Weiße Blätter

Krieg in der Ukraine: Die Falken haben die Friedensdemonstrationen durch einseitige Parteinahme im Krieg gekapert.

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Die Ukraine hat das Recht, sich gegen Russland mit kriegerischen Mitteln zu verteidigen. Wer ist die Ukraine , dass sie ein Recht haben kann – das Land, die Gebäude, das Volk, der Staat, die Regierung Selenskyj? Die Ukrainerinnen und Ukrainer haben das Recht, sich gegen Russland zu verteidigen. Was sind das für Leute – diese Menschen mit ukrainischem Pass?

Es gibt in der Ukraine pazifistische, liberale, autoritäre, internationalistische, nationalistische, antinationalistische und sozialistische Menschen sowie Regierung, Opposition, Wahlberechtigte und Bevölkerung. Wir wissen außerdem, dass die Ukraine ein Vielvölkerstaat ist. In der Ukraine, gibt es sehr reiche und sehr arme Menschen, Stadt- und Landbevölkerung. Es gibt Männer, Frauen und alles dazwischen und ganz anders, Mütter, Väter, Brüder, Schwestern, Liebende und Frustrierte, Erwachsene, Kinder und Jugendliche. Sie haben alle sowohl gruppenspezifische als auch individuelle Interessen. Menschen in der Ukraine identifizieren sich unter anderem als Gewerkschafterinnen, Oppositionelle, Beamte, Unternehmer, liebende Eltern, Russischsprachige, Ukrainischsprachige oder was ihnen sonst wichtig ist und manche auch als Ukrainerinnen oder Ukrainer.

Haben diese Menschen in der Ukraine alle das gleiche Interesse in Bezug auf ihren Staat? Identifizieren sie sich wirklich alle primär als Ukrainerinnen oder Ukrainer, die mit allen Mitteln ihr Land verteidigen wollen, während für sie alle anderen Zugehörigkeiten und Einstellungen von nachrangiger Bedeutung sind? Dies wäre zumindest für Pazifistinnen und Pazifisten Unsinn. Im Frieden bin ich Pazifist und wenn der Krieg anfängt, kämpfe ich mit Waffengewalt für mein Vaterland? – Absurd, Pazifismus erweist sich im Kriegsfall als gewaltfreier Widerstand. Wir wissen, dass ein beträchtlicher Teil der ukrainischen Bevölkerung die Regierung Selenskyj nicht gewählt hat. Selbst wenn sich viele nun hinter ihre Regierung stellen, was im Krieg häufig passiert, wird sich die Opferbereitschaft verschiedener Menschen in Abhängigkeit von persönlichen und gruppenbezogenen Zielen teilweise erheblich unterscheiden.

Ich weiß von einer Geflüchteten, dass viele junge Männer in der Ukraine lieber das Land verlassen würden, als für die Ukraine zu sterben und zu töten. Ist es aber nicht eigentlich so, dass ein Recht – auch das auf Selbstverteidigung – freiwillig ausgeübt wird? Der ukrainische Mann hat also nicht das Recht, sondern die Pflicht zur Landesverteidigung in seiner Armee.

Die ukrainische Regierung hat also das Recht die Wehrpflichtigen zur Verteidigung des Landes zwingen, die Männer nicht aus dem Land zu lassen. Was ist das – die ukrainische Regierung? Sie ist die zuständige Organisatorin des Staates und auch für das Wohl der Menschen in der Ukraine mitverantwortlich. Wie sie dieser Verantwortung gerecht wird, darüber darf gestritten werden. Sind die menschlichen Opfer, die sie zur Landesverteidigung einfordert, gemessen an den Konsequenzen und im Vergleich mit den Alternativen zu verantworten?

Gibt es moralische Grenzen im Regierungshandeln? Wer ist legitimiert die Einhaltung dieser Grenzen einzufordern – die eigenen Bürgerinnen und Bürger, die Feinde, die Freunde? Sicher ist es legitim, wenn Ukrainerinnen und Ukrainer die Opferung ihres Lebens und das ihrer Verwandten und Nachbarn selbst verweigern, wenn sie Verhandlungen verlangen und fordern, die Kämpfe einzustellen. Aber wie stehen die Chancen der Opposition, im Krieg gehört zu werden? In Russland wurden Menschen, welche diese Forderung mit dem Symbol der weißen Flagge in Form von weißen Blättern auf die Straße trugen, verhaftet. Die Ukraine ist nicht Russland. Aber die Regierung spricht bezüglich der Landesverteidigung eine eindeutige Sprache. Es ist schwer, dann nicht als Verräter zu erscheinen.

Ist es legitim, wenn Deutsche oder andere Ausländer die ukrainische Regierung zu Friedensverhandlungen oder gar zur Kapitulation aufzufordern? Stellen wir uns damit auf die Seite des Aggressors? Solidarität mit der Ukraine! Wer ist die Ukraine, dass man sich mit ihr anfreunden kann? Welches sind die Parteien in der friedenspolitischen Auseinandersetzung – die Kriegsparteien mit ihren jeweiligen Unterstützern oder die Pazifisten und Kriegsgegner aller Länder gegen ihre kriegerischen Regierungen?

Was will ich für einer sein, der von sich selbst einen friedenspolitischen Standpunkt fordert – Deutscher, Feind, Freund, Kriegsgegner, Oppositioneller? Ich möchte mein politisches Engagement selbst bestimmen und mir nicht von schwarz-weis-malenden Falken vorschreiben lassen. Ich bin nicht Partei im Krieg, sondern Partei in der friedenspolitischen Auseinandersetzung in meinen Land. Leider haben die Falken gerade die Friedensdemonstrationen durch einseitige Parteinahme im Krieg gekapert.

Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern! Mit welchen – mit denen, die kämpfen, die fliehen, die sterben, die lieber leben als für ihr Land zu sterben oder zu töten? Wenn ich Waffen liefere, solidarisiere ich mich nur mit den Kämpfern – auf Kosten aller anderen!

Solidarität mit allen, die unter dem Krieg leiden! Also nicht den Krieg mit Waffen füttern! Die Grenzen für Deserteure öffnen! Also doch Partei für Russland ergreifen? Nein, Grenzen für Deserteure aller Länder öffnen! Ich will Partei für Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner ergreifen, nicht für ein Land, einen Staat oder eine Regierung. Ich will mit den mutigen Russen solidarisch sein, die mit weißen Blättern von ihrer eigenen Regierung das Schweigen der Waffen und Verhandlungen fordern. Und wenn es Menschen in der Ukraine gibt, die das Gleiche von ihrer Regierung fordern, so will ich sie unterstützen und ihnen nicht durch Waffenlieferungen in den Rücken fallen.

Solidarität mit den Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegnern – überall! Die Entscheidung über Krieg und Frieden kann ich als Fremder keinem Land aufnötigen. Die politische Auseinandersetzung, ob angegriffen, verteidigt, gekämpft, getötet, gestorben, geopfert, verloren, gewonnen, eingegriffen, beobachtet, aufgerüstet, abgerüstet, ausgerüstet, geliefert, unterstützt oder verhandelt wird, muss in jedem Land von seinen eigenen Bürgern geführt werden. Alles andere wäre Kriegstreiberei. Was Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner aber auch von anderen Regierungen fordern sollten, ist Freiheit und Asyl für ihresgleichen.

Ich glaube, es gibt ein gut sichtbares Symbol für diesen Standpunkt. Es stammt aktuell aus Russland. Es würde der russischen Opposition nicht schaden, vielleicht sogar nützen, wenn auch wir, Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner aus anderen Ländern, auf den Friedensdemonstrationen weiße Blätter zeigten, verbunden mit der Forderung an unsere je eigenen Regierungen, die Gewalt nicht mit Waffenlieferungen zu verlängern und zu verschärfen, und an die internationale Gemeinschaft, Kriegsgegnerinnen und -gegner, Kriegsdienstverweigerinnen und -verweigerer sowie Pazifistinnen und Pazifisten frei zu lassen. – Überall!

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