post-hegemoniale Weltordnung

" Valdai" Rede Putin sieht sich als Speerspitze im Kampf für globale Gerechtigkeit

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Von den deutschen Medien im Kern ignoriert, hält Vladimir Putin am 28.10 vor dem Auditorium des Valdai Thinktanks eine bemerkenswerte, vielleicht sogar historische Rede.

http://en.kremlin.ru/events/president/transcripts/69695

In 40 Minuten mit anschließender Fragerunde der internationalen Gäste legt Putin umfassend seine Sichtweise bezüglich der gegenwärtigen globalen Situation als auch seine Vision für eine zukünftige Weltordnung dar.

Putin zeichnet hier eine multipolare, post-hegemoniale Weltordnung, die auf Völkerrecht, Humanismus, Institutionalismus, Respekt für Gegensätze und Chancengleichheit basiert.

Man könnte meinen, einen hehren Freiheitsrevolutionär von edlen Zukunftsvisionen einer gerechteren Welt sprechen zu hören. Freilich ist die Diskrepanz zwischen diesen Worten und der Tatsache, daß der ukrainischen Bevölkerung kurz vor dem Winter, aus strategischen Gründen, die Lebensgrundlage entzogen wird, schwer auszuhalten. Putin sieht Russland in einem Überlebenskampf, der Preis für den Westen soll in die Höhe getrieben werden. An dieser Stelle sei auf die umfassende Analyse von Prof. Mearheimer verwiesen.

https://nationalinterest.org/feature/causes-and-consequences-ukraine-crisis-203182

Putins Ausführungen zielen klar darauf ab, die Völker, die nicht der US-Einflusssphäre zuzurechnen sind, hinter sich im Kampf um eine multipolare Weltordnung zu versammeln. Ich denke, die Anschlussfähigkeit zu dieser Position wird gerade da immens sein, wo die US-Geopolitik der Vergangenheit und Gegenwart Verheerung, Tod und Destabilisation hinterlassen hat, wo der Westen schon lange keine Zukunftsperspektive mehr darstellt.

Was Putin hier vorbringt, ist nichts geringeres als der Aufstand, die Revolution des globalen "Volkes" gegen die herrschende Klasse. Dieses Ansinnen ist in seiner Bedeutung für uns alle kaum zu überschätzen. Es scheint, die wenigsten haben wirklich verstanden, was mit dem Begriff "Zeitenwende" einhergeht. Scholz weiß es.

Anstatt selbstbewusst als Europäer jetzt erst recht auf eine Politik des Interessensausgleichs, des Handels, der Integration zu bestehen, ergeben wir uns auf US-Betreiben hin der Logik des Krieges. Russland wollte diesen Krieg nicht, Westeuropa wollte diesen Krieg nicht, China will diesen kommenden, möglicherweise globalen Krieg ebenfalls nicht.

Die USA plus die EU machen ca. 10% der Weltbevölkerung aus. Die anachronistische, inhumane, kolonialistische Ideologie, diese 10% könnten auf Dauer 90% der Menschheit dominieren, ist moralisch und geschichtlich betrachtet eine Sackgasse und meiner Meinung nach zum Scheitern verurteilt.

Um so erstaunlicher, wie das deutsche Führungspersonal auf eben diese Ideologie einschwenkt, sich ohne jegliche demokratische Legitimation dafür fest an die Seite der USA stellt. Wir ergreifen Partei für die Politik einer in sich dysfunktionalen, mehr oder weniger gescheiterten Demokratie, deren Außenpolitik durch fanatische religiöse Gruppierungen und den Lobbyismus der Rüstungs-und Fossil-Industrie bestimmt wird. Die keine Zukunftsvision, keine Lösung der drängenden Probleme ihrer eigenen Bürger, geschweige denn die der globale Gemeinschaft zu entwickeln mehr im Stande ist. Zweifelsohne haben wir von der Zeit des US-Protektorats profitiert, andere Weltgegenden hingegen sind aufgrund der US-Geopolitik zu Grunde gerichtet worden, eine globale Lösung hierdurch kommt für etliche Staaten nicht mehr in Frage.

