Im Spätkauf in der Choriner Straße 12 gibt es Bier und Zigaretten. Heute auch Schnitzel und Kartoffelsalat, weil Schnitzeltag ist. Und dazu noch etwas, das sich der Verwertungslogik entzieht: ein Zuhause.
Reklametafeln vergangener Zeiten hängen an den Wänden, der Späti ist halb Tante-Emma-Laden, halb Treffpunkt im Viertel. Conrad Menzel ist hier in Berlin-Prenzlauer Berg aufgewachsen, er hing schon als Jugendlicher mit seinen Freunden im Späti ab, eine Zeit lang arbeitete er selbst im Laden mit. Menzel sitzt an einem der Tische, die vor dem Spätkauf aufgebaut sind. Es ist ein heißer Tag im Juni, schon am Mittag sammelt sich hier die Stammkundschaft. Weil: Schnitzeltag.
Mit Menzel am Tisch sitzt Hotte, der den Spätkauf seit 2004 betreibt. Er und Menzel sind Jugendfreunde, kennen sich vom Basketball auf einem Betonplatz, den es schon lange nicht mehr gibt. Menzel und Hotte sind hier, um von ihrem Haus zu erzählen. Denn die „Choriner 12“ ist im Mai verkauft worden. Für rund fünf Millionen Euro, haben die Bewohner:innen erfahren. Nun befürchten sie, dass sich alles ändert. Dass die Mieten steigen. Dass der Spätkauf rausmuss. Nicht nur der: Im Haus befindet sich seit 1991 eine Hausarztpraxis, und ein weiteres Café, das „Lass uns Freunde bleiben“, ist für viele im Viertel Anlaufpunkt.
Man kennt die Geschichte: Private Investoren kaufen ein ganzes Mehrfamilienhaus mit der Absicht, die Mietwohnungen luxuriös zu sanieren oder in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Es geht um Rendite – um die Mieter:innen eher selten. Vor einigen Tagen kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass fast 13 Prozent der Mieterhaushalte in deutschen Großstädten nach Abzug der Miete weniger als das Existenzminimum zur Verfügung haben. Da ist es verständlich, dass in Berlin nach dem Kippen des Mietendeckels die Frage nach Mitteln gegen den Ausverkauf der Stadt den anlaufenden Wahlkampf um Senat und Bezirksparlamente am 26. September bestimmt.
Die Frage stellen sich auch die Mieter:innen in der Choriner Straße. Mit dem Kauf im Mai beginnt für sie, was für viele Hausgemeinschaften in Berlin Alltag geworden ist: der Kampf um ihr Zuhause. Er wird zum bestimmenden Thema, kostet Zeit, Energie. Die Mieter:innen organisieren Demos, machen Pressearbeit, beinahe über Nacht müssen sie sich vernetzen – untereinander und mit dem Bezirk. Sie lesen sich ein und stellen fest, es gibt eine Möglichkeit: das Vorkaufsrecht.
Der Spekulation entrissen
Wenn in sogenannten Milieuschutzgebieten Wohnhäuser verkauft werden, können Kommunen einschreiten. Das Vorkaufsrecht erlaubt es ihnen, das Haus anstelle des privaten Käufers zu erwerben. Die ursprünglichen Käufer:innen können das nur vermeiden, indem sie strenge Abwendungsvereinbarungen unterzeichnen, die beispielsweise Luxussanierungen und starke Mieterhöhungen ausschließen. München macht von diesem Mittel schon seit 1984 Gebrauch. Auch in Frankfurt am Main oder Hamburg wird es angewendet. Laut Senatsverwaltung gab es in Berlin zwischen 2015 und Juni 2021 insgesamt 89 Fälle, in denen vom Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht wurde, und 341 Abwendungsvereinbarungen. Einerseits kommen Häuser in öffentliche oder gemeinwohlorientierte Hand, denn auch Genossenschaften oder Stiftungen können im Auftrag der Städte das Vorkaufsrecht wahrnehmen. Andererseits können die Städte Druck auf die privaten Käufer ausüben, eine Abwendungsvereinbarung zu unterzeichnen.
Das Mittel ist nicht unumstritten. Wer Eingriffe der öffentlichen Hand in den Wohnungsmarkt grundsätzlich kritisch sieht, argumentiert auch gegen das Vorkaufsrecht: Die Ausgaben belasten die öffentlichen Kassen, zugleich würden damit keine neue Wohnungen geschaffen.
