Das Ende eines Experiments--Gedanken zum Untergang der DDR

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Auch 22 Jahre nach der deutschen Einheit wird immer noch über Ost-Deutschland gesprochen. Es geht um Themen wie die höhere Arbeitslosigkeit als im bundesweiten Durchschnitt, um Rechtsextremismus oder auch immer noch um den Solidaritätszuschlag.

Nur eine Frage spielt in der öffentlichen Diskussion fast überhaupt keine Rolle. Warum ist die DDR, die nach eigener Darstellung eine der weltstärksten Volkswirtschaften war, überhaupt von der Landkarte verschwunden?

Nun lassen sich darauf viele Antworten sagen. Eine einfache wäre, dass Ronald Reagan einen späten Sieg errungen hat, weil seine Strategie des Totrüstens der Sowjetunion erfolgreich und damit eben auch die DDR nicht mehr lebensfähig war. Eine andere, ebenfalls einfache, wäre, dass Michail Gorbatschow 1989 die DDR einfach fallen gelassen hat, oder, dass die Reduzierung der sowjetischen Öllieferungen ab Mitte der 80-er Jahre deren Wirtschaft bis ins Mark getroffen hat. Alles das ist richtig, doch werden hier nur die äusseren Umstände beschrieben. Es lohnt aber, auch die Eigenverantwortung der DDR-Führung zu betrachten, das, was im Inneren des anderen deutschen Staates passiert ist und wofür weder Reagan noch Gorbatschow verantwortlich sind.

Zwei Punkte sind es unter anderem, die wesentlich für den Zusammenbruch dieses Staates waren.

1. Wie in allen sozialistischen Staaten war die Wirtschaft zentralistisch organisiert. Es fehlte der Wettbewerb innerhalb der Ökonomie, weil dieser Wettbewerb eben auch innovativ wirkt. Anbieter von Waren und Dienstleistungen sind am Markt erfolgreich, die zu erschwingbaren Preisen ein Produkt präsentieren, für das ein Kaufbedürfnis besteht. Die Wirtschaft der DDR war schwerfällig, wenig innovativ und zentral gelenkt. Dafür spricht allein allein die Anzahl der Ministerien, selbst einen Minister für bezirksgeleitete Industrie gab es. Die Planwirtschaft war nicht in der Lage, auf die sich auch in der DDR verändernden Bedürfnisse zu reagieren, weil streng nach einem zentral festgelegten Plan produziert wurde.

Die Autoindustrie war in den 50-er Jahren noch international konkurrenzfähig, nur wurde sie, auch wegen mangelnder Ressourcen, nicht weiter entwickelt. Für den inländischen Markt und den Export innerhalb des real existierenden Sozialismus war ja ausreichend, was in Zwickau und Eisenach produziert wurde. Prototypen, die sich am internationalen Markt orientierten und dortige Innovationen aufgriffen, wurde nie produziert.

In der Folge entwickelte sich eine Industrie, die zwar auch noch in ausgewählten Bereichen für den Weltmarkt produzierte, so wurden beispielsweise Strumpfhosen auch für große bundesdeutsche Warenhausketten produziert, doch die Fähigkeit, schnell und qualitativ konkurrenzfähig für den Weltmarkt zu herzustellen, sank immer mehr.

Nun wäre das für die Bevölkerung kein Problem gewesen, doch auch der Binnenkonsum litt darunter. Sicherlich, es gab für jeden ein Dach über dem Kopf und keiner musste hungern, doch das, was auf der anderen Seite der Elbe möglich war und sich ja nicht verstecken ließ, nämlich eine reichhaltige Auswahl und Luxus, das hat die DDR-Bevölkerung nie erlebt. So passierte es eben, dass in der Kreisstadt Geithain für mehr als eine Woche keine Briefmarken erhältlich waren, weil die Post nicht in der Lage war, ihre Filialen in der erforderlichen Menge zu beliefern.

Und so entwickelte sich eben auch eine Tauschwirtschaft, in die auch Mitarbeiter staatlicher Organe involviert waren. Verbürgt sind Fälle, in denen Fahrer von Ministerien aus Berlin Bier nach Rostock, wohlgemerkt auf Dienstfahrten, mitnahmen, und frischen Fisch wieder nach Berlin brachten, und das alles für ihren privaten Gebrauch.

Weil die DDR aber eben an die Bundesrepublik grenzte, war der Mangel noch mehr erlebbar und führte auch zu einer zunehmenden Distanz der Bürger zu ihrem Staat, der nicht in der Lage war, eine mehr als Grundversorgung zu gewährleisten.

Ein Mehr an Wettbewerb, eine Zulassung privater Produzenten über das 1972 gestattete hinaus und eine Orientierung der Wirtschaft an den realen Bedürfnissen insbesondere des Binnenmarktes hat es nie gegeben. Bis 1989 blieb es bei den zentralen Vorgaben von oben, die immer mehr am tatsächlichen Bedarf vorbeigingen. Flexibilität hatte die DDR-Volkswirtschaft nie und das gesamte sozialistische Weltsystem hat zeit seines Bestehens nie die ökonomische Stärke des Westens erreichen können. Und seine zentralistische Lenkung war ein e wesentlicher Grund dafür.

