Das Leben in den Zeiten der Corona, Woche 40

Das etwas andere Logbuch Tag 274 macht mich krank.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Allzu oft in letzter Zeit musste ich gelbe Scheine im Klassenbuch ablegen, jetzt darf auch ich mal zuhause bleiben. Lebensmittelvergiftung. Zumindest eine kleine. Ich wälze mich mit Magenschmerzen und kann nicht einschlafen. Ab 6:30 Uhr informiere ich meine Kollegen. Auch mal schön: am ersten Tage der Woche 0 Kontakte.

Die Schulen gehen nahtlos von Szenario A in Szenario C über – ansatzlose Mobilmachung gehörte ja schon immer zu unseren Tugenden. Außerdem ist Szenario B zu kompliziert: Die anwesende Hälfte einer Klasse ist unaufmerksam wie immer und hat keinen Bock, sich an die statische Sitzplatzordnung zu halten, die andere Hälfte lungert irgendwo anders herum und wie viel des Unterrichtsstoffes bei ihr überhaupt noch ankommt, bleibt unklar. Die zuhause sehen den Präsenzunterricht mit sprechendem Lehrpersonal per Laptop-Cam-Übertragung. Fast täglich kommen neue Vorschläge zum Abhalten schriftlicher Prüfungen an berufsbildenden Schulen. Gestern noch sollten die mehrstündigen schriftlichen Arbeiten vor dem heimischen Laptop (bei laufender Kamera) von Hand geschrieben und gescannt oder abfotografiert als Bild eingereicht werden, um Textkopien aus dem Netz zu vermeiden. Heute sollen sie ganz ausfallen. Morgen wiederum sollen die schriftlichen in mündliche Prüfungen umgewandelt werden – natürlich scheitert auch das an der Uneinigkeit über tragfähige, faire und betrugssichere Modalitäten. Die Bildungslandschaft Niedersachsen wird gerade zu einer “Wünsch-dir-was-du-bekommst-es-sowieso nicht”-Wüste, auf der nichts Konstruktives mehr wächst. “In die Tonne treten” bekommt hier angesichts unseres Kultusministers eine ganz neue Bedeutung. Wer ist eigentlich für diese Autobahnschilder mit der Aufschrift "Immer eine gute Idee. Niedersachsen." verantwortlich?

Bundesweit ist festzustellen: Regierungen, etliche Schulen und viele Eltern haben seit Februar eigentlich nichts getan, um digital auf die zweite Welle vorbereit zu sein: Nur jedem zehnten Schüler in Deutschland steht ein digitales Gerät zur Verfügung. Hingegen dort, wo es genug gibt, platzen die Server aus allen Nähten. Klasse, dass wenigstens der kitschige Christbaumschmuck landauf landab jetzt wieder leuchtet, das klappt wie jedes Jahr. Ob allerdings die hellsten Kerzen am Baum noch mitreden, kann ich angesichts der unübersichtlichen Flut an unfertigen Meinungen nicht erkennen.

Mein erstes Homeschooling mit Realschülern ist eine Messe. Denn ich entdecke, dass Youtube auch ein richtig guter Mitarbeiter sein kann. Die Einen bekommen den “Karneval der Tiere” von Saint-Saëns auf den Tagesplan (wo sind auf dieser Tastatur eigentlich die Pünktchen auf dem “e”? – ah, die Lektorin hat sie gefunden!) und die anderen Tschaikowskis Ballett “Der Nussknacker”. Die angeblichen Hip-Hop-Hörer machen heute die schmerzvolle Erfahrung, dass sie nicht einmal wissen, was ein “Beat” ist. Die Kameras gehen bei meinen Schützlingen übrigens nur zweimal an: Zuerst meint ein Achtklässler, seine Mitschüler*innen mit der Makroaufnahme einer “Durex”-Packung belästigen zu müssen, danach denken einige Fünftklässler*innen, ich bekäme nicht mit, dass sie sich nach Unterrichtsschluss gegenseitig ihre Zimmerdecken zeigen. Oder wissen sie einfach nur nicht, wie ein Laptop-Monitor mit eingebauter Kamera auszurichten ist?

