Siteri Vakalelele sitzt auf dem Boden ihrer Holzhütte und knüpft eine Bastmatte. Ihr Leben lang schon knüpft die 69-Jährige diese Bastmatten für ihre Familie im Örtchen Naviavia im Süden von Vanua Levu, der zweitgrößten Insel Fidschis. Auf solchen Matten haben ihre vier Söhne und ihre neun Enkelkinder das Laufen gelernt, gespielt und geschlafen. Das gibt ihr Sicherheit und das Gefühl, dass alles so bleibt, wie es war. Dabei ändert sich die Welt um sie herum gerade fundamental.
Durch die offene Holztür weht eine angenehm kühlende Brise in den Raum, Vogelgezwitscher und Kindergeschrei sind zu hören. Diese Holztür wurde am 20. Februar 2016 aufgerissen, als der Zyklon Winston auf den Fidschi-Inseln wütete und auch das Dorf von Vakalelele heimsuchte. Der Sturm trug Regenwasser hinein und überschwemmte die Hütte. Da, wo heute ein Zwölferpack des Biers Fiji Gold und ein Gaskocher stehen. Da, wo Siteri Vakalelele sitzt und die Fliegen von ihren nackten Füßen verscheucht, an denen ihr einer der großen Zehen fehlt. Sie hat Diabetes.
Damals, am 20. Februar, war sie mit ihrem Mann in die Dorfschule geflohen, das Evakuierungszentrum. Ein Haus wurde umgeblasen, die meisten der Felder, auf denen sie Maniok, eine Knollenfrucht, angebaut hatten, wurden zerstört. „Wir waren froh, dass es am Tag passiert ist“, sagt Vakalelele. „Nachts hätte es viele Tote gegeben.“ Auf ganz Fidschi kamen 44 Menschen ums Leben, Tausende verloren ihr Zuhause, Sachwerte im Umfang eines Drittels des Bruttoinlandsprodukts wurden vernichtet. Winston war der stärkste Sturm, der je in der südlichen Hemisphäre gemessen wurde.
Durch die Erderwärmung, sagen Klimaforscher, werden solche Ausnahmestürme in Zukunft zur Normalität. Während sich Fidschi noch einigermaßen an die Folgen des Klimawandels anpassen kann, müssen sich die Leute auf den kleinen Atollen langsam darauf vorbereiten, ihre Inseln zu verlassen. Kiribati zum Beispiel, eine Koralleninsel, deren höchste Erhebung nicht mal zwei Meter übersteigt: Der Anstieg des Meeresspiegels, die Versalzung der Böden und die Sturmfluten machen das Leben dort mehr und mehr unmöglich. Deswegen hat der ehemalige Präsident Anote Tong auch Boden im Nachbarland Fidschi gekauft. 5.000 Hektar, rund um ein Dorf herum. Das Dorf von Siteri Vakalelele.
Kein Geld für Prävention
Auf Fidschi ballen sich schon heute die Probleme, die der Klimawandel mit sich bringt: Meeresspiegelanstieg, Sturmfluten, Zyklone, Klimaflucht. Insofern passt es, dass das Land, als erster kleiner Inselstaat, ab kommender Woche die Weltklimakonferenz leiten wird. Nun gibt es die Chance, dass die von der Realität oft wie losgelöst scheinenden Verhandlungen etwas geerdet werden. Zu viel Unterstützung für die bedrohten Inselstaaten sollte man von der Präsidentschaft Fidschis allerdings nicht erwarten, schon allein deswegen, weil der Klimagipfel nicht im Südpazifik, sondern in Bonn am Rhein stattfinden wird. Fidschi fehlen schlicht das Geld und die Infrastruktur für die Beherbergung Tausender Diplomaten, NGO-Vertreter und Journalisten. Und so springt Bonn ein, die Stadt mit dem Sitz des UN-Klimasekretariats. Manche fürchten nun, dass Fidschi gar nicht mehr so sehr zu Gehör kommt in Deutschland und wieder die politischen und wirtschaftlichen Schwergewichte wie China und Europa das Zepter führen.
Überhaupt sieht sich Fidschis Premierminister Josaia Voreqe Bainimarama eher als Vermittler. In Bonn will er nach dem landestypischen Talanoa-Konzept verhandeln lassen: Man sitzt zusammen, tauscht Erfahrungen aus und hört dem Gegenüber zu. Am besten mit einem Becher Kava: Aus halbierten Kokosnuss-Schalen trinkt man eine schlammig aussehende und schmeckende Flüssigkeit und spürt seinen Körper schwer werden. Mit dieser Verhandlungsweise will der Premier die schwierige Aufgabe meistern, den Pariser Klimavertrag in ein Regelwerk zu übersetzen, damit sich das Abkommen überhaupt umsetzen lässt. Auch muss er die Weltgemeinschaft nach dem angekündigten Abschied der USA aus den Klimaverhandlungen zusammenhalten und dabei noch davon überzeugen, ihre Klimaziele zu forcieren. „Fidschi ist sich sehr bewusst, dass es bei seiner Präsidentschaft eine neutrale Rolle spielen soll“, sagt Sabine Minninger, Klimaexpertin der Hilfsorganisation Brot für die Welt.
Einen Schwerpunkt will Premierminister Bainimarama aber doch setzen: Klimafinanzen. Die kleinen Inselstaaten sollen von den Industrieländern genügend Mittel erhalten, damit sie sich an veränderte Wettermuster, Meeresspiegelanstieg und Zyklone anpassen oder – wenn es gar nicht anders geht – sich neue Orte zum Leben suchen können.
