Der Funktionär

Porträt Reinhard Grindel ist Präsident des Deutschen Fußballbunds. Kann er den Fall Beckenbauer aufklären?
Ausgabe 38/2016

Fenster aufmachen und frische Luft hereinlassen – mit diesem Bild hat Reinhard Grindel, seit April Präsident des Deutschen Fußballbunds (DFB), seine Arbeit beschrieben. Derzeit sieht es so aus, als würde mit der frischen Luft der Kaiser zum Fenster hinausgeblasen. Genauer besehen kommt die frische Luft aus der Schweiz, während der DFB die Kanzlei Freshfields mit Untersuchungen beauftragt hat, von denen zwischendurch immer wieder bekannt wird, was dabei alles nicht berücksichtigt wurde – oder werden sollte. Für Reinhard Grindel ist das heikel, der Deutsche Fußballbund lebt seit einer Weile in zwei Zeiten gleichzeitig.

In der einen Zeit geht es zum Beispiel darum, wer neuer Präsident der UEFA wird – in diesem Fall hat sich der deutsche Verband auf die Seite des Slowenen Aleksander Čeferin geschlagen. Das habe aber (noch) nichts damit zu tun gehabt, dass Deutschland sich um die Austragung der EM 2024 bewerben möchte, betont Grindel. In der anderen Zeit geht es darum, welche Überweisungen vor zehn und mehr Jahren wann an wen mit welchem Zweck und mit welcher geheimen Widmung gegangen sind. Da steht vor allem Franz Beckenbauer im Mittelpunkt, der Organisator des „Sommermärchens“. Alles ehrenamtlich, hieß es damals, alles nicht gekauft. Inzwischen gibt es berechtigte Gründe sowohl für die Mutmaßung, der Zuschlag für die WM 2006 in Deutschland sei gekauft worden, wie auch dafür, dass Beckenbauer für sein Engagement sehr wohl ein Honorar bekommen hat. Nur auf verschlungenen Umwegen.

Mann der Kontinuität

Reinhard Grindel war damals, als das alles passierte, einfaches Mitglied des DFB, und hat mit den Vorgängen persönlich nichts zu tun. Die Frage ist allenfalls, ob er der richtige Mann ist, um jene männerbündlerische Kultur, die sich in der Causa Kaiser zu erkennen gibt, zu überwinden und dem größten Fußballverband der Welt ein modernes Profil zu geben. Da gibt die Biografie von Grindel auf jeden Fall Hinweise darauf, dass er eher ein Mann der Kontinuität ist. Das Wort ist ihm schon als solches wichtig, er hat es jetzt auch rund um die Wahl von Aleksander Čeferin als Motiv angegeben. Allerdings ist Kontinuität gerade bei den beiden großen Fußballverbänden FIFA und UEFA nicht das, was wünschenswert ist. Es bedürfte eher eines grundlegenden Neuansatzes. In beiden Fällen hat der DFB enormes Gewicht. Deswegen hängt an Grindel, der sein Amt den Amateurabteilungen innerhalb des Fußballbunds verdankt, so viel.

Wenn man sich seinen Lebenslauf ansieht, dann wird man manche Parallelen zu Theo Zwanziger feststellen, der von 2002 bis 2012 DFB-Präsident war – und der heute in den Affären um Franz Beckenbauer nach wie vor eine wichtige Rolle spielt, schon allein deswegen, weil alle potenziell inkriminierenden Vorfälle in seine Amtszeit fallen. Grindel wie Zwanziger haben ihre politische Heimat bei der CDU, und ihre institutionelle Heimat in den Niederungen der deutschen Vereinslandschaft. Der gebürtige Hamburger Reinhard Grindel studierte Rechtswissenschaften, arbeitete dann aber, anders als Zwanziger, nicht in diesem Bereich, sondern wurde Journalist. Vom ZDF, wo er zuletzt als Studioleiter in Brüssel gearbeitet hatte, wechselte er 2002 in den Deutschen Bundestag, dem er bis 2016, also bis zu seinem Amtsantritt beim DFB, angehörte. Unter den „veröffentlichungspflichtigen Angaben“, die auf der Webseite jedes Abgeordneten zu finden sind, ist auch aufgeführt, dass Grindel schon vorher ein bezahltes Amt beim DFB hatte: Seit 2013 war er Schatzmeister. Zur gleichen Zeit war er bei der CDU für Sportpolitik zuständig. Die einen sahen in dieser Konstellation einen Konflikt, er sah darin wohl eher eine Synergie.

Was den Fußball anbelangt, hat Grindel seine Heimat beim Rotenburger SV aus Niedersachsen. Im einschlägigen Landesverband machte er Karriere, 2009 holte er zudem in der Gegend ein Direktmandat als CDU-Abgeordneter. Als „vielseitigen Ex-Journalisten“ präsentierte ihn der DFB 2013 als Schatzmeister unter dem vielseitigen Ex-Journalisten und Zwanziger-Nachfolger Wolfgang Niersbach. In den drei Jahren davor war er der Antikorruptionsbeauftragte des DFB gewesen.

Als Weltpolitiker gefragt

Nach den Enthüllungen über Niersbach und Beckenbauer steckte der DFB in einer personellen Notlage, und Grindel konnte sich als Alternative von der Basis präsentieren, obwohl er selbst schon ziemlich lange zum DFB-Establishment zählte. Seine politischen Verbindungen haben ihm sicher nicht geschadet. Es heißt, er wäre per Du mit der Bundeskanzlerin, deren Zuneigung zur Nationalmannschaft allgemein bekannt ist. Schon 2013 formulierte Grindel sein Amtsverständnis so, dass er sich nicht nur auf eine Funktion als „Herr der Zahlen“ beschränken, sondern eine „verbandspolitische Rolle“ spielen wolle. Dabei benannte er vor allem die Spannweite zwischen den vielen Ehrenamtlichen an der Basis und dem Apparat rund um den Spitzenfußball als den Bereich, für den er sich vor allem zuständig sieht. Was nun mit den neu bekannt gewordenen Sachverhalten rund um Franz Beckenbauers Werbehonorare von Oddset auf dem Spiel steht, ist die Gemeinnützigkeit des DFB – eine steuerrechtlich entscheidende Qualifikation, die rückwirkend ganze Jahresabschlüsse in Frage stellen könnte.

Die kommenden Jahre werden für den Fußball wegweisend: 2018 eine WM in Russland, einem zunehmend autokratischer regierten, von Korruption, Dopingskandalen und Völkerrechtsbrüchen gezeichneten Land; 2020 eine EM in „ganz Europa“, wobei man gespannt sein darf, wie sich Europa dann ausnimmt; 2022 die vollends kontroverse WM in Katar. Mit einem Lob des Ehrenamts allein wird Grindel da nicht durchkommen. Der DFB-Präsident ist als Weltpolitiker gefragt.

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