Das Zauberwort “Homeschooling” nährt auch die Vermutung in mir, dass sich diese Woche endlich mal keine Schülertraube in der Pizzabude gegenüber meiner anderen Arbeitsstelle (in der noch immer Präsenz herrscht) bildet. Als ich um 13.00 Uhr meine Nudelbox dort abhole, sehe ich mich eines besseren belehrt. Wie an jedem Tag drängeln sich die Kids dort eng an eng. Machen die alle bis zur sechsten Stunde Homeschooling, um dann von ihren Erziehungsverpflichteten rausgeschickt zu werden, weil die zu blöde sind, zuhause selbst eine Tiefkühlpizza in den Ofen zu schieben?

Da werden Frisöre dichtgemacht, die schon seit Monaten nur noch nach vorher vereinbarten Einzelterminen schneiden und leerer als jedes Wartezimmer sind, doch dass Schulen ein “Hotspot” sind, haben die Verantwortlichen in diesem Herbst beflissentlich ignoriert. Dann machen sie diese Einrichtungen Mitte Dezember endlich dicht, und kurz vor Weihnachten werden die Kids schnell noch Pizza holen geschickt. Mitten in der kritischen Infektionsphase dürfen sie dann zu Oma und Opa – und nach den Festtagen machen alle dicke Backen, weil es erneut ganz viele Infizierte gibt. “Wie konnte denn das nun wieder passieren?”, lautet dann die bange Frage. Da müssen wir doch ganz schnell zum dritten Mal alle Blumenläden und Gartenmärkte schließen, sicher kommt das Virus in Omas Weihnachtsstube aus der Blumenvase oder von den Tannenzweigen!

Passend dazu ist die Inkompetenz der Regierung bezüglich sicherer Masken. Da wird nun wochenlang Propaganda für einen unzureichend getesteten und in der Schweiz nicht zugelassenen Impfstoff gemacht, aber für die Bevölkerung kostenlose oder zumindest subventionierte FFP2- oder -3-Masken, die man seit dem Frühjahr in Millionenstückzahlen hätte herstellen und verteilen lassen können, gibt es nicht. Kein Wunder, dass viele Krankenhäuser unter der Last der Infizierten fast zusammenbrechen. Oder dass dieses frankophile Wort “Triage” nun auch bei uns aus Medizinerkreisen und in den Medien auftaucht. Es gab mal ein anderes Wort in Deutschland für vergleichbare Vorgänge, aber das ist schon lange aus dem erlaubten Sprachschatz gestrichen. Wohlgemerkt: ich verstehe die Mediziner, die sich da äußern, und würde mir niemals anmaßen, ihre Arbeit unter Corona-Bedingungen auch nur annähernd bewerten zu können. Hut ab, ihre Verantwortung möchte nicht haben, irgendwer muss entscheiden, wer vollumfänglich behandelt werden kann und wer nicht – und das manchmal innerhalb weniger Minuten.

Gar nicht nachvollziehen hingegen kann ich die wirtschaftliche Triage, die (ja leider wieder von unserer Regierung) veranstaltet wird. Die sowieso dem Untergang geweihte Luftfahrt wird mit Milliarden gepimpt, die zum großen Teil über irgendwelche Dependancen im Ausland umgeleitet werden, während einer überlebenswichtigen Säule unserer Volkswirtschaft, den Kleinunternehmern und Selbstständigen, zu Zig- oder gar Hunderttausenden der Laden dichtgemacht wird. Auf die Medizin übertragen: Ganz vielen gesunden kleinen Patienten wird die Sauerstoffzufuhr abgedreht, während einige wenige übergewichtige und nicht selbstständig lebensfähige Patienten dermaßen viel von dem Zeug hineingepumpt bekommen, dass sie einen guten Teil davon sogar noch gewinnbringend weiterverwerten können. Ihre Schutzbefohlenen übrigens sehen davon nicht viel, die werden am Ende trotzdem auf die Straße gesetzt. Und was der blaue Condor kann, das macht der rote Lachemund gerne schnell nach. Wer weiß, wer noch alles gerade Millionenbeträge abgreift, die auf Nimmerwiedersehen verschwinden? Einen satten Teil davon zurückzahlen, wie die meisten subventionierten Kleinunternehmer, müssen sie bestimmt nicht.

