Sparzwang Teures Holz, gestiegene Löhne, gekürzte Kulturetats: Langsam, aber sicher geht die Krise den Theatern an die Substanz. Es drohen sogar Spartenschließungen. Wie gehen die Häuser damit um?
Wer hinter der Bühne an den Kulissen arbeitet, weiß sehr gut um die schwierige finanzielle Lage
Foto: Jörg Brüggemann/Ostkreuz
Vor einigen Wochen machte eine erschreckende Meldung die Runde: das Fünfspartenhaus Chemnitz müsse womöglich bald Insolvenz beantragen. Ein städtisches Theater steht vor dem Aus? Und auch noch gerade jene Einrichtung, in der Corinna Harfouch oder Ulrich Mühe in der DDR ihre Bühnenkarriere begannen und die im Zentrum der für 2025 ausgerufenen europäischen Kulturhauptstadt steht? Ganz so dramatisch war es dann doch nicht. Zwar habe der Freistaat Sachsen, wie der Generalintendant Christoph Dittrich im Gespräch darlegt, seine Zuwendungen im Kofinanzierungsmodell zwischen Stadt und Land in den letzten Jahren stetig erhöht. „Doch dieser Anstieg kann lediglich Tariferhöhungen um zwei Prozent abdecken, nicht aber elf Prozent, wie sie inf
inflationsbedingt 2024 anstehen.“ „Wir“, damit meint er auch andere betroffene Einrichtungen wie in Görlitz und Zwickau, „haben daher einen Hilferuf an die Landesregierung gerichtet“.Das Beispiel zeigt: Es kracht und knirscht allerorten, mal leiser, mal lauter. Die Ursache ist immer dieselbe: finanzielle Not. Was schon während der Coronapandemie drohte, aber mit Hilfsprogrammen aufgefangen wurde, scheint nun nach deren Ende und angesichts zahlreicher Kürzungen in öffentlichen Budgets in der deutschen Bühnenlandschaft angekommen zu sein. Allein der Bund hat seinen Kulturetat von 2,39 um rund zehn Prozent auf 2,15 Milliarden reduziert. Als Begründung dienen gestiegene Ausgaben zur Umstellung auf Klimaneutralität und die Einhaltung der Schuldenbremse. Doch während der Staat die Zuwendungen drosselt, steigen auf der anderen Seite die Preise für Energie und Material. Insbesondere das Holz für Kulissen sei kaum noch zu bezahlen, hört man allenthalben. Dazu kommen die von Dittrich erwähnten Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst. Für die Angestellten mögen die ungefähr elf Prozent ein Fest sein. Intendantinnen und Intendanten stellen sie jedoch vor große Herausforderungen: schon jetzt nehmen die Personalkosten im Schnitt 80 Prozent ihrer Ausgaben ein.Dreimal Pest oder CholeraWenn die Kommunen und übergeordneten Haushalte also nicht mehr Geld in die Hand nehmen – oder sogar kürzen – ist die lebendige, vielfältige Theaterlandschaft in Deutschland in Gefahr. Dabei ist diese Breitenwirkung dringend geboten. Nicht zuletzt, weil die extremen Rechten zunehmend die Kulturlandschaft im Osten unter Druck setzen und nach ihrem Gusto auszurichten versuchen. Auf deren Konto geht Dittrich zufolge auch die Ente von der bevorstehenden Pleite des Chemnitzer Traditionshauses. Die AfD- und Pro-Chemnitz-Abgeordneten im Stadtparlament hatten angefragt, inwiefern der Haushalt für das Theater im Jahr 2025 gesichert sei und nutzten die ausbleibenden Angaben des Rathauses, um das Gerücht vom bankrotten Bühnenhaus zu verbreiten – ein ziemlicher Irrsinn, da ja keine Kommune bereits Beschlüsse zum übernächsten Haushalt gefasst haben kann. Diesen unfair spielenden Akteuren tritt Dittrich mit Verve entgegen: „Die Arbeit am Theater ist dem humanen Ideal verpflichtet und dient der Demokratie“. Dies betreffe nicht nur die Inhalte, sondern gleichsam das praktische Tun. Man gehe in Schulen und adressiere mit Außer-Haus-Veranstaltungen ein stets heterogenes, plurales Publikum.Auch wenn nur einzelne Sparten eines Hauses drohen, dem Rotstrich zum Opfer zu fallen, geht dies zulasten der künstlerischen und gesellschaftlichen Diversität. In Lüneburg scheint sich genau ein solcher Fall anzubahnen. Obwohl eine „Ergebniszusammenfassung“ des Lenkungsausschusses dem Theater attestiert, dass es „bereits jetzt äußerst kosteneffizient arbeitet“, sieht der Aufsichtsrat Handlungsbedarf. Darum wurde ein Beratungsunternehmen bestellt, Actori, immerhin eines, das sich auf den Theaterbetrieb spezialisiert hat. Was offenbar auch nichts half, denn heraus kamen bei dem Evaluierungsprozess drei Pest-oder-Cholera-Szenarien: Reduzierung des Orchesters um ein Drittel, Abschaffung des Orchesters bei Beibehaltung eines Spielbetriebs in der Sparte Musik oder eben die Komplettschließung der Sparte. Weder der Landkreis noch das Theater wollten sich zu der Diskussion äußern.Schwierig ist die Lage auch am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Dem Vernehmen nach soll sich der von Land und Kommune getragene geschäftsführende Direktor, Holger von Berg, angeschickt haben, direkt in den laufenden Spielbetrieb einzugreifen, um Defizite auszugleichen. Und zwar zu einem Zeitpunkt, als längst die verbindliche Gesamtplanung für die folgende Saison gestanden haben soll. Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst teilt auf Anfrage mit, die Mittel seien von 43,3 Millionen im Jahr 2022 auf 43,9 Millionen im Jahr 2023 gestiegen. Gleichzeitig weisen die Beschäftigten auf einen vermeintlich fehlenden Inflationsausgleich sowie die nur schwer zu deckenden Tarifsteigerungen hin.In einem Brandbrief ans Ministerium erhebt das künstlerische Personal schwere Vorwürfe: „Es gibt sich widersprechende Aussagen von Herrn von Berg über den Haushalt. So wurde uns noch im Januar 2023 mitgeteilt, dass das Hessische Staatstheater Wiesbaden das Jahr 2022 mit einem Defizit in Höhe von 1,7 Millionen abgeschlossen habe. Kurze Zeit später stellte sich dies als ein Rechenfehler heraus. Unser Vertrauen in die Haushaltsplanung wurde dadurch sehr erschüttert.“ Faktisch machen sich die Eingriffe insofern bemerkbar, als dass Stellen wie jene des Marketingreferenten, der Werkstattleitung und zahlreiche weitere Stellen im Bereich Technik, Verwaltung und Kunst nicht nachbesetzt würden. Dies führe dazu, so heißt es weiter im Schreiben, „dass die Ausbeutung innerhalb der NV-Bühne-Regelung noch weiter ausgereizt wird. Wir (die Unterzeichner:innen) arbeiten jetzt schon regelmäßig weit über die arbeitsrechtlich zulässigen 48 Wochenstunden, um die anfallende Mehrarbeit in den Abteilungen auszugleichen. Ohne Überstunden bezahlt zu bekommen.“ Den Beschäftigten zufolge sei der Hilferuf an die Politik bis heute nicht beantwortet worden.Das Ministerium teilte wiederum auf Anfrage mit, „in regelmäßiger, intensiver und detailreicher Kommunikation mit der Bühnenleitung [zu stehen]. Leider belasten jedoch die mangelnde Zusammenarbeit innerhalb der Bühnenleitung und die Defizite in der Wahrnehmung ihrer gemeinsamen Führungsverantwortung die Abläufe und das Arbeitsklima des Theaters.“ Ende vergangener Woche kündigte schließlich Schauspieldirektor Wolfgang Behrens die Zusammenarbeit mit von Berg auf. In einem Schreiben, von dem der Wiesbadener Kurier berichtete, sprach er von einer „finanziellen und organisatorischen Katastrophe“, auf die das Haus zusteuere. Die Krise scheint auch viel mit zerstörtem Vertrauen zu tun zu haben. Klar ist aber auch: Ohne Geld für die Nachbesetzung der vakanten Schlüsselstellen wird das Haus nicht aus seiner Misere finden.Dass es ferner auch anders geht, zeigt selbst in Zeiten klammer Kassen das Theater und Orchester Heidelberg. Mit einer Auslastung von 90 Prozent (bei den Schlossfestspielen sogar 99 Prozent) kann sich Intendant Holger Schultze auf die Schulter klopfen. Neben dem glücklichen Umstand, in einer wohlhabenden und kulturaffinen Stadt agieren zu können, akquiriert das Haus Gelder von Stiftungen, insbesondere für Leuchtturm-Projekte wie den Heidelberger Stückemarkt oder das einzigartige iberoamerikanische Festival ¡Adelante!. Man setzt für das Abopublikum auf bewährte Klassiker und zieht wiederum Avantgarde-Interessierte durch die auch überregional wirksamen Festivals an.Als besondere Fleißarbeit des Leitungsteams zeichnen sich das Kooperationssystem mit über vierzig Schulen sowie eine Uni-Flatrate für Studierende aus. Dadurch werden die Säle voll, was nicht nur Geld einbringt, sondern auch die Verhandlungsposition gegenüber den öffentlichen Geldgebern stärkt. Oder wie es Schultze im Gespräch sagt: „Leergespielte Theater werden es in diesen Zeiten nicht leicht haben.“ Gleichzeitig solle man aber auch „davon wegkommen, immer von der ökonomischen Relevanz des Theaters zu sprechen“, sagt Schultze und betont die generell vitalisierende Bedeutung der Kunst für eine Region. Städte ohne Theater seien häufig „ausgeblutet“.Lebensqualität und Wohlbefinden sollte man also auch in die Rechnung einspeisen. Dasselbe gilt – wenn man sich die rechten Versuche, jede Gelegenheit zu nutzen, unliebsamen kulturellen Einrichtungen zu schaden, vor Augen führt – für die kulturelle Teilhabe. Nur wo Menschen zusammenfinden, kann sich auch demokratisches Bewusstsein entwickeln. Im Theater lebt der gemeinsame Streit genauso auf wie die gemeinsame Verzauberung. Diese Magie kann man nicht in Geld aufwiegen.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.