Das ist auch dringend nötig, wie man auf Fidschi sieht. In den vom Wirbelsturm besonders betroffenen Dörfern stehen noch immer Zelte, in denen Dorfbewohner hausen. Viele Schulen wurden noch nicht wieder aufgebaut. Und Dörfern, die lieber heute als morgen von der Küste in die Berge umsiedeln würden, fehlt schlicht das Geld. Eine Regierungsvertreterin, die für die Umsiedlungen auf Vanua Levu zuständig ist, erklärt: „Die Regierung hat kein Budget für den Klimawandel.“ Und Inia Seruiratu, der Klimabeauftragte Fidschis, ergänzt: „Das ist der Grund, warum wir die Verhandlungen mit einer so starken Betonung der Dringlichkeit vorantreiben wollen.“
Zwar schickt die Regierung Studenten und Mitarbeiter der Provinzbüros in die Dörfer, um Bestandsaufnahmen von den Klimaschäden zu machen. Wenn es aber darum geht, sich präventiv gegen die Gefahren der Natur zu wappnen, fehlen oft die Mittel. Mittel, die die Verantwortlichen für den Klimawandel, die Industriestaaten, nur zögerlich herausrücken, obwohl sie es versprochen haben: Ab 2020 sollen den vom Klimawandel am stärksten betroffenen und ärmsten Ländern jährlich 100 Milliarden US-Dollar zukommen. „Doch in der internationalen Gemeinschaft fehlt die Bereitschaft, Gelder fließen zu lassen“, sagt Minninger von Brot für die Welt.
Das ist die eine Lesart des Problems. Die andere erfährt man, wenn man das Büro von Emele Duituturaga in Suva betritt, der Hauptstadt Fidschis. Einst war Duituturaga, eine elegante Frau im Hosenanzug, Ministerin in der Regierung Fidschis, zuständig für Frauen, Soziales, Armut und Bau – bis es wieder einmal einen Putsch gab. Heute leitet sie PIANGO, einen Dachverband von 16 Nichtregierungsorganisationen im Pazifik. „Die Regierung hat andere Prioritäten“, sagt sie. „Sie steckt das Geld in andere Bereiche – ins Militär, in Subventionen oder Kredite für den Wiederaufbau nach Katastrophen.“ Die Regierung aber sollte ihrer Ansicht nach die Situation überdenken. „Sie sollte den Fokus darauf richten, das Land widerstandsfähiger zu machen und nicht bloß zu reagieren, wenn die Katastrophe schon passiert ist.“
Duituturaga sieht aber auch die Bewohner Fidschis in der Pflicht. „Das Problem ist, dass die Menschen warten, bis die Regierung ihnen hilft und ihnen sagt, was zu tun ist.“ Stattdessen sollten sie selbst die Initiative ergreifen – und Mangroven anpflanzen, die Dächer verstärken oder nicht zu nah an den Küsten bauen.
Die Dachverbandschefin weiß allerdings selbst, dass das leicht gesagt ist. Zumal der Klimawandel nur die Spitze des Eisbergs der zahlreichen Probleme des Landes ist, die sich mit ihm aber potenzieren: Mit der Verbreitung von Fastfood und importierten Lebensmitteln nähmen auch Krankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Störungen sprunghaft zu. Gleichzeitig fehlten Ärzte – selbst aus Kuba müssten diese geholt werden. Andererseits hätten viele Menschen auf Fidschi zu wenig zu essen und keine Arbeit. Etwa die Hälfte der Einwohner, schätzt Duituturaga, müssten „kämpfen“.
Neue Nachbarn aus Kiribati
In Naviavia stehen die Bewohner wiederum vor einer ganz besonderen Herausforderung: Wenn nämlich die ersten Bewohner des Inselstaats Kiribati Zuflucht vor dem Klimawandel bei ihnen suchen, werden Siteri Vakalelele und die anderen 270 Einwohner Naviavias mittendrin dabei sein. In den ersten Jahren, versicherten die neuen Landbesitzer aus Kiribati, wollten sie das Land zunächst zum Anbau von Taro, Kava und Kokosnüssen nutzen, in zehn Jahren frühestens würden die ersten der 110.000 Inselbewohner kommen. Sie sollen freiwillig und in Würde gehen, bevor es zu spät ist.
Dorfbewohner wie Vakalelele stellen sich nun Fragen: Werden die neuen Landbesitzer den Fluss verschmutzen, der durch ihr Dorf fließt? Wie sollen sie an Geld kommen, wenn sie keine Kokosnüsse mehr aus dem Umland pflücken und das Öl auf dem Markt verkaufen dürfen? Und: Werden sie ihre Kultur erhalten können, wenn sich Zehntausende Menschen einer fremden Insel um ihr Dörfchen herum ansiedeln?
„Es tut schon weh, wenn ich daran denke, wie sehr wir uns an das Land um unser Dorf herum gewöhnt haben“, sagt Vakalelele. Trotzdem kann sie sich vorstellen, dass die Jüngeren aus ihrem Dorf eines Tages Neuankömmlinge aus Kiribati heiraten. „Wir müssen uns um sie kümmern und ihnen Liebe schenken.“
Warten werden die Fidschi-Inseln nicht, bis die internationale Gemeinschaft sich durchringt, den Geldhahn zu öffnen. „Wir sitzen nicht herum und sehen unseren Nachbarn dabei zu, wie sie untergehen“, sagt die NGO-Frau Duituturaga. „Schließlich sind wir ein christliches Land.“
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