Nur eine kleine Meldung -- und viele offenen Fragen

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Es war nur eine kleine Meldung in den gestrigen Radionachrichten, fast wäre sie in der Fülle der täglichen Katastrophenmeldungen untergegangen. Der Chef der Stasi-Unterlagenbehörde bedauert, dass er nicht das Personal hat, um das Vorgehen der Stasi gegen DDR-Neonazis aufzuarbeiten.

Es ist ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Statement. Dass es Neonazis in den letzten Jahren der DDR gab, ist bekannt, dass die Stasi gegen diese vorging, auch. Nur wie sah dieses Vorgehen aus? Wurde diese Szene ebenfalls unterwandert und infiltriert, wie die kirchliche Oppositionsbewegung oder die alternative Kunstszene in Berlin-Prenzlauer Berg? Oder wurde hier sofort knallhart durchgegriffen?

Anfang der 90-er erschien ein Buch von Ingo Hasselbach, der 1990 eine der zentralen Figuren der Nazis im Berlin-Lichtenberger Weitlingkiez war. Hasselbach, der später ausstieg und seine detaillierten Kenntnisse offenbarte, beschreibt darin die straffe Organisationsstruktur und die Vernetzung der rechten Gruppen. Diese hatten damals in der Weitlingstrasse auch Häuser besetzt und dort ihre Kommandozentralen eingerichtet. Nur wie die Stasi gegen sie vorging, dazu schreibt er nichts, obwohl er schon in der End-DDR-Zeiten ein Neonazi war.

Nur stellt sich noch eine andere Frage. Wie konnte in der DDR, die für sich immer den Antifaschismus als eine Gründungsdoktrin proklamierte, überhaupt eine solche Szene entstehen? War der Faschismus und die Naziideologie doch nicht, wie immer behauptet, mit Stumpf und Stil ausgerottet worden? Anders als die langhaarigen Kuttenträger, die den Bluesbands quer durch die Republik hinterherfuhren, konnte hier die Musik kein Bindeglied darstellen. Im öffentlichen Erscheinungsbild galt der staatlich verordnete Antifaschismus.

"Früher durften wir es nicht sagen, da hätte uns der Russe wieder geholt", solche und ähnliche Sätze habe ich nach 1990 mehrfach im sächsischen Vogtland gehört. Gesprochen wurden sie von alten Männern, die den Überfall auf die UdSSR als Angehörige der Wehrmacht erlebt hatten und immer noch stolz darauf waren. 40 Jahre DDR haben daran nichts geändert, jetzt, nach deren Zusammenbruch, erhoben sie ihre Köpfe wieder. Nur haben sie 40 Jahre geschwiegen? Wohl kaum, diese Saat der Lüge vom Volk ohne Raum, von der ruhmreichen Wehrmacht lebte im Verborgenen weiter, im Privaten, in den eigenen vier Wänden. Das Beharrungsvermögen war stärker als der staatlich verordnete Antifaschismus. Als die DDR zu erodieren begann, wuchs sie wieder, nistete sich ein in den Köpfen der Jungen, die sie immer wieder im Geheimen erlebt haben.

"Die Kommunisten haben endlich ausgedient", auch ein Satz, der nach 1990 häufig im Vogtland ausgesprochen wurde. Die CDU unter Biedenkopf als quasi Staatspartei, die anderen Parteien marginalisiert und auf der lokalen Ebene auch diese alten Männer als Mandatsträger der DSU, es war ein idealer Nährboden für das Entstehen rechstsextremer Gruppierungen, der von den rechten Funktionären aus dem Westen mit Kusshand aufgenommen wurde.

Nur dieser Nährboden entstand viel früher, dieser Acker wurde Jahre früher schon bestellt. Insofern wäre es schon interessant, was in den Archiven der ehemaligen MfS-Bezirksverwaltungen besonders von Dresden und Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) an Akten schlummert, die die Vorgehensweise der Stasi gegen DDR-Neonazis beleuchten und offenlegen.

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Geschrieben von

rolf netzmann

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rolf netzmann