2. Gab es sehr wohl eine Einschränkung persönlicher Freiheiten. Natürlich war die DDR keine Diktatur, es gab die Datschen, nach langer Wartezeit oder durch Beziehungen hatte der Bürger irgendwann ein Auto, individueller Urlaub bei Bekannten und Verwandten war möglich. Mit etwas Glück war auch ein Urlaub in einem der FDGB-Ferienheime zu bekommen, vielleicht sogar ein Auslandsurlaub in einem der sozialistischen Bruderländer.

Freie, gleiche und geheime Wahlen aber haben in der DDR nie stattgefunden. Ein Wettbewerb politischer Ideen war nie möglich. Vor Beginn der Volkskammerwahlen war schon klar, dass die SED von den 500 Mandaten 124 erhalten und den Parlamentspräsidenten stellen würde. Abgestimmt wurde im Block der Nationalen Front, es war eine Wahlfarce.

Auch auf anderen Gebieten waren die persönlichen Freiheiten eingeschränkt. Eine freiwillige Mitgliedschaft in der Gewerkschaft und der DSF war zwar theoretisch, jedoch kaum praktisch möglich. Gleiches gilt für die FDJ. Wer hier aus dem allgemeinen Gleichschritt ausscherte und seinen eigenen Weg gehen wollte, der durfte mit Hindernissen rechnen. Ohne die Teilnahme an der Jugendweihe und der Mitgliedschaft in der FDJ war ein Studium kaum mehr möglich.

Eine Gesellschaft lebt auch von ihrer Weiterentwicklung, von innerer Innovation. Die in den 80-er Jahren entstandenen Oppositionsgruppen wollten ja mitnichten das Ende der DDR und ihr Aufgehen in der Bundesrepublik, nein, sie wollten mehr Freiheiten. Sie wollten letztendlich das, wozu die DDR sich völkerrechtlich sogar verpflichtet hatte, siehe Schlußakte von Helsinki, nämlich die Achtung grundlegender Menschenrechte, wozu auch das Recht auf eine individuelle Lebensgestaltung gehört.

Die Führung der DDR aber sah dies zunehmend als einen Angriff auf sich an, und begegnete diesem mit staatlichen Repressalien. Die Führung der DDR war eine Gruppe alter Männer, vereint durch ihren Kampf gegen die Nazis. Sie waren immer weniger in der Lage, die reale Situation zu erkennen. Abgeschirmt von ihrem Volk, in einer eigenen Wohnsiedlung und mit Volvos des ach so verpönten Klassenfeindes in ihre Berliner Büros kutschiert, genossen sie den Luxus westlicher Produkte, von denen ihr Volk nur träumen konnte.

Partei- und Staatsführung, schon das Wort sagt vieles aus. Die Einheit von Staat und seiner führenden Partei, in keiner Wahl demokratisch legitimiert, wurde immer fester zementiert.

Als die DDR 1989 auch außenpolitisch zur Disposition stand, als Gorbatschow im Oktober mit eisigem Schweigen geantwortet wurde, als er die DDR-Führung zur Einleitung von dringend notwendigen Reformen aufforderte, war der Bruch zwischen Volk und politischer Führung längst vollzogen.

Ein Volk, dass so lange entmündigt wurde und dazu eine Wirtschaft, die nur die Grundbedürfnisse befriedigen kann sowie als dritter Faktor das Wissen, dass etwas anderes möglich ist, all dies hat maßgeblich zur einer über mehrere Jahre andauernden inneren Erosion der DDR geführt.

Nun schmecken die Kirschen in Nachbars Garten immer süßer als die eigenen und so manche Illusion ist nach 1990 zerplatzt.

Fakt ist aber auch, dass der andere deutsche Staat kein Sozialismus war und dass die Theoretiker wie Marx, Engels, Lenin, aber auch Bebel, Zetkin oder Mehring so einen Staat nie gewollt haben.

In der öffentlichen Diskussion haben diese Fakten aber keine Bedeutung. Bei aller berechtigen Verteidigung der Grundidee, auf deutschen Boden einen Staat zu errichten, von dem eben keine Bedrohung für die Völker Europas und der Welt mehr ausgeht, darf nicht vergessen werden, dass die DDR auch ein Staat war, in dem die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit nur eingeschränkt möglich war. Bei aller Berücksichtung historischer Fakten wie der Nichterfüllung des Potsdamer Abkommens durch die westlichen Alliierten darf eben nicht vergessen werden, dass in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone ein Staat entstand, der sich streng an den Wertvorstellungen und auch der Staatsstruktur und der Wirtschaftsform der Sowjetunion unter der Führung Stalins orientierte. Und dieser Staat war auch nach 1986 nicht flexibel genug war, dem neuen Kurs der UdSSR zu folgen, Reformen einzuleiten und seine Bevölkerung auf dem Weg einer inneren Erneuerung mit zu nehmen. Er blieb bis zu seinem Untergang in einer von der Zeit längst überholten Wirtschaftsform und einer aus den Anfangsjahren der UdSSR stammenden Staatsbürokratie verhaftet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

life is illusion, adventure, challenge...but not a dream

rolf netzmann