Das Leben in den Zeiten der Corona; AC 2.16

Das Logbuch geht weiter: Gekürt und geköpft

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Der Ring der Verschwörungstheoretiker um mich herum zieht sich immer enger zusammen. Eine Kollegin will gehört haben, dass nur zwei Prozent aller Krankenhausbetten durch Corona-Patienten belegt würden. Doch was ertragen die anderen 98 Prozent für Leiden? Warum erfahren wir von dieser ebenso übermächtigen wie schweigenden Mehrheit nichts? Ein Fußballkumpel behauptet gar, dass die Corona-Zeit auch auf EU-Ebene genutzt worden sei, um üble Gesetze durchzubringen. Igitt – wie kommt er denn auf sowas? Allerdings: Unsere Bundesgesundheitsmaske bittet schon jetzt um Verzeihung für Dinge, von denen wir noch gar nichts wissen. Er wahrscheinlich auch nicht. Also, dieser Mensch bekommt von mir keine Absolution. Dilettantismus in Tateinheit mit Bereicherung und Verschwendung von Steuermitteln zugunsten einer Wirtschaftsdiktatur kann ich nicht verzeihen. Wenn er sich selbst als “Fahrschüler” durch die Pandemie bezeichnet, warum hat er dann nicht anderen das Steuer überlassen? Nur, weil er eine fürstliche Villa abzuzahlen hat?

Doch diese Woche sind es zwei andere Personen, die im Mittelpunkt stehen: Erstmal unser Freiburger Cabrio-Popper mit den Zischlauten hinter jedem zweiten Satz. Warum ist er nach 2018 überhaupt noch Bundestrainer geblieben? Wir erinnern uns: Jeder anständige Sportsmann hätte sich nach dem fatalen WM-Aus der deutschen Fußballmannschaft bei der Nation entschuldigt und die Konsequenzen gezogen. Herr Löw hingegen ist im Sportwagen so lange durch sein badisches Städele gekurvt, bis der DFB ihn bekniet hat, weiterzumachen. Herr Löw hat nachgedacht. Und kam womöglich zu dem Schluss: “Ein ordentlicher Verein nimmt mich im Moment sowieso nicht. Keine Verhandlungsbasis. Außerdem muss ich mich dort Woche für Woche am Erfolg messen lassen. Wenn also der DFB den weltweit einzigen Trainerstuhl anbietet, der einem trotz Misserfolges nicht unter dem Hintern weggezogen wird, dann bleib ich doch noch etwas hier sitzen.” Auch nach dem Spanien-Debakel durfte er sitzenbleiben. Überhaupt sitzt er viel. Während andere Trainer kurz vor einer Niederlage angespannt durch ihre Box turnen, Anweisungen geben, oder zumindest wild gestikulierend mit ihrer Mannschaft mitleiden, sackt der stets bestens gestylte Herr Löw apathisch auf seiner Trainerbank zusammen und scheint vom Spiel weiter weg zu sein als es jeder indische Yogi je sein könnte. Anlässlich des England-Spiels am Dienstag* sehe ich Herrn Löw wieder, nachdem ich die zweite Halbzeit fast komplett verschlafen habe – von der Seite, von vorne, von hinten, stehend mit den Händen in den Hosentaschen und wie ein Zwerg mit Sicherheitsabstand hinter der Bande auf die Fragen der Journalisten wartend.

Ja, so klein ist dieser Mann geworden … und ihr habt ihn unter vielen Millionen Bundestrainern den Einen sein lassen, der er schon lange nicht mehr sein kann. Dennoch sieht man ihn auch am Mittwoch auf den Zeitungen. Genauso wie den Herrn Müller, der gar nicht erst in die Mannschaft hätte zurückkehren sollen, nachdem er aussortiert worden war. Im Meckern sind wir Deutschen Welt- und Europameister – wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen, halten wir uns lieber zurück. Wir können ganz schnell euphorisch werden, wenn es gilt, eine Lichtgestalt oder einen neuen Führer zu küren, das haben wir oft genug bewiesen. Ebenso oft machen wir diese Menschen dann für alles verantwortlich, was schiefgeht. Plötzlich spricht auch eine ins EM-Studio eingeladene Fußballerin davon, dass nun aufgearbeitet werden muss, was in den “letzten vier-fünf Jahren” schiefgelaufen sei. Hoppla, wurden da in diesen Jahren womöglich bestimmte Dinge nicht dezidiert angesprochen und bearbeitet? Träumte man sich lieber ein neues “Sommermärchen” herbei? Wo waren die Medien in dieser trügerischen Zeit, in denen jeder Fachmann und jede Fachfrau anscheinend schon genau wusste, dass es schiefgeht? Plötzlich ist eine Niederlage der Nationalmannschaft so wichtig, dass sie gleich im Anschluss an das Trauerspiel in allen Nachrichtensendungen als erste Meldung kommt. In der Tagesschau sogar fast drei Minuten lang – soviel Zeit bekommt sonst nur ein Corona-Block. Oder in dieser Woche eine Baerbock.

