Kein Verrat, nur Machtpolitik

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Wer heute die deutsche Enthaltung bei der Libyen Resolution als eigenständige deutsche Aussenpolitik bezeichnet, verkennt die politische Motivation des Duos Merkel/Westerwelle für diesen Schritt. Es war mitnichten der Mut, eine eigene deutsche Position zu vertreten.

Es war sicherlich auch kein Verrat an Bündnisprinzipien, dass die Bundesrepublik nicht in Vasallentreue ihren politischen, wirtschaftlichen und militärischen Verbündeten hinterher gelaufen ist.


Nur kann ich in der deutschen Enthaltung im UN-Sicherheitsrat eben auch keine eigenständige Aussenpolitik erkennen. Eine solche basiert auf einer Analyse der Realität und daraus abgeleitetem Handeln. Das aber hat das Duo Merkel/Westerwelle eben nicht getan. Die Enthaltung war innenpolitisch motiviert, Kanzlerin und Stellvertreter hatten zwei deutsche Landtagswahlen im Blick, als sie diese wichtige aussenpolitische Entscheidung trafen.


Eine eigenständige Aussenpolitik, gegen den Widerstand auch der mächtigen Springer Presse, hat Anfang der 70-er Jahre Willy Brandt betrieben. Seine gründliche Analyse der sich verändernden politischen Situation in Europa führte zur neuen Ostpolitik, zum berühmten Warschauer Kniefall und zu Anerkennung der DDR. Brandt war überzeugt davon, dass dies den Interessen der Bundesrepublik dient und sie in der neu entstehenden politischen europäischen Ordnung dauerhaft etablieren würde. Brandt hatte Visionen, etwas, was heutigen Politikern völlig fehlt.


Wer die deutsche Enthaltung so einordnet, muss eben auch erkennen, dass die Bundesrepublik heute eine Regierung hat, welcher der Erhalt der eigenenMacht wichtiger ist als eine auf gründlicher Analyse beruhende Politik. Das heisst aber auch, dass eine politische Verlässlichkeit der Regierung zunehmend unwahrscheinlicher wird, was in der 180 Grad Wende in der Atompolitik sehr deutlich demonstriert wird.


Nein, es war kein Verrat, das stimmt. Es war ein Vorgeschmack darauf, was von dieser Bundesregierung noch zu erwarten ist, wenn sie die Erosion ihrer Macht noch intensiver wahrnehmen wird. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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Geschrieben von

rolf netzmann

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rolf netzmann