropolen abzutun, wird dabei nicht funktionieren. Denn auch Städte wie Bremerhaven, Duisburg oder Recklinghausen haben mit steigenden – oder schon hohen – Mietbelastungsquoten zu kämpfen. Die Angst, dass außer Wohnen nicht mehr viel bleibt vom Leben, ist also kein exklusives Problem für Menschen in den Millionenstädten.

Andrej Holm und seine Kolleg*innen schlagen als Antwort verschiedene Maßnahmen vor. So müssten nicht nur bestehende Mietpreise besser geschützt und mehr Wohnungen explizit für Haushalte mit niedrigen Einkommen zur Verfügung gestellt, sondern auch der gemeinnützige Wohnungsbau erheblich gestärkt werden. Ein Mietendeckel könnte also ebenso helfen wie etwa eine Neuauflage der Wohungsgemeinnützigkeit. Doch wichtig wäre auch, die Löhne anzuheben. Ohne wirksame Maßnahmen zur Auflösung des weit verbreiteten Niedriglohnsektors sei eine soziale Wohnversorgung in den Großstädten nicht zu gewährleisten, so Holm. Am Ende heißt das Problem: Ungleichheit.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

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