Das deutsche Bildungsbürgertum, selbst diejenigen, oder vielleicht gerade die, die sich politisch eher links verorten, progressiv, weltoffen, kosmopolitisch, umweltbewegt, kommen offensichtlich nun zu folgender Erkenntniss:

"Wenn wir jetzt nicht Krieg gegen Russland und China führen, wird sich in Zukunft kein schwules Paar mehr in Berlin auf der Strasse küssen können, und mein Kind wird nicht die selben Privilegien haben wie ich"

Wärend sich im letzten Jahrzehnt unterschwellig das Bewusstsein ausbreitete, "so" könne es nicht weitergehen mit uns, in punkto Umwelt, globale Gerechtigkeit, Konsum usw. wird die Sache nun konkret. Die "Anderen" fordern ein Stück vom Kuchen. Macht, Selbstbestimmtheit, das Recht auf Entwicklung und Ressourcen. Dazu müssen wir Macht aufgeben. Der Reflex darauf ist genauso alt wie primitiv: Aus der Angst vor dem Privilegienverlust greift man zu den Waffen. Was beim neorealistischen US-Geostrategen müdes Schulterzucken hervorruft, braucht beim Volk noch etwas anderes. Um diese Tatsache einigermaßen mit der eigenen "Werteorientierung" in Einklang zu bringen, um sich noch auf der "richtigen" Seite wähnen zu können, bedarf es einer anderen, gut erprobten Strategie:

Die Dämonisierung, oder warum unsere "Werte" nicht auch genauso auf die Anderen anzuwenden sind. Das hat in der deutschen Geschichte schon einmal funktioniert. Ein Framing, das keine Alternative zum Krieg, zur Vernichtung mehr zulässt.

Hierzu möchte ich Theo Waigl zu Gast bei Lanz zitieren, wörtlich:

"Was bedeutet dieser Krieg, nicht nur der Überfall auf die Ukraine, sondern die Gefährdung Europas, die Gefährdung der Welt, eine völlig neue Dimension, die dadurch entstanden ist, durch diese Aggression, eine Gefahr für die Menschheit, ein Diktator, ein Autokrat, ein gewissenloser Despot, droht mit der Atombombe, äh, äh, droht mit Kernwaffen, dass ist das eine völlig neue Dimension…"

Jeder, der angesichts meines Textes, den trainierten Reflex "Das ist doch Täter-Opfer Umkehr", " Verharmlosung des russischen Angriffskriegs" auspackt, möchte ich sagen, ja, das Leid der ukrainische Bevölkerung ist maßlos. Das der russischen Soldaten und Angehörigen ebenso. Krieg ist Krieg, gleichgültig ob er von Deutschen, Amerikanern, Russen oder Ukrainern geführt wird, stellt er ein immer gleiches Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar, für die Bevölkerung, für den Einzelnen. Und nein, auch deutsche Waffen schützen kein Leben in diesem Fall, Frau Baerbock.

So bleibt uns nur der Blick auf die Ursachen, um in der Zukunft die nächste Tragödie des Kriegs zu verhindern.

Ich möchte jeden ermutigen, folgende Papiere der RAND Corporation zu lesen, einem der einflussreichsten US-Thinktanks.

https://www.rand.org/pubs/research_briefs/RB10014.html

https://www.rand.org/pubs/research_reports/RR3063.html

"Overextending and unbalancing Russia" von 2019. Hier ist die Strategie beschrieben, die Ukraine solange aufzurüsten, bis Russland militärisch reagieren muss und man daraufhin konzertierte Sanktionen erlassen kann, um Russland die Rohstoffexporte zu verunmöglichen. Und vieles mehr, mit dem Ziel, Russland als geopolitischen Gegenspieler auszuschalten und um die US-Wirtschaft zu stärken. (Rand versieht das Papier mit einem Disclaimer, welcher davor warnt, dass "Putinfreunde" ihre Papiere falsch darstellen. Was daran falsch darzustellen ist, erschließt sich weder mir, noch den Fachleuten, mit denen ich gesprochen habe. Die Frage ist einzig, wie viel Einfluss diese Studie auf die tatsächliche Politik gehabt hat...)

