Was bedeuten die Pläne der Ampel-Koalition für Mieterinnen und Mieter?

Wohnen Der Schutz von Mieterinnen bleibt löchrig – und doch gibt es auch Grund zur Hoffnung: Lukas Siebenkotten, der Präsident des deutschen Mieterbundes, spricht im Interview über die Mieten-Pläne der neuen Regierung
Laut Plänen von SPD, Grünen und FDP werden bald mehr bezahlbare Wohnungen gebaut
Laut Plänen von SPD, Grünen und FDP werden bald mehr bezahlbare Wohnungen gebaut

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Auch im Wahlkampf 2021 war die Frage nach bezahlbarem Wohnraum – vor allem in deutschen Städten – wieder einmal zentral. Welche Antworten hat die Ampelkoalition auf diese Herausforderung, die oft als „die zentrale soziale Frage unserer Zeit“ bezeichnet wird? Und was bedeuten die Pläne der neuen Regierung für Mieterinnen und Mieter in Deutschland, die sich nicht nur um hohe Mieten, sondern nun auch noch um steigende Energiepreise sorgen müssen? Nachgefragt bei Lukas Siebenkotten, der als Präsident des Deutschen Mieterbundes den neuen Koalitionsvertrag genau auf diese Fragen hin gelesen hat.

Herr Siebenkotten, Sie haben den Koalitionsvertrag als „Enttäuschung für Mieterinnen und Mieter bezeichnet“. Warum?

Weil die mietrechtlichen Passagen bei weitem nicht dem entsprechen, was wir uns vorgestellt haben – und übrigens auch nicht dem, was SPD und Grüne in ihre Wahlprogramme geschrieben haben.

Sie kritisieren nicht nur die Verlängerung der gemeinhin als wirkungslos bewerteten Mietpreisbremse, sondern auch, dass die sogenannte Kappungsgrenze kaum abgesenkt wurde. Was hat es damit auf sich?

Die Kappungsgrenze regelt, um wie viel Prozent die Miete im laufenden Mietverhältnis maximal erhöht werden darf. Wir hatten uns einen Mietenstopp für sechs Jahre vorgestellt. In dieser Zeit hätte man viele Wohnungen bauen und beobachten können, ob sich der Markt in der Zwischenzeit ein wenig entspannt hat. Stattdessen soll die Kappungsgrenze in angespannten Wohnungsmärkten nur von 15 auf 11 Prozent gesenkt werden. Innerhalb von drei Jahren darf die Miete also weiterhin um 11 Prozent erhöht werden. Das ist ein schlechtes Ergebnis für Mieterinnen und Mieter.

Was hatten SPD und Grüne denn gefordert?

Die Grünen wollten, dass Mieten innerhalb eines Jahres nicht um mehr als 2,5 Prozent erhöht werden dürfen. Die SPD hatte ein Mietenmoratorium gefordert, das sich an der Inflationsrate orientieren sollte.

Also ist es so wie Sie gesagt haben: „Die FDP hat sich durchgesetzt“?

In dieser Frage mit Sicherheit. Das sagt ja sogar Kevin Kühnert so. Und der war selbst Verhandlungsführer der SPD für dieses Politikfeld.

Dabei hatte Kevin Kühnert im Wahlkampf sogar einen Mietenstopp gefordert.

Ich erinnere mich auch daran und ich glaube ihm auch, dass er in der Verhandlungsgruppe für Bauen und Wohnen hart verhandelt hat. Aber SPD und Grüne sind in dieser Frage an der FDP gescheitert.

Zur Person

Foto: Imago/Mauersberger

Lukas Siebenkotten, Jahrgang 1957, ist Rechtsanwalt und seit 2019 Präsident des Deutschen Mieterbundes

Andererseits stehen im Koalitionsvertrag einige Vorhaben, die im Sinne bezahlbarer Mieten sind. Zum Beispiel eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit, die Unternehmen Vergünstigungen verspricht, wenn die im Gegenzug dauerhaft bezahlbarer Wohnraum schaffen.

