Sonderstudienpläne für Schwangere

Menschenschwund und Back-Home-Bewegung Gibt es einen Halt auf der schiefen Ebene der ostdeutschen Demografie?

Blühende Landschaften versprach einst Helmut Kohl. Belächelt und verspottet ob seiner rosigen Prognose hatte er doch recht: Wenn die Menschen gehen oder auf Kinder verzichten, gedeiht die Natur in prächtiger Vielfalt. Seit 1989 erlebt der Osten Deutschlands einen dramatischen Bevölkerungsschwund, von ehemals 16,7 Millionen Einwohnern auf heute etwa 14,5. Prognosen bis 2020 sagen einen weiteren Rückgang um zwei Millionen voraus. Nur vereinzelt gibt es Hoffnungsträger. In der so genannten thüringischen Städtereihe konnten Jena und Erfurt seit dem Jahr 2000 in begrenztem Umfang Einwohner hinzugewinnen. In Sachsen gab es im selben Zeitraum einen Wanderungsüberschuss in Leipzig und Dresden. Auch Potsdam hat zugelegt, ebenso einige Teile des so genannten Speckgürtels rund um Berlin, wenngleich hier eher von Speckwürfeln zu reden wäre. Die Regionen abseits urbaner Zentren entvölkern sich dagegen rasant und verlieren zunehmend auch die Voraussetzungen für einen späteren Halt auf der schiefen Ebene. War vor Jahren zumindest das Niveau der Bildungsabschlüsse im Osten vergleichsweise hoch, verschlechtert sich das durchschnittliche Qualifikationsniveau mittlerweile seit Jahren. Auch Langzeitarbeitslosigkeit ist mittlerweile ein ganz überwiegend ostdeutsches Phänomen, bis heute steigt sogar der Anteil von Langzeitarbeitslosen an der verbliebenen ostdeutschen Bevölkerung.

Angesichts dieser schlechten Nachrichten ignorierte man schon zu Zeiten der rot-grünen Koalition den Abwärtsstrudel ostdeutscher Regionen mit dem Verweis auf die föderale Verantwortung der Länder und flankierte die Passivität mit "Faulheitsdebatten". Etwas "weiße Salbe" für den Patienten wurde kurz vor Schröders Abgang dennoch bewilligt. Und so durfte das für den "Aufbau Ost" zuständige Bundesverkehrsministerium jüngst einige der Schlussfolgerungen präsentieren, die ein aus diesem Hause finanziertes Forschungsvorhaben zu "Haltefaktoren Ostdeutschlands" gezogen hatte. Die Forscher des Berliner Nexus-Instituts machten klar: Bei näherer Betrachtung ist die Abwanderung aus dem Osten zunächst gar nicht besonders hoch. Der entscheidende Unterschied zu den westdeutschen Regionen liegt vielmehr, so die Studie, in einer regelrechten Rückkehrverweigerung. Die Verweigerer sind jung, vor allem weiblich und kommen qualifiziert aus der ostdeutschen Gymnasial- und Hochschullandschaft auf den Markt. Unmittelbar nach Abitur oder Studium ziehen sie weg und sorgen dafür, dass die westdeutschen Wachstumszentren qualifiziertes Personal erhalten. Spiegelverkehrt verbleiben immer mehr ostdeutsche Regionen als demographische Karikatur zurück: Im Durchschnitt immer älter, mit deutlichem Abstand im Qualifikationsniveau sowie in den jüngeren und mittleren Jahrgängen mit einem Männerüberschuss, der zur willkommenen Beute rechtsradikaler Parolen wird.

Was also tun? Gibt es einen Mauerersatz für die qualifizierte, junge Garde, damit sie dem Osten nicht entflieht? Die Nexus-Wissenschaftler haben herausgefunden, dass studentische Paare, die sich während der Studienzeit ihren Kinderwunsch erfüllen, eine Abwanderung nach dem Studium eher ablehnen. Also will man nun zahlreiche Modelle familienfreundlicher Hochschulen entwickeln, bis hin zu Sonderstudienplänen für Schwangere. Auch sollen die wenigen brauchbaren Jobangebote für qualifizierte Fachkräfte in Ostdeutschland besser in der jeweiligen Region bekannt gemacht werden, da sie den passenden und möglicherweise bleibewilligen Kandidaten bisher oft nicht bekannt sind. Und drittens schließlich wird empfohlen, weitere "Rückkehragenturen" für abgewanderte qualifizierte Landeskinder zu gründen und die sieben bereits existierenden Träger einer "Back-Home-Bewegung" zu profilieren. Finanzieren sollen das allerdings die ostdeutschen Länder allein. Denn auf Bundesebene gibt es für solche Gedanken keine Lobby, nachdem eine Magdeburger Rückkehrinitiative im vergangenen Jahr mit einer zweifelhaften "Heimatschachtel", voll mit Burger Knäckebrot und anderen Köstlichkeiten, auf der Titelseite der Bild-Zeitung erschien und als Steuerverschwenderin gebrandmarkt wurde. Weniger provinziell arbeitet in Mecklenburg-Vorpommern die Agentur "MV4you", die Vorreiterin aller heutigen ostdeutschen Rückkehrinitiativen, deren Schicksal nach dem Regierungswechsel in Schwerin allerdings ungeklärt ist. Was also tun? Das Aufbau-Ost-Ministerium wird solche Fragen künftig wohl nicht mehr stellen.


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