Ganz offensichtlich ist die US-Regierung der Empfehlung von RAND gefolgt, und hat die Ukraine mit ihrer Bevölkerung in ein perfides Werkzeug für ihre eigenen geopolitischen Machtansprüche gegen Russland verwandelt.

Des Weiteren bietet das Papier "Return of great power war" von 2021 einen Einblick, wie sich die Experten des Thinktanks den kommenden US-China Krieg vorstellen. Sollte jeder gelesen haben!

https://www.rand.org/pubs/research_reports/RRA830-1.html

Das ist die Zukunftsvision der US-Neocons für die Menschheit? Und da machen wir mit?

Jede öffentliche Diskussion, die auch nur ansatzweise die geopolitische Rolle der USA im aktuellen Konflikt zum Thema hat, wird durch eine nie da gewesene Propaganda und Desinformationskampagne erstickt. Die Ampel, vor allem die Grünen, beseelt und blind von ihrer eigenen, grotesken Gesinnungsmoral machen Deutschland, durch die steigende Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs auf europäischem Boden zum Handlanger einer möglichen Menschheitskatastrophe nicht abschätzbaren Ausmaßes. Dadurch, als auch durch die Unterstützung der Sanktionen, welche deutschen Interessen diametral zuwider laufen, Industrien zur Abwanderung in die USA zwingt, potenziell katastrophale Blackout-Szenarien wahrscheinlicher macht, den Aufstieg demokratiefeindlicher Bewegungen begünstigt, begeht die Regierung Landesverrat und Verfassungsbruch. Anscheinend können wir als "client state" nicht anders.

Wir laufen Gefahr, an der Seite der USA in einen globalen Krieg gegen Russland, China und etliche andere Staaten abzudriften, mit dem Ziel, die ökonomische und militärische Vorherrschaft der USA zu stützen. Sind das unsere europäischen Werte? Ist das im europäischen Interesse?

Putin erklärt, es gäbe 2 Westen. Der eine steht für Kultur, Humanismus, Kooperation und Menschenwürde, dieser ist mit Russland fest verbunden. Der andere Westen steht für Überheblichkeit, Dominanzstreben, Ausbeutung, Intrige und Destabilisierung, mit diesem Westen wird sich Russland niemals arrangieren.

Wäre es nicht in unser aller Interesse, wieder zu dem Westen zu werden, der wir mal waren, bevor die Kriegspropaganda unseren Verstand vernebelt hat? Wenn wir wieder eine offene, faktenbasierte gesellschaftliche Debatte führten? Dazu muss das Tabuthema USA auf den Tisch. Es muss auf den Tisch, wieviel Handlungsspielraum aussenpolitisch wir in unserem Land überhaupt haben. Was es kostet, diesen eigenen Handlungsspielraum für Europa herzustellen, und, ja, unsere Lebensweise militärisch notfalls auch zu verteidigen, das Recht eines jeden Staates. In der Ukraine, im möglichen Krieg gegen China werden meine Werte nicht verteidigt, sondern die einer, gestrigen, tristen, perspektivlosen, menschenverachtenden Auffassung des US-Neorealismus. Die junge Menschheitsgeneration weiß im Gegensatz dazu, nur Kooperation wird die Welt retten.

Wäre es nicht angezeigt, unsere eigene Rolle ehrlich zu reflektieren? Statt Dämonisierung zu betreiben, zuzuhören? Ja, auch Putin zuzuhören! Denn, er hält uns den Spiegel vor, und wenn wir die Zukunft mitgestalten wollen, dürfen wir, der Westen, diesen Spiegel nicht aus Trotz zerschlagen. Denn dieser Scherbenhaufen führt über kurz oder lang zur Auslöschung der Menschheit. Durch Krieg, oder durch die Umweltprobleme, die nur global zu lösen sind.

Das Projekt US-Hegemonie kann nur scheitern, kurz-oder langfristig. Die Welt wird sehr genau hinsehen, wie wir uns als Europäer verhalten. Helfen wir, den verkrusteten, überkommenen Status Quo aus Opportunismus zu halten, oder nehmen wir eine konstruktive, gestaltende Rolle ein in einer sich wandelnden Welt?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von