Mein negatives Urteil bezieht sich auf das Mietrecht. Es gibt in der Tat auch ein paar positive Aspekte – allen voran die neue Wohnungsgemeinnützigkeit. Darüber sprechen wir als Mieterbund schon seit Jahren. Jetzt haben wir die Möglichkeit, bei der Ausgestaltung der neuen Wohnungsgemeinnützigkeit mitzuwirken. Wir wollen mit ihr vor allem eines unbedingt erreichen: Dass es in Zukunft in Deutschland nicht mehr Sozialwohnungen gibt, die nur für 20 oder 30 Jahre als solche gebunden sind und dann in den freien Wohnungsmarkt „entlassen“ werden, sondern dass die geförderten Wohnungen auf Dauer nur an Inhaber von Wohnberechtigungsscheine vermietet werden dürfen.

Sie sprechen die Ausgestaltung an. Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit kann also ein Erfolg, aber auch eine Enttäuschung werden?

Genau. Mit der Nennung im Koalitionsvertrag ist jetzt das Startsignal zum Handeln gegeben. Ab sofort geht es darum, darüber nachzudenken, was man im Einzelnen tut. Wenn man sich an der Wohnungsgemeinnützigkeit orientiert, die 1990 unter der damaligen Regierung Kohl abgeschafft worden ist, dann würde das bedeuten: Gewinnobergrenzen und eine Verpflichtung, Erlöse wieder in den Wohnungsbau zu stecken. Im Gegenzug gibt es die Anerkennung der Gemeinnützigkeit. Dieses Modell war in der BRD über Jahrzehnte erfolgreich.

Im Koalitionsvertrag steht aber auch, die Wohngemeinnützigkeit solle „nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit die Struktur der etablierten Wohnungswirtschaft ergänzen, ohne diese zu benachteiligen.“ Ich kann mir vorstellen, wie die private Wohnungswirtschaft einen öffentlichen Wohnungssektor, der günstiger ist als das eigene Angebot, sehr wohl als Benachteiligung empfindet.

Dieser Satz gefällt mir auch nicht. Er lässt Auslegungsspielraum: Was ist denn bitte eine Benachteiligung und wer definiert das? Aber ehrlich gesagt lasse ich mich von diesem Halbsatz jetzt nicht irritieren. Wichtig ist, dass die Wohnungsgemeinnützigkeit festgeschrieben ist.

„Alle müssen mitmachen – sonst klappt das nicht“

Laut Koalitionsvertrag soll jetzt auch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) selbst bauen. Ist das eine gute Sache?

Grundsätzlich ist es nicht schlecht, wenn der Bund selbst etwas auf eigenen Grundstücken unternimmt. Er geht dann mit gutem Beispiel voran. Bisher hat der Bund fast nichts diesbezüglich gemacht, war aber für Förderungen mitzuständig. Und die BImA hatte lange Zeit sogar eher die Aufgabe, die Grundstücke des Bundes zu Höchstpreisen zu verhökern. Ihr den Auftrag zu geben, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, wäre ohne Frage vernünftig. Dafür müsste man aber per Gesetz die DNA der BimA ändern.

BImA-Chef ist Christoph Krupp. Er hat als Chef der Hamburger Staatskanzlei den Sozialen Wohnungsbau in der Hansestadt vorangetrieben. Vielen gilt Hamburg als Vorbild. Darf man sich unter seiner Führung also Gutes erhoffen?

Ich glaube, er könnte die DNA der BImA verändern. Dass er Wohnungsbau organisieren kann, hat er in der Tat in Hamburg bewiesen. Dort sind deutlich mehr Wohnungen gebaut worden als in anderen Bundesländern. Aber die BImA macht insgesamt nur einen Bruchteil dessen aus, was wir benötigen. Nahezu alle öffentlichen Wohnungsunternehmen in den größeren Städten, kirchliche Unternehmen und andere – sie alle sollten sich an der neuen Wohnungsgemeinnützigkeit beteiligen – und vor allen Dingen um die Errichtung geförderter Wohnungen kümmern, sonst klappt das nicht.

Im Koalitionsvertrag steht, dass 400.000 Wohnungen im Jahr gebaut werden sollen – 100.000 davon öffentlich gefördert. Das wäre eine Vervielfachung dessen, was bisher im Jahr gebaut wird. Gleichzeitig fallen jedes Jahr viele Wohnungen aus der sozialen Bindung und können dann teurer vermietet werden. Sind 100.000 dann im Grunde immer noch zu wenig?

