Hamburgs harte Linie

Abschiebungen ins Krisengebiet Trotz hoher Sicherheitsrisiken plant die Hansestadt die massenhafte Rückführung von Afghanen

"Der Bürgerkrieg in Afghanistan ist seit drei Jahren beendet", erklärte der Hamburger Innensenator Udo Nagel (parteilos) Ende vergangener Woche. Das Thema Abschiebungen nach Afghanistan ist für ihn damit beendet. Schon seit Anfang Mai kündigt Nagel den Beginn von Massenabschiebungen in das zentralasiatische Land an. Ihm ist bei seinem Afghanistan-Besuch Mitte April 2005 offensichtlich entgangen, dass viele Provinzen von Warlords beherrscht werden und als Gebiete mit hohem Sicherheitsrisiko gelten. Das verwundert nicht, denn Nagels Besuch erstreckte sich ausschließlich auf die Hauptstadt Kabul.

Die Erfahrung, dass auch dort das Leben nicht sicher ist, machte kürzlich die Hamburger Grünen-Politikerin Antje Möller. Die Vorsitzende der Fraktion der Grün-Alternativen Liste (GAL) in der Hamburger Bürgerschaft war in Begleitung der Pastorin Fanny Dethloff und des gebürtigen Afghanen Rafik Shirdel vom "Netzwerk Afghanistan Info" Anfang Mai für eine Woche nach Kabul geflogen. "Die Sicherheitslage, die ich erlebt habe, ist nicht stabil", erklärte Möller nach ihrer Rückkehr. Bombenattentate und heftige Unruhen ließen derzeit keine Abschiebungen zu. Die Infrastruktur in Kabul sei für 300.000 Menschen angelegt, derzeit leben aber zehn Mal so viele in der Hauptstadt. Auch Flüchtlingsorganisationen und der DGB kritisierten die Abschiebepläne als verantwortungslos.

In der Bundesrepublik leben etwa 58.000 Afghaninnen und Afghanen, circa 18.000 davon in Hamburg, der größten afghanischen Gemeinde Europas. Etwa 5.000 von ihnen will Nagel in ihr zerbombtes, vermintes und uran-verseuchtes Herkunftsland abschieben lassen. Zunächst sollen alleinstehende Männer zwischen 16 und 60 Jahren, die nicht länger als sechs Jahre in der Bundesrepublik leben, zwangsrückgeführt werden. Schon der damalige Hamburger Innensenator Ronald Barnabas Schill (Schill-Partei) drängte 2003 auf eine rasche Entscheidung der Innenministerkonferenz (IMK) in Bezug auf Afghanistan. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) schlug im Sommer 2003 vor, anerkannten Asylbewerberinnen und -bewerbern aus Afghanistan und dem Irak ihre Asylberechtigung wieder abzuerkennen und sie abzuschieben, da die Lage in den Herkunftsländern sich positiv verändert habe.

Schills Parteikollege und Nachfolger Dirk Nockemann kündigte nach seinem Amtsantritt Anfang 2004 vollmundig einen Hamburger Alleingang an, wenn die IMK kein grünes Licht für Massenabschiebungen erteile. Auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz tauchte das Thema zwar regelmäßig auf, wurde aber immer wieder vertagt, unter anderem weil auch die Schutztruppe ISAF dringend von Zwangsrückführungen abriet. Auf Druck von Hamburg segnete die IMK inzwischen die Abschiebung von so genannten Straftätern ab. Von dieser Möglichkeit macht Nagel schon seit längerem Gebrauch. Er wurde nach den Bürgerschaftswahlen im Februar 2004 Innensenator, da Nockemann mit seiner Rest-Schill-Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte.

Anfang Mai wollte man mit den geplanten Massenabschiebungen "behutsam" beginnen, zunächst sollten zehn bis maximal 25 Menschen pro Monat ausgeflogen werden, so Nagel. Der afghanische Flüchtlingsminister Azam Dadfar bezeichnete dieses Vorhaben dem Spiegel gegenüber als "äußerst kontraproduktiv". Trotzdem reservierte die Behörde für den 11. Mai 2005 sieben Tickets für die Maschine nach Kabul. Sechs der Plätze blieben indes leer, einige der Betroffenen hatten noch schnell Asyl beantragt, einer die baldige Heirat mit einer deutschen Frau in Aussicht gestellt und einer ist untergetaucht. Dieser Reinfall brachte Nagel Schelte aus den eigenen Reihen ein. Ein CDU-Abgeordneter nannte dessen Vorgehen amateurhaft. Nockemann, der nach seiner Wahlschlappe 2004 in die CDU eingetreten war, bezichtigte Nagel, inkonsequent zu sein. Der Vorfall beweise, dass die CDU nicht willens sei, die ausländerrechtlichen Probleme in den Griff zu kriegen, so Nockemann, der die Gelegenheit nutzte, öffentlich die Gründung einer neuen konservativen Partei ins Gespräch zu bringen.


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