Kaviar vom Grill

Lifestyle Der Burger hat es bis auf Hochzeitsbuffets geschafft. Seine Fans feiern ihn mit speziellen Partys
Ausgabe 15/2015

Symbolisch für die kreative Szene in Berlin steht das Aufbau Haus am Moritzplatz. Der Verlag sitzt hier, ein Geschäft für Künstlerbedarf, ein Buchladen natürlich auch. Ein paar Schritte weiter liegt das Prince Charles, ein Club, früher war hier mal ein Schwimmbad, es gibt „Artists Nights“ oder Public Viewing. Wer würde an diesem Ort an Fastfood denken? An diesem Samstagmittag soll jedoch der Burger zelebriert werden.

„Burgers & Hip Hop“ heißt die Veranstaltung, bei Facebook hat die Partyreihe bereits mehr als 10.000 Fans, für diesen Tag haben sich 3.500 Gäste angemeldet. Kavita Meelu steht am Eingang, eine junge Frau, sie kam auf die Idee für „Burgers & Hip Hop“. Es gehe ihr um mehr als nur das Zelebrieren des Burgers. Als Kind indischer Einwanderer in Birmingham geboren, kam sie vor etwa sechs Jahren von London nach Berlin. Sie hat Politikwissenschaft studiert und in der Werbebranche gearbeitet. Und nun also Street-Food. Essen hat für sie einen sozialen Aspekt. „Das gemeinsame Essen, das viele ohne Großfamilie gar nicht mehr kennen, sollen sie hier erleben. Die Leute sollen feiern und Spaß haben.“ In Zeiten, in denen vieles temporär ist, soll es Gemeinschaft stiften.

Früher war’s der beste Club

Überall sind kleine Stände aufgebaut, an denen Köche ihre Burger anbieten. So wie Marvin Lerche, normalerweise tourt er mit einem Burgertruck durch Berlin. „Hier gibt es ein besonders wissbegieriges und erfahrenes Publikum“, sagt er, darum nimmt er teil. Die Leute seien neugierig, wie lange und auf welche Weise das Fleisch gebraten würde und woher die Zutaten kämen. Lerche war schon öfter hier, beim letzten Mal hat er den Burger-Wettbewerb gewonnen, den das Blog „Stil in Berlin“ auch diesmal ausgerufen hat. Ein Blog, das ständig nach neuen Moden sucht, dem, was angesagt ist, nimmt also nun den Burger ins Visier. Während man früher den besten Club der Stadt kennen musste, soll man heute eine Meinung zum besten Burger haben. Burgerexperte ist heute ja fast jeder, irgendwie. An diesem Nachmittag dürfen alle die Burger bewerten, die sie probiert haben. Die ersten Besucher sind zwei Stunden vor offiziellem Beginn der Party gekommen. Sie dürfen jeden Burger probieren und auf einem Stimmzettel bewerten: schmeckt toll oder geht gar nicht. Genauere Kriterien gibt es nicht. Dafür zwei Flaschen Craft-Beer einer kleinen Brauerei. Auch das wird mittlerweile dem Industriebier vorgezogen. 25 Euro hat ein Ticket für das „Burger Feast“ gekostet, nach einem halben Tag waren die Karten weg. Es gibt Biofleisch, Rotkraut zwischen selbstgebackenen Brötchenhälften, vegane oder asiatische Burger – die East Side Burger heißen.

Im Hintergrund dröhnen Hip-Hop-Bässe, an Biertischen sitzen Hipster und Familien, wie beim Straßenfest. „So muss Fleisch schmecken“, sagt ein junger Mann zu seinem Freund. Neben ihm mäkelt jemand am Blutwurstburger herum. Nach zwei Stunden öffnen sich die Tore für den Rest. Die, die das Ticket für das Burger Feast nicht mehr bekommen haben. Sie bezahlen zwei Euro Eintritt, Burger und Bier müssen sie sich extra besorgen. Lange Schlangen, die Rauchschwaden über den Grillrosten werden dichter. Ein Pärchen ordert bei einem vollbärtigen Burgerbrater das Buffet für ihre Hochzeit. Burger statt Consommé? Was mal als billig und ungesund galt, wird nun als Festmahl serviert.

Veranstalterin Meelu kämpft sich durch die Menge und wird von allen bedrängt.Wie erklärt sie sich diesen Siegeszug des Burgers? Recht einfach: „Der Burger ist ein demokratisches Essen. Egal, wie reich oder arm man ist, jeder isst ihn mit den Händen. Und jeder kann ein Experte sein, weil jeder weiß, was zu einem guten Burger gehört. Es ist einfach nicht exklusiv.“ Darüber kann man allerdings streiten. Allein an diesem Nachmittag kosten die Burger zwischen sechs und acht Euro. Wer sich einmal in den neuen Burgerrestaurants der großen Städte umgesehen hat, weiß, dass es auch weitaus teurer geht.

Dass so viele Menschen bereit sind, das Geld auszugeben, hat für Meelu auch eine politische Dimension: „Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass sie ein neues Verhältnis zum Essen haben und mehr Wert darauf legen. Sie wollen wissen, wo ihr Fleisch herkommt und wie es zubereitet wird.“ Warum sollte dieses Bewusstsein vor Fastfood Halt machen?

Doch Kavita Meelu sieht darin erst den Beginn einer Entwicklung, die sie vorantreiben möchte. Sie will beides verbinden, Essen und Spaß. Auch bei dieser Veranstaltung. Aber spaltet diese Burger-Manie nicht auch die Gesellschaft? Die einen konsumieren einen Burger wie ein Drei-Sterne-Gericht, die anderen gehen weiter zu McDonald’s.

Avocado an Algenblatt

Bei den vergangenen Veranstaltungen im Prince Charles bekamen die Gäste schon mal zwölf Monate lang gereiften Comté-Käse, Brioche-Brötchen, Cidre-Steak oder Portobello-Pilz für die Vegetarier. Der Burger habe eben nicht mehr dieses „Schäbige“, meint ein Student. Genau darin liege für ihn der Reiz des Gerichts: „Du kannst aus etwas Banalem etwas Besonderes machen.“ So steht der Burger für eine kulinarisch manifestierte, unbegrenzte Kreativität – so betrachten ihn viele hier.

Marvin Lerche, der mit dem Burgertruck, begreift sich und seine Mitstreiter gar als Teil einer Gründerszene. Und so wird ins Essen auch das Selbstbild eines Milieus projiziert, das man häufig als Bio-Boheme bezeichnet. Man möchte sich ganz bewusst ernähren, aber dabei feiern, man will gesund, aber auch locker sein.

Nur kein Snob. Burger statt Kaviar. Am besten einen mit Algenblatt, gegrillter Avocado, Mango-Chili-Sauce und feinstem Rindfleisch. Auf diese Weise definiert der Burger nicht mehr nur diejenigen, die sich gelegentlich billiges Fastfood leisten können, sondern auch eine neue urbane Schicht, die sich ihren Lebensstil nicht nur leisten kann, sondern ihn auch gerne fröhlich zelebriert.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

Benjamin Knödler

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