Sie wären ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung. Derzeit werden pro Jahr etwa 27.000 bis 28.000 geförderte Wohnungen fertig. In den letzten Jahren hatten wir unter dem Strich einen stetigen Rückgang an Sozialwohnungen zu verzeichnen, weil doppelt so viele Wohnungen aus der Bindung fielen, als gebaut wurden. Zuletzt gab es noch 1,1 Millionen Wohnungen mit Sozialbindung in Deutschland. Mitte der 1980er Jahre waren es allein in der alten Bundesrepublik mehr als drei Millionen. Mit 100.000 neuen geförderten Wohnungen würde dieser Tendenz endlich entgegengewirkt.

„Diskussion ohne ideologische Scheuklappen“

Großes Thema der vergangenen Wochen waren die steigenden Energiepreise. Viele Mieterinnen und Mieter besorgt das. Was sind die Antworten der Ampel darauf?

Erfreulicherweise steht im Koalitionsvertrag, dass man in dem laufenden Winter einen Einmalbeitrag zahlen will – insbesondere für die Wohngeldempfänger. Das ist grundsätzlich gut, wobei natürlich noch die Frage ist, wie hoch dieser Betrag sein wird. Man hat das aber auch in der Vergangenheit schon mal gemacht, als die Heizkosten hoch waren. Von daher gibt es Vorbilder. Vor dauerhaft hohen Energiekosten schützt uns das allerdings nicht...

Welche Antworten gibt der Koalitionsvertrag darauf?

Die Frage lautet: Wie wird denjenigen geholfen, die die hohen Energiekosten nicht mehr tragen können? Da ist natürlich das Wohngeld ein denkbares Instrument, das eine sogenannte Klimakomponente bekommen soll. Das ist gut, denn darüber käme man auch mal an die Kosten für die energetische Modernisierung der Wohnungen ran.

Inwiefern?

Nach einer energetischen Modernisierung gibt es die Möglichkeit, die Mieten zu erhöhen, von der die Vermieter und Vermieterinnen natürlich auch Gebrauch machen. Wir als Mieterbund wollen, dass das auf Dauer nicht mehr nach dem bisherigen System abläuft, sondern nach dem Grundsatz der Warmmietenneutralität. Das würde bedeuten, dass nur so viel bei der Miete draufgelegt wird, wie auf der anderen Seite durch geringere Heizkosten eingespart wird – zum Beispiel wegen einer wesentlich effizienteren Heizung.

Dahinter steht auch die Frage, wer die Energiewende beim Wohnen bezahlt.

Genau: Wie werden die Kosten in Zukunft verteilt? Nach dem bisherigen System dürfen acht Prozent der Modernisierungskosten auf die Kaltmiete draufgepackt werden, und zwar dauerhaft. Nach 12 bis 13 Jahren hat der Mieter oder die Mieterin die Kosten für die Modernisierung in der Regel bezahlt – einmal abgesehen von staatlichen Förderungen - die höhere Miete muss er dennoch weiterzahlen. Der Vermieter hat die Investitionsleistung erbracht, das ist richtig, aber er bekommt sie komplett zurück. Energetische Sanierungen sollten aber von allen drei Akteuren bezahlt werden: Mieter, Vermieter und der Staat mit seinen Zuschüssen. Durch Warmmietenneutralität ließe sich das erreichen. Über solche Modelle müssen wir also diskutieren. Immerhin hat die FDP im Wahlkampf eine Teilwarmmiete ins Gespräch gebracht. Die geht in eine ähnliche Richtung. Ich habe Hoffnung, dass man das offen und ohne ideologische Scheuklappen diskutieren kann.

„Fifty-fifty – das ist zu wenig“

Wenn ich Sie so höre, dann klingt das gar nicht so sehr danach, als hätte sich die FDP auf Kosten der Mieterinnen und Mieter durchgesetzt.

Wir haben jetzt gerade die positiven Punkte rausgepickt. Schauen wir uns eine weitere negative Vereinbarung, und zwar in Sachen Energie, an: den CO2-Preis. Der soll eine Lenkungswirkung haben. Dann müsste durch ihn aber der Vermieter dazu angehalten werden die Wohnung energetisch zu modernisieren. Bisher zahlt jedoch der Mieter den CO2-Preis alleine. Das ist totaler Unsinn, weil er ja überhaupt nicht entscheiden kann, was für eine Heizung im Haus ist. Die neue Koalition will das aber zunächst nicht ändern, sondern lediglich bis nächsten Juni einen Stufenplan erarbeiten, wie der CO2-Preis zwischen Mietern und Vermietern je nach Gebäudeeffizienz aufgeteilt werden soll. Wenn das bis nächsten Juni nicht klappt,und davon ist auszugehen, dann soll er hälftig zwischen Vermietern und Mietern aufgeteilt werden.

