Die Folgen des politischen Erdbebens vom Sonntag

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Betrachtet man das politische Erdbeben von gestern Abend mit dem heutigen zeitlichen Abstand, so kommt man zu erstaunlichen Feststellungen.

Dass die FDP die Kanzlerin so ungeniert erpresst, ist schon erstaunlich, es grenzt schon an politisches Harakiri, weil sie damit den Bruch der Koalition offen riskierten. Dass sie am Ende mit diesem Coup erfolgreich waren, ist auch darin begründet, dass die Regierungschefin aus außenpolitischen Gründen einen solchen Bruch nicht riskieren konnte. Und die FDP konnte es sich auf die Fahnen heften, dass sie es war, die Gauck ins Amt gehoben hat. Ob dieser erfolgreiche Coup ihr aus dem Umfragetief heraushilft, bleibt allerdings abzuwarten.

Wie tief der Riss in der Koalition inzwischen ist, zeigt sich auch daran, dass die Union schon angedeutet hat, dass sie den Liberalen bei der Vorratsdatenspeicherung nicht ein Jota entgegenkommen wird. Es könnte sich für die Liberalen auch noch als Bumerang erweisen, dass sie die Koalitionsdisziplin gebrochen haben. Eine Regierung, die aber nur noch aus dem Drang nach Machterhalt weiter arbeiten kann und wo zwischen den Partnern ein tiefes Misstrauen herrscht, ist mit Sicherheit keine gute für Deutschland.

Eine zweite Feststellung ist bemerkenswert. Von ARD bis NTV, von FAZ bis SZ wurde von einem Kandidaten berichtet, der von allen Parteien getragen wird. Nur wo bitte war die Linkspartei? Das ist nun den anderen Oppositionspartein nicht anzulasten, SPD und Grüne waren für deren Einbeziehung in die Konsensgespräche. Nein, die Regierungsparteien habne die linke Opposition außen vor gelassen. Es gibt also für Union und FDP eine gute und eine schlechte Opposition. Es ist einfach ein schlechter Stil, in einer solchen Situation eine starke Fraktion auszusperren. Das die Linke jetzt über die Aufstellung eines eigenen Kandidaten nachdenkt, erscheint in diesem Licht nur logisch. Es widerspricht aber auch der journalistischen Sorgfaltspflicht, eine solche Ausgrenzung in der Berichterstattung einfach zu ignorieren.

Gauck wird also der 11. Präsident der Bundesrepublik werden. Es wird dadurch nicht einfacher für Merkel und Co., ist der neue Schlossherr im Bellevue doch ein eigenständischer Kopf und kein Parteisoldat. Es könnte also passieren, dass er ein Gesetz, das vom Kabinett gebilligt und vom Bundestag beschlossen wurde, nicht unterschreibt und zurück weist. Noch wahrscheinlicher ist es, dass er sich einmischt in die politische Debatte, dass er klare Worte findet und den Politikern auch ein mal die Leviten liest.

Nur bleibt zu wünschen, dass er seine Meinung zur Occupy-Bewegung und den sozialen Protesten noch einmal überdenkt. Nur für die Abschaffung des einen Staates gewesen zu sein und die sozialen Verwerfungen, die weltweit stattfinden, zu ignorieren, ist auf Dauer zu wenig, um als Präsident der Bürger in die Geschichte einzugehen. Dann bliebe als Fazit nur, dass sein Vor-Vorgänger Köhler weiter denken konnte.

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Geschrieben von

rolf netzmann

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rolf netzmann

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