Merkel und Gauck, ein ungleiches Duo

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Im aktuellen FREITAG schreibt Georg Seeßlen unter der Überschrift " Die Maschinistin" über Kanzlerin Merkel und den designierten Präsidenten Gauck.

Der Artikel geht auf das Verhältnis der beiden Politiker und das Spannungsfeld ein, das sich daraus ergibt. Dazu möchte ich einige weiter führende Bemerkungen schreiben.

Dass zwei ost-deutsche Protestanten nun das politische Führungsduo der stärksten europäischen Volkswirtschaft bilden, mag so manchem nostalgischen Anhänger der alten Bonner Republik schwer im Magen liegen. Doch Gemach.
Merkel hat sich ihren Weg an die Spitze der Macht in den Jahren seit 1990 beharrlich erarbeitet. Mit der den Norddeutschen eigenen Kühle und unbeirrt von Widrigkeiten hat das ehemalige " Mädchen", wie Kohl sie einst nannte, auch gestandene Politprofis, die ihr im Wege standen, beiseite geräumt. Nicht nur Friedrich Merz kann davon ein Lied singen und verließ die politische Bühne.

Gauck hingegen war schon im Ruhestand, ehe das für ihn völlig überraschende politische Comeback erfolgte. Zu verdanken hat er dieses seinem Vorgänger Wulff und dessen Unvermögen, eine kritische Distanz zu den Mächtigen der Wirtschaft zu wahren.


Merkel und Gauck haben beide ihre politischen Wurzeln in der DDR. Und doch haben sie diesen Staat unterschiedlich erlebt. Es ist dem ehemaligen Pfarrer Gauck mehr abzunehmen, dass er in einer inneren Opposition zur DDR gelebt hat. Er fand seinen Platz in der Kirche, die immer eine Distanz zum real existierenden Sozialismus gewahrt hat und in den 80-ern den ersten Oppositionellen einen wenn auch geringen Schutz bot.
Merkel dagegen war im Gegensatz zu Gauck Mitglied der staatlichen Jugendorganisation, sie konnte ein Studium aufnehmen, das ihren Interessen und Neigungen entsprach. Sie gehörte damit, anders als Gauck, zu den Privilegierten. Schon hier finden sich Unterschiede in den Lebensläufen der Beiden.
Nach 1990 wurde es noch deutlicher. Gauck beschäftigte sich jahrelang mit der Aufarbeitung der Hinterlassenschaften der DDR-Staatssicherheit. Seine Behörde archivierte nicht nur die Akten, sie wertete sie auch aus und nutzte die daraus gewonnenen Erkenntnisse gegen Politiker und Mandatsträger der Linken sowie gegen Bewerber für den öffentlichen Dienst aus.
Das heißt aber auch, dass Gauck viel mehr in der Ex-DDR verhaftet blieb, dass er jahrelang sich mit deren Erbe beschäftigte.Das konnte nicht ohne Spuren bei dem Menschen Gauck bleiben. So ist auch zu erklären, dass er heute sein Image als ehemaliger Bürgerrechtler pflegen kann, auf dem seine Popularität beruht. So ist aber eben auch zu erklären, dass er viel weniger als Merkel in der heutigen Realität angekommen ist.

Merkels Weg war nach 1990 ein anderer. Sie ging in die aktive Politik, als Bundesministerin, als Oppositionführerin, seit 2005 als Kanzlerin. Ihr Umfeld war ein anderes, viel näher an den realen Problemen, viel umfangreicher und komplizierter. Das bedeutete eine andere Entwicklung auch des Menschen Merkel, sie lernte, Kompromisse zu schließen und sich durchzusetzen. Ihre Fähigkeit, politische Einsichten zu ändern, wenn es die Realitäten erfordern, resultieren aus diesem Lernprozess.

Seeßlen beschreibt die Kanzlerin als Maschinistin, die ihre Maschine, die deutsche Wirtschaft, immer gut pflegt, damit sie störungsfrei funktioniert. Merkel hat in die Politik eine Eigenschaft eingebracht, die sie als Naturwissenschaftlerin gelernt hat, nüchternes Analysieren. Sie bildet, um bei Seeßlen zu bleiben, eine Symbiose mit ihrer Maschine. Sie ist eine Technokratin, die ein bestehendes System am Laufen erhält und es nach außen hin auch noch gut verkauft.

Wie aber könnte Gauck diesem System, das mit dem Namen der Kanzlerin verbunden ist, gefährlich werden. Geht es nur um das Formale, dass er Gesetze nicht unterschreibt? Nein, Merkel hat schon 2010 sehr genau die Gefährlichkeit erkannt, die Gauck für sie hat.

Gauck ist zwar ein in der Vergangenheit verhafteter Mensch, was aus seiner Biographie rührt. Er ist aber auch viel mehr ein emotionaler Mensch als Merkel. Er hat es geschickt verstanden, aus seiner Biographie eine moralische Integrität zu ziehen, die ihn heute wie ein undurchlässiger Mantel umgibt. Selbst die Tatsache, dass er als immer noch verheirater, aber schon lange getrennt lebender Mann in wilder Ehe lebt, schadet dieser Integrität in keinster Weise.
Dass er sich zu den Occupy Protesten oder der Vorratsdatenspeicherung nicht im Sinne eines Bürgerrechtlers positioniert, macht ihn zwar für die Linke nicht wählbar, doch die Masse der Bevölkerung verehrt ihn wie einen Messias. Angesichts der Alternativlosigkeit und einer moralischen Stagnation der Gesellschaft erscheint Gauck wie der einsame Leuchtturm inmitten einer immer mehr verkommenen Landschaft. Er verkörpert, obwohl er wertkonservativ ist, einen Gegenentwurf zu der technokratischen german iron lady.

" Joachim Gauck, immerhin, wäre ein Präsident, der zeigte, dass Macht und Repräsentation auch anders aussehen können als im Merkelismus vorgesehen. Anders auf jeden Fall – kritische Zeitgenossen meinen: vielleicht noch schlimmer. Einen guten Präsidenten als Widerpart jedenfalls kann Merkels Art von Herrschaft überhaupt nicht brauchen." .

So beendet Seeßlen seinen sehr lesenswerten Artikel.


Beide haben eine ost-deutsche Biographie, beide kommen aus protestantischen Elternhäusern, beide sind Norddeutsche und an der Küste aufgewachsen und beide haben eine kritische Distanz zur DDR. Und doch könnte Gauck ein Widerpart zu Merkel werden, und zwar dann, wenn er die technokratische, lediglich verwaltende und nicht kreativ-gestaltende Regierungsarbeit als solche benennt. Er hat die Fähigkeit, als begnadeter, rhetorisch geschulter Redner Dinge offen zu charakterisieren. Und ihm würde das Volk zuhören und glauben.

„Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen“, meinte einst Helmut Schmidt., schreibt Seeßlen. Gauck wäre einer, der wieder Visionen in die Politik bringen könnte. Und hier schließt sich der Kreis. Der ehemalige Bürgerrechtler Gauck hatte die Vision einer anderen, solidarischeren Gesellschaft, die den Bürger als Souverän ernst nimmt. Das hat er in der DDR nie erlebt.
Der Präsident Gauck könnte diese Vision heute einfordern, öffentlich artikulieren und ihr die mediale Aufmerksamkeit garantieren. Und damit wäre er ein Widerpart zur technokratischen und lediglich verwaltenden Kanzlerin.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rolf netzmann

life is illusion, adventure, challenge...but not a dream

rolf netzmann

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