Immerhin, könnte man sagen.

Besser als nichts, klar. Aber selbst Angela Merkel und Horst Seehofer hatten diese Aufteilung schon befürwortet. Dass es sie nicht schon längst gibt, liegt nur daran, dass die Unionsfraktion die Umsetzung verhindert hat. Ein wirklicher Fortschritt ist es also nicht – und unter dem Strich zu wenig für Mieterinnen und Mieter. Und es ist ja nicht nur der CO2-Preis.

Worauf spielen Sie an?

Im Mietrecht haben wir bisher nur die Kappungsgrenzen angesprochen. Was aber gar nicht die im Koalitionsvertrag steht, ist die Reformierung der Vorschriften zu Mietpreisüberhöhung und Mietwucher. SPD und Grüne wollten sie meines Wissens, die FDP aber nicht. Dabei wäre das so wichtig gewesen, um die schwarzen Schafe zu erwischen. Aktuell ist das Gesetz gegen Mietpreisüberhöhung wegen einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs de facto nicht anwendbar und die Mietpreisbremse wegen zu vieler Ausnahmen de facto wirkungslos. Und das scheint jetzt erst einmal so zu bleiben. Wir werden heftig dafür streiten, dass sich das noch ändert.

Ein anderes Thema, das viele Mieterinnen und Mieter umtreibt ist der Eigenbedarf. Der bietet Eigentümern die Möglichkeit Mieterinnen und Mietern zu kündigen.

Auf dem Feld passiert aber wohl leider zunächst einmal nichts. Das ist ein weiterer Kritikpunkt. Eigentlich sollten Vermieter nur für den engsten Familienkreis Eigenbedarf anmelden können. Im Moment ist es aber zum Beispiel erlaubt, Eigenbedarf anzumelden, um ein Aupair-Mädchen unterzubringen. Dazu gibt es wirklich ein Urteil. Da müssen wir zu einer ganz engen, auch deutlich ins Gesetz geschriebenen Lösung kommen. Außerdem brauchen wir hohe Bußgelder bei vorgetäuschtem Eigenbedarf. Auch dazu steht leider kein einziges Wort im Koalitionsvertrag.

Das Thema bezahlbares Wohnen ist inzwischen längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In Großstädten hat sich eine extrem starke Mietenbewegung gebildet. Als Mieterbund fungieren Sie da durchaus als Vermittler. In der neuen Bundesregierung sitzen jetzt auch die Grünen, die das Thema Mieten stark auf der Agenda haben. Und das Thema Wohnungsbau ist wieder in SPD-Hand. Verbessern sich dadurch die Kommunikationskanäle zwischen Mietenbewegung und Bundesregierung?

Die Mietenbewegung besteht aus einer ganzen Reihe verschiedener Initiativen, die sehr aktiv sind und richtig was nach vorne bringen. Der Mieterbund wiederum ist stärker im klassisch lobbyistischen Bereich unterwegs, und zwar durchaus erfolgreich. Die Zusammenarbeit funktioniert inzwischen sehr gut, obwohl man nicht in allen Punkten dasselbe will. Aber die Richtung, die ist sehr ähnlich. Das finde ich ausgesprochen positiv. Was den Einfluss auf die Regierung angeht, bin ich im Moment sehr vorsichtig. Aber natürlich hoffe ich, dass wir durch die neuen Kräfteverhältnisse noch mehr Gehör bei den Mächtigen finden.

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Geschrieben von

Benjamin Knödler

Product Owner Digital, Redakteur

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen als Chefredakteur der Studierendenzeitung UnAufgefordert, als freier Journalist, bei Correctiv und beim Freitag. Am Hegelplatz ist er schließlich geblieben, war dort Community- und Online-Redakteur. Inzwischen überlegt er sich als Product Owner Digital, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er auch weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts.

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