Und damit wären wir schon bei der zweiten Personalie, die sogar gleich zwei Tierbezeichnungen im Namen trägt. Frau Annalena ist als Kind unserer Zeit, in der das Leben einer Lotterie ähnelt, in die unkomfortable Lage geraten, als Kanzlerkandidatin gehandelt zu werden. Sie ist keine Staatsfrau, sondern eine recht normale Grünenabgeordnete. Erfahrung hat sie als Turnerin, nicht aber als Bürgermeisterin, Ministerin oder Ministerpräsidentin. Dafür kennt sie sich mit Quoten aus. Das offensichtliche Kompetenzvakuum der anderen großen Parteien hat einen Hype verursacht. Plötzlich pushen alle die Meinung, die Grünen könnten das Kanzleramt entern. Und die spielen munter mit – wobei der schlaue Robert lieber als großer Parteibruder im Hintergrund bleibt, um der Parteischwester den Vortritt zu lassen. Alle bedeutsamen Organe, sogar der große “Spiegel”, küren die sehr normal wirkende Frau und Mutter von nebenan auf ihren Titelseiten bereits Monate vor der Wahl zur neuen Kanzlerin. Nach vorne raus findet man diese Personalie klasse, im Rückraum wird bereits fleißig demontiert. Zuerst geht es um nicht angegebene Nebeneinkünfte, für die sich Annalena entschuldigt wie eine Schwarzfahrerin, die dem Kontrolleur gegenüber beteuert, so etwas noch nie gemacht zu haben. Da andere Politiker diesbezüglich in größeren Glashäusern als die Grünen sitzen, wird das Thema nicht weiterverfolgt. Dann kommen vermeintlich falsche Angaben im Lebenslauf – was konkret daran “falsch” ist, erschließt sich mir nicht und kann mir auch von Bekannten, die mehr darüber lesen, nicht erklärt werden. Der Vorwurf alleine reicht, um die Kandidatin zu diskreditieren. Dann wird das schwerste Geschütz aufgefahren: Annalenas Fehler, noch vor dem Erreichen außergewöhnlicher Lebensleistungen eine Biografie zu veröffentlichen, wird bitter bestraft. Sie soll plagiiert haben, wirft man ihr vor. Auf dem Titel der BILD übrigens ganz klein neben dem Bild des gescheiterten Fußball-Gurus aus dem Breisgau. Ob das nun stimmt oder nicht – ich finde die Idee, für seine eigene Biografie irgendwo abzuschreiben absolut zeitgemäß! Aber in den Medien geht es weder um Trends, noch um Wahrheiten. Da soll eine Person abgeschossen werden, die auch nicht schlechter als andere ist. Als nächstes kommen folgerichtig Rücktrittsankündigungen, die neckisch mit Fragezeichen versehen werden. Damit will man neugierig auf die Lektüre des betreffenden Mediums machen. Oder sollte ich “Revolverblatt” sagen? Die Presse kürt, die Presse kolportiert, die Presse köpft – in welcher Reihenfolge, das spielt keine Rolle mehr.

*...by the way, weil das hier ja eigentlich ein Corona-Logbuch ist: In Wembley sehen 45.000 Menschen das Spiel live. Wie war das noch mit der ach so gefährlichen “Delta-Variante”? Braucht man da nur noch 20 cm Sicherheitsabstand? Oder müssen sowieso alle Zuschauer vor und nach dem Spiel in Quarantäne? Zum Halbfinale mit England sollen es 60.000 werden – wieviel Wochen Quarantäne bedeutet das eigentlich in der Summe?

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