Klaus Mindrup hält dagegen viel vom Vorkaufsrecht. Als Bundestagsabgeordneter sitzt er für die SPD unter anderem im Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen. Außerdem ist er im Aufsichtsrat der Wohnungsbaugenossenschaft Bremer Höhe. Die Genossenschaft mit Sitz in Prenzlauer Berg, die sich um das Haus in der Choriner Straße 12 bemüht, hat Mindrup selbst mitgegründet. Der SPD-Politiker hält das Vorkaufsrecht gleich aus mehreren Gründen für wichtig: „Bezahlbaren Wohnraum schafft man nicht nur durch Neubau, sondern auch, indem man zusätzlich den Bestand der Spekulation entzieht.“ Man könne gar nicht so viele neue Wohnungen bauen, wie derzeit aus der Sozialbindung fallen. Vor allem sei das Vorkaufsrecht aber auch mit Blick auf die soziale Zusammensetzung der Viertel ein wichtiges Instrument: „Bei einem Verkauf droht den Menschen nach etwa zehn Jahren die Verdrängung. Die Nachbarschaften werden zerrissen.“
Auch rund um die Choriner Straße hat sich die Nachbarschaft verändert. Früher gab es in der Gegend drei Fleischer, einen Eisenwarenladen, ein Briefmarkengeschäft. Die meisten davon sind verschwunden. Der Spätkauf ist geblieben, eine letzte Bastion. „Viele der Läden, die hier aufmachen, sind einfach nur noch Oberfläche. Da gibt es einen Kaffee für 2,80 und wenig Seele“, sagt Hotte, der Betreiber. Im Spätkauf sei das anders, findet Menzel: „Der Laden war immer ein Magnet für einsame und verlorene Seelen. Auch die brauchen einen Ort. Viele Leuten wissen: Da kann ich hingehen, wenn ich quatschen will.“ Wer heute im Späti sitzt, droht morgen unsichtbar zu werden, weggentrifiziert. Beim Kampf um die Choriner Straße 12 geht es deshalb nicht nur um bezahlbare Mieten. Sondern auch um die Frage, wer sich in der Stadt noch zu Hause fühlen darf.
KfW-Kredite könnten helfen
Das Vorkaufsrecht wurde erst kürzlich auf Bundesebene gestärkt. Kommunen haben nun drei statt zwei Monate Zeit, den Vorkauf zu organisieren. Außerdem dürfen die Häuser nun zum Verkehrswert erworben werden und nicht wie bisher zu dem Preis, den der private Käufer zu zahlen bereit war. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Mindrup hat noch einen weiteren Vorschlag: Der Bund könnte über die Förderbank KfW Genossenschaften lang laufende Kredite mit niedrigen Zinsen anbieten. „Wenn solche Kredite nicht über 30, sondern über 50 Jahre getilgt werden, gibt das den gemeinwohlorientierten Unternehmen Luft zum Atmen.“ Und: „Der Staat hat die Sicherheit, weil er extrem günstige Kredite aufnehmen kann. Diese Sicherheit gibt er aber nicht ausreichend weiter.“
Auch auf kommunaler Ebene gibt es noch Verbesserungsbedarf. Immer wieder kommt es vor, dass Kommunen das Vorkaufsrecht nicht wahrnehmen können, weil weder eine städtische Wohnungsgesellschaft noch eine Genossenschaft den Kauf innerhalb der gesetzten Frist abwickeln kann. In München vermittelt deshalb schon seit 2007 eine eigene Genossenschaft zwischen gemeinwohlorientierten Wohnungsgesellschaften und verkaufsinteressierten Eigentümern – noch bevor sich ein Großinvestor einschaltet. Ein ähnliches Programm ist nun auch in Berlin gestartet: die Initiative „Häuser Bewegen“, eine Anlaufstelle für Mieter:innen, die befürchten, dass ihr Haus verkauft wird.
In der Choriner Straße hat sich das Engagement der Bewohner:innen ausgezahlt, die Transparente, das Straßenfest und die Demos. Der Bezirk will das Vorkaufsrecht ziehen, die Genossenschaft Bremer Höhe kann das Haus kaufen. Die Mieten blieben damit stabil. Spätkauf, Café, Arztpraxis könnten bleiben – und mit ihnen diejenigen, die sich hier zu Hause fühlen.
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