Obama und die «NachDenkSeiten»

Politik: US-Präsident Barack Obama ist rhetorisch begabt und beispielsweise einer Bundeskanzlerin haushoch überlegen. Über Obamas Rede nachzudenken sei erlaubt.

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Ist die Welt jetzt in Ordnung?

Man muss nicht unbedingt ein Fan der «NachDenkSeiten» (NDS) sein, aber sie taugen manchmal dazu, Meinungen einzuholen. Verwerfen kann man sie immer noch, wenn sie nicht besonders begründet sind.

Für Wolfgang Lieb von den NDS ist natürlich der Obama-Besuch in Berlin am Tag danach ein Thema. Aber so wie man Obamas Rede kritisieren kann, ist auch Liebs Beitrag kritikwürdig. Grosse Reden bräuchten Sätze, meint Lieb, die sich ins kollektive Gedächtnis eingraben. Das sind logischerweise Wunschträume vieler Politiker, und das Kollektiv möchte sie gerne erhaschen. Trifft beides zu, dann ist die Welt in Ordnung. Könnte man meinen! Eine Rede ist aber erst dann gross, erfüllt sich mit Sinn, wenn man die Rede an nachfolgenden Taten misst. Dann hapert es meistens.

US-Präsident Barack Obama ist rhetorisch begabt und beispielsweise einer Bundeskanzlerin haushoch überlegen. Aber eine gute Rhetorik verspricht noch lange keine gute Rede. Gemäss Cicero, der vor Christus lebte, sei eine Rede dann gut, wenn sie aus «docere», «delectare» und «movere» bestünde, also «informieren», «erfreuen» und «motivieren». Neben der Rhetorik sind dies wichtige Elemente. Für den kürzlichen verstorbenen Walter Jens ist die Moralität ein weiteres wichtiges Element für eine überzeugende Rede.

Erstaunliche Umdeutung

Zurück zu Wolfgang Lieb. Für ihn war die Obama-Rede mit Pathos, leeren Worthülsen und rhetorischen Wortspielen bestückt. Man muss die Rede nicht gut finden, aber es scheint, Lieb hat nicht das zu hören bekommen, was er gerne gehört hätte, sodass ihm nichts anderes übrig bleibt, als die Obama-Rede umzudeuten. Dass die atomare Bewaffnung reduziert werden solle, ist mit Sicherheit für die Zuhörer keine erlösende Angelegenheit. Darüber redet man bekanntlich seit Jahrzehnten. Und sonst?

Im Versteckten hat Obama doch ein paar bemerkenswerte Dinge gesagt, die nicht unwichtig sind. Zum Beispiel, sich auf Immanuel Kant berufend, dass die Freiheit ursprüngliches Geburtsrecht sei. In vielen Ländern ist dies kein Thema. Selbst in unseren westlichen Ländern wird zwar viel über Freiheit geredet. Aber wie oft wird sie eingeschränkt? Oder: «Frieden mit Gerechtigkeit», wie Obama sich ausdrückte. Ist dies eine Unmöglichkeit oder ein lohnenswertes Ziel? «Wollen wir frei leben oder in Ketten?», so Obama. Man muss nicht nur an rasselnde Ketten denken. In welchen Ketten liegen wohl Arbeitslose oder Menschen, die vom Lohn nicht leben können und von Behörden drangsaliert werden?

Nachdenken empfohlen

Vielleicht lohnt es sich doch, Obamas Rede nachzulesen oder nachzuhören. Man muss sie nicht hochjubeln, aber es gibt jede Menge Sequenzen, die zum Nachdenken anregen. Da gilt für Einzelne ebenso wie für die NachDenkSeiten. Bei den NDS wird man häufig das Gefühl nicht los, sie seien permanent auf Deutungshoheit ohne Kommentarfunktion aus und nicht aufs Nachdenken.

Möglicherweise ist manches der Obama-Rede eine Worthülse. Aber dies wird sich erst erweisen, wenn nach den Worten nicht Essenzielles passiert. Man könnte sich ja einmal überlegen, ob Frieden mit Gerechtigkeit, was bekanntlich auch mit Freiheit zu tun hat, nicht auch ein ganz persönliches Thema sein kann. Den Politikern kann man es nicht überlassen. Das ist nicht ratsam!

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