Genau hingeguckt wird andererseits, wenn ein ortsfremdes Autokennzeichen dort auftaucht, wo es jetzt besser nicht sein sollte. Ein Bekannter schildert das letzte Treffen mit seinen Eltern: Sie trafen sich Corona konform als zwei Haushalte, dazu noch im Freien, und bemerkten, dass ein unauffälliges Moped mehrmals unauffällig an ihnen vorbeifuhr. Kurz darauf, auf dem Heimweg, wurde mein Bekannter von der Polizei angehalten und gefragt, ob der ein weißes Fahrzeug mit Schweriner Kennzeichen kenne. Nachdem er die Beamten wahrheitsgemäß über seine familiären “Ostkontakte” aufgeklärt hatte, durfte er weiterziehen. Ob sie ihn erkennungsdienstlich herauspicken werden, wenn er auf der nächsten Querdenker-Demo auftaucht? Ausgeschlossen ist das nicht – schließlich wurde er schon auf einer ebensolchen Demo dabei gefilmt, wie er einem NDR-Reporter auf die Unterstellung, dass er das Virus verleugne, entgegnete, dass er das selbstverständlich nicht tue. Im Fernsehen ist dieses alle gängigen Vorurteile widerlegende Interview nicht gesendet worden. Doch wer weiß, wo es stattdessen gelandet ist? Aus Bayern kam neulich ein Vorschlag, der einiges vermuten lässt.

Mein Bekannter weiß übrigens sehr genau, wovon der spricht. Schließlich kommt er nicht nur von “drüben”, sondern ist auch in der deutschen Geschichte vor 1949 recht beschlagen.

Wie ich kürzlich aus einer Lokal-Gazette lernen durfte, hätte die Polizei, würde sie nicht so weit hinter dem Mond agieren, die Möglichkeit, ein sehr zuverlässiges Corona-Warnsystem einzurichten. Es schlummert sozusagen schon seit vielen Jahren in ihren Zwingern. “Auf den Hund gekommen” sind unsere Freunde und Helfer in mancherlei Hinsicht leider schon, doch auf den guten, alten Schäferhund noch nicht. Denn der, so zeigen Tests, könne anhand von Speichelproben mit einer 94%igen Trefferquote Corona-Infizierte erschnuppern. Anstatt die armen Tiere an verlassenen Flughäfen auf Drogenkuriere warten zu lassen, die jetzt sowieso nicht kommen, könnte man die treuen Kameraden innerhalb weniger Tage von “Drogenhund” auf “Covid-Guard” umschulen. Unzuverlässiger als der Schnelltest, den man beim Besuch seiner Eltern in der Seniorenresidenzen absolvieren muss, ist der Schäferhunde auf keinen Fall. Und mit einem Tester auf der Straße herumrennen, um renitente Teens zu drangsalieren, ist ja völlig uncool. So ein Schäferhund hingegen verschafft dem überforderten Ordnungshüter sofort Respekt. Schneller rennen als die Kids kann er sowieso.

Ehe ich's vergesse: Auch diese Woche gibt es wieder Mietanfragen. Eine Nr.1 ist nicht dabei, jede/r Leser/in möge selbst entscheiden:

Nastja Menzel: Guten Tag, Ich wollte wissen ob es auch möglich ist zu 1,3

Ich: 1,3 Euro/qm oder 1,3 Liter Wodka?

Ob sich dahinter eine Doppelbotschaft verbirgt, weiß ich nicht – aber die folgende Anfrage klingt fast etwas bedrohlich:

Vacek: Ich bin ein professioