Die Gauck`sche Freiheit

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Jeder Bundespräsident hatte ein Thema, das ihm in seiner Amtszeit besonders wichtig war.

Roman Herzog sprach in seiner berühmten Ruck-Rede die Stagnation in Deutschland an und rief dazu auf, diese zu überwinden.

Christian Wulffs Thema war die Integration. In der einzigen bedeutenden Rede seiner 20-monatigen Amtszeit äußerte er, dass der Islam inzwischen zu Deutschland gehört. Das brachte ihm auch viel Kritik ein.

Es scheint sicher, dass Joachim Gauch die Freiheit zum bestimmenden Thema seiner Präsidentschaft wählen wird. Und hier wird es problematisch. Gauck hat in den letzten 22 Jahren eine Deutungshoheit des Freiheitsbegriffes für sich beansprucht, die untrennbar mit seiner eigenen Biographie verbunden ist. Dadurch verkürzt er Freiheit auf die Abwesenheit der DDR. Nach seiner Nominierung erklärte er vor der Presse, dass

"die Menschen in diesem Land lernen, dass sie in einem guten Land leben, das sie lieben können, weil es die wunderbaren Möglichkeiten gibt, in einem erfüllten Leben Freiheit für etwas und zu etwas zu leben, und diese Haltung nennen wir Verantwortung."

Nun ist erlebte Freiheit etwas sehr individuelles und jeder Mensch versteht etwas anderes darunter. Wer in einer herausgehobenen politischen Funktion die Definition von Freiheit nur aus seiner eigenen Biographie ableitet, verkürzt sie auf die eigene Individualität und nimmt ihr das Universelle. Umgekehrt gilt, wer Unfreiheit nur auf das eigene vergangene Leben reduziert, nimmt sich die Möglichkeit, heutige Unfreiheit zu erkennen. So sind die Äußerungen des Joachim Gauck zur Occupy Bewegung erklärbar.

Was aber ist mit den heutigen Unfreiheiten? Vor wenigen Tagen hat das Bundesverfassungsgericht die bestehenden gesetzlichen Regelungen bezüglich des Zugriffs von Sicherheitsbehörden auf Pin-s und Passwörter im Internet als verfassungswidrig gerügt. Es verletze das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so war aus Karlsruhe zu vernehmen, wenn Internetnutzer nicht darauf vertrauen können, dass ihre passwortgeschützten Daten geheim bleiben. Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, bis 2013 neue und verfassungskonforme Regelungen zu beschließen. Ein solches Gesetz muss von Gauck unterzeichnet und im Bundesanzeiger veröffentlicht werden, ehe es in Kraft treten kann. Wie positioniert sich Gauck zu diesen heutigen Unfreiheiten? Wo beginnt und wo endet Freiheit in einer Zeit, in der Facebook, Google & Co scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten im World Wide Web offerieren? Wie bewertet Gauck die praktizierte Freiheit des internationalen Finanzkapitals, selbst ökonomisch stabile Nationalstaaten wie Irland an den Rand der Zahlungsunfähigkeit zu treiben? Wird er diese Entwicklungen ignorieren oder wie sein Vor-Vorgänger Köhler dazu klare Worte finden? Eigentum ist dem Gemeinwohl verpflichtet, heißt es nicht ohne Grund in der Verfassung unseres Landes.

Mit seiner nur aus der eigenen Biographie rührenden Definition des Freiheitsbegriffs ist Gauck nicht in der Lage, auf diese aktuellen Fragen Antworten zu finden.

Die Bedeutung von Freiheit wird immer auch von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt. Gaucks Freiheitsdefinition beruht auf Erlebnissen in einem Staat, der seit 22 Jahren nicht mehr existiert. Wenn er schreibt:

" doch ich wollte und will mir jene warme und tiefe Zuneigung zur Freiheit erhalten, die wohl nur versteht, wer sich lange und intensiv nach ihr gesehnt hat und in ihr magnetisches Feld geraten ist",

so beschreibt dies sein eigenes und ganz persönliches Freiheitsgefühl.

Und Matthias Dell schreibt im aktuellen Freitag: " So ist Freiheit im Gauck`schen Pathos nicht mehr als ein Label, das auf einer abgeschlossenen Erfolgsgeschichte pappt, die er erfolgreich für sich privatisiert hat. Wo Gauck auftaucht, ist Freiheit -- ein Markenzeichen des Umbruchs von 1989."

Nur stellt sich jetzt die Frage, ob jemand wie Gauck, der seinen eigenen Horizont nicht erweitern kann oder will, weil er ein Gefangener seiner Biographie ist, über sie geistige Weite eines für alle Bürger wirkenden Bundespräsidenten verfügt.

Von Rosa Luxemburg stammt der Satz, dass Freiheit immer auch die Freiheit der Andersdenkenden bedeutet. Wenn die verkürzte, aus dem Persönlichen abgeleitete Freiheitsdefinition des Joachim Gauck, die er mit Vehemenz verteidigt, sein Thema als Präsident wird, so bedeutet das auch von Beginn an eine Ausgrenzung aller Menschen, die Freiheit anders verstehen und leben als er.

Das wäre allerdings kein gutes Omen für die Gauck`sche Präsidentschaft.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

life is illusion, adventure, challenge...but not a dream

rolf netzmann

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