Steinbrück und sein Moses

Politik, Wahlen: Verführerisch sind Peer Steinbrücks Versprechungen und persönliche Verpflichtungen. Aber eben, es handelt sich nur um Wahlwerbung und -versprechen.

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Eine neue Neuverortung

Es ist ja rührend von Peer Steinbrück, Kanzlerkandidat der SPD, wenn er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seine persönliche Wahlwerbung betreiben kann. Verführerisch sind seine Versprechungen und persönliche Verpflichtungen. Aber eben, es handelt sich lediglich um Wahlwerbung und -versprechen. Man könnte sie sogar noch ernst nehmen, wenn da nicht die Zeit nach der Wahl wäre. Dann sieht Alles anders aus, so nach dem Motto, könnte man vermuten, «Was kümmert mich mein Geschwätz von Gestern».

Aufschlussreich ist Steinbrücks Meinung über die «Neuverortung der Sozialen Marktwirtschaft» und sein «ethischer Kompass» dazu. Von Neuverortung zu sprechen, ist wohl als Witz gedacht. Die hochgelobte Soziale Marktwirtschaft, einst gedacht als wirtschaftliche Handlungsweise zum Wohle Aller (Teilhabe), ist mit den Jahrzehnten sehr marode geworden - dank Uminterpretation durch Wirtschaft und Finanz. Die Politik, was besonders zu betonen ist, hat dabei mit Unterstützung eifriger Lobbyisten kräftig mitgeholfen. Verantwortlich dabei sind nicht nur die Konservativen und Liberalen der Republik, sondern die Sozialdemokraten habe daran einen saftigen Anteil, wie die «Agenda 2010» beweist. Sie hat der Sozialen Marktwirtschaft einen starken Tiefschlag versetzt. Nein, die Soziale Marktwirtschaft bedarf keiner Neuverortung, sondern einer gründlichen Neuorientierung, und zwar nach sozialen und ethischen Grundsätzen. Aber genau dies darf nicht (mehr) allein in den Händen der Classe Politique liegen.

Moses muss herhalten

In einem Punkt macht sich Peer Steinbrück regelrecht lächerlich. Vielleicht will er sich ja als Moral- oder Laienprediger versuchen, von denen das Land bestimmt genug hat. Aber Bibelsprüche aus dem 5. Buch Mose, die Steinbrück zusammenhangslos einflechtet, sind einerseits nicht zielführend und andererseits als ethische Richtschnur ungeeignet. Das Bild, aus Brunnen trinken, die man nicht gebaut habe, bezieht sich, wie bekannt, auf eine eingeforderte Gottesfurcht. Selbst eine Moral daraus abzuleiten, ist grundsätzlich falsch.

Als Metapher ist der genannte Brunnen durchaus geeignet, aber nicht, wie es Peer Steinbrück meint. Es sind zahlreiche Politiker, die aus fremden Brunnen trinken, die sie nicht gebaut haben. Das heisst, sie holen sich im übertragenen Sinne Kraft und Mittel, die ihnen nicht gehören, und sonnen sich in Leistungen, die sie nicht erbracht haben.

Eine ethische Richtschnur, von der Steinbrück schreibt, hat eine ganz andere Dimension als die verengte politische Denkweisen. Es genügt nicht, von einem ethischen Kompass zu sprechen, weil die Ethik an sich ein Oberbegriff ist. Wenn man also die Ethik als Notwendigkeit in eine (Soziale) Marktwirtschaft einfliessen lassen will, dann genügt die Verwendung des Begriffs «Ethik» nicht. Wir müssen mit konkreteren Begriffen umgehen: Was ist Gerechtigkeit im Marktgeschehen? Welche Bedeutung hat die Ehrlichkeit im Wirtschaftsleben? Was kann man dem «Kategorischen Imperativ» von Immanuel Kant für die Gegenwart abgewinnen? Antworten dazu und zu vielen anderen Fragen kann man den Politikern alleine nicht überlassen, weil sie in der Regel auf ihre Deutungshoheit pochen.

Immer wieder verdummende Sprüche

Verdummende Sprüche, wie «sozial ist, was Arbeit schafft» (vom einstigen CDU-Arbeitsminister Franz-Josef Jung aus irgendeiner Schublade geholt), sind im höchsten Masse irreführend, weil die Schaffung von Arbeitsplätzen per se nicht unbedingt ein sozialer Akt ist. Sie kann es sein, wenn z. B. die Löhne stimmen und davon Menschen und Familien auch wirklich davon leben können.

Und was meinte Peer Steinbrück im März 2013 im Interview mit der «Zeit»? «Mir geht es um die Ökonomie der Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit ist eine Bedingung für wirtschaftliche Leistungskraft und umgekehrt. Was sozial gerecht ist, ist auch ökonomisch sinnvoll.» Besteht da nicht eine starke Ähnlichkeit zum Merkelspruch von der «marktgerechten Demokratie»? Sehr falsch, was Steinbrück da sagt. Gerade die gegenwärtige wirtschaftliche Leistungskraft der Bundesrepublik zeigt in vielen Bereichen, dass keine soziale Gerechtigkeit vorhanden ist. Daraus kann man leicht folgern, dass im Gegensatz zu Steinbrück die soziale Gerechtigkeit keine notwendige und hinreichende Bedingung für die wirtschaftliche Leistungskraft ist. Insofern löst sich Steinbrücks soziale Gerechtigkeit als Bedingung für wirtschaftliche Leistungskraft ebenso in Luft auf wie seine Ökonomie der Gerechtigkeit.

Allzeit bereit

Was man so alles hört: Jetzt soll auch der Haussegen innerhalb der SPD schief hängen. Für die Sozialdemokraten Grund genug, im Tagesspiegel-Interview Schadensbegrenzung zu betreiben. Walter Steinmeier: «Ach was – Sie werden sich noch wundern! Die SPD kann kämpfen. Wir haben das Siegen nicht verlernt. Im Gegenteil: Wir haben in den letzten vier Jahren zwölf Landtagswahlen hintereinander gewonnen».

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Hauptsache es wird gekämpft

Na ja, Wahlen zu gewinnen hat eine bestimmte Relation. Denn es ist ein Unterschied, ob es sich um Bundestags- oder Landtagswahlen handelt. Aber man kann es Steinmeier nicht Übel nehmen, denn ein grosser Teil des Politikerlebens besteht aus Zweckoptimismus. Die SPD könne kämpfen, meint Steinmeier. Werte Leser, Sie müssen also damit rechnen, dass in den nächsten Wochen und Monaten SPD-Kämpfer durch Gassen, Strasse, Kneipen usw. schwadronieren, um Wähler zu erobern.

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