Das Blaue vom Himmel

Demokratie: Finanzminister Wolfgang Schäuble tut das, was er am besten kann: sich und die konservative Regierung loben. Aber wer gefährdet die Demokratie?

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Ein Glück leben wir hierzulande in einer Demokratie, die zwar in vielen Punkten verbesserungswürdig ist, aber dennoch das bietet, was in manchen Staaten dieser Welt nur mangelhaft oder gar nicht vorhanden ist. In unseren westlichen Demokratien können wir (fast) alles meinen und schreiben - Sinnvolles wie Unsinniges. Dennoch sind unsere Demokratien fragile Verfahrensweisen, weil sie leicht unterlaufen werden können.

Was Politiker so alles glauben

Regelmässig stolpere ich bei «Cicero» rein. Und ich stolpere über einen Beitrag von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der da im Beitrag «Das ist eine Gefahr für die Demokratie» unter anderem schreibt, man dürfe keine verlorene Generation zulassen. In der Folge seines Geschreibes weiss «His Mistress Voice» zu berichten, wer die Schuldigen der europäischen Krise sind: die zu hohe Staatsverschuldung und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Und daraus folgernd entstünde eine zu hohe Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt eine extrem hohe Arbeitslosigkeit - siehe Südeuropa - unter den Jugendlichen. Die Enttäuschung von Millionen arbeitslosen Jugendlichen sei eine Gefahr für die Demokratie, freiheitliche Ordnung und Akzeptanz Europas. Nein, die Enttäuschung kann es nicht sein.

Schäuble schreibt nicht aus altruistischen Gründen. Bei ihm spielen wahltaktische Überlegungen eine Rolle und die politische Sucht, sich mit Sprüchen im vermeintlichen Sonnenlicht zu räkeln: «Wir sind doch gut und die Musterknaben der Welt», so tönt es unterschwellig und unausgesprochen. Aber was ist mit der Gefahr für die Demokratie, von der Wolfgang Schäuble schreibt? Ist es die hohe Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen?

Das Blaue vom Himmel

Zunächst eine Feststellung: Die meisten Politiker reden so, als wenn Krisensituationen - national und international - mit ihnen nichts zu tun hätten. Dabei reden sie zu ihren Bürgen das Blaue vom Himmel herunter und merken nicht, dass sie aus Warte ihrer eigenen Parallelgesellschaft argumentieren, die häufig mit der Bürgergesellschaft wenig Gemeinsames haben. Die Regierenden, so der Tenor, sind einfach gut, was die Bürger gefälligst zu glauben haben.

Jugendliche haben mit der Arbeitslosigkeit und der Aussichtslosigkeit in der Tat ein Riesenproblem, besonders wenn die Rate in einem zweistelligen Bereich liegt und zum Massenproblem geworden ist. Dies betrifft jedoch auch Menschen, die nicht mehr zu den Jugendlichen gehören. Sind sie deshalb bereits eine Gefahr für die Demokratie? Viele Politiker glauben dies und rüsten sich auf der Praxisseite mit Bekämpfungsstrategien - wörtlich gemeint -, und auf der theoretischen Seite mit teilweise absurden Szenarien.

Wer gefährdet die Demokratie?

Das Denken der Politik ist einseitig und kurzsichtig angelegt und gleichzeitig parteiideologisch geprägt. Aber genau an dieser Stelle stellt sich die Frage, ob Politiker - nicht nur der regierenden Spezies - in der Lage sind, Gefahren für die Demokratie einzuschätzen. Die Hauptgefahren für die Demokratie bestehen darin, demokratische Prozesse zu erschweren, sie zu unterbinden oder gar die Demokratie abzuschaffen.

Demonstrierende arbeitslose Jugendliche stellen keine Gefahr für die Demokratie dar. Sie machen von einem demokratischen Recht Gebrauch, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Aber was passiert, wenn sie auf die Strasse gehen wie in Spanien? Politiker schicken die Polizei vor, um die Demonstrierenden zusammezuknüppeln. In diesem Moment setzen Politik und Polizei ein Stück Demokratie ausser Kraft. Wer also gefährdet die Demokratie?

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Eine Frage der Sichtweise

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht bereits von einer marktgerechten Demokratie, was nichts anderes heisst, dass Politiker bereit sind, die gängigen Normen der heutigen Demokratie neu zu definieren. Gerechtigkeit für den Markt, das wollen sie. Von Menschengerechtigkeit reden sie nicht, weil der Markt oberste Priorität hat. Steckt nicht darin eine Gefahr für die Demokratie?

Fragen, nichts als Fragen

Ich bleibe kurz bei der Arbeitslosigkeit. Sie entsteht ja nicht durch die Arbeitslosen. Die Arbeitslosigkeit entsteht durch ein wirtschaftliches und politisches Umfeld, oder genauer gesagt durch Menschen in der Wirtschaft und der Politik. Ganz bestimmt spielt die Konjunktur eine Rolle, aber nach meinen Beobachtungen hat die Wirtschafts- und Finanzwelt zu hoch gepokert. Und Politiker waren es und sind immer noch dabei, ein Umfeld zu schaffen, gnadenloses Pokern zuzulassen. Resultat: Die Löhne stimmen nicht mehr, Unternehmen können sich schnell aus der Verantwortung ziehen, Menschen geraten ins soziale Abseits. Und was passiert, wenn Menschen gegen untragbare Zustände mit ihrem demokratischen Recht protestieren und demonstrieren? Sie lassen die Polizei mit Knüppeln aufmarschieren. Wer, so meine wiederholende Frage, gefährdet die Demokratie - die knüppelnde Polizei oder jene Politiker, die das befehlen?

Was schwören die Regierenden in Deutschland bei Amtsantritt? Sie wollen ihre Kraft dem Wohle des Volkes widmen, seinen Nutzen mehren und Schaden von ihm wenden. Vermutlichen meinen manche Politiker nur einen Teil des Volkes, nämlich jenen Teil, der durch massloses Reichtum und horrende Gewinne glänzt. Ein grosser Teil des Volkes darf sich - zu wessen Wohle? - mit minimalen Löhnen begnügen, von dem es teilweise nicht mehr vernünftig leben kann. Wo Bitteschön bleibt das Wohl des Volkes? Wer gefährdet die Demokratie? Die Politiker, die das Unwohl eines Teils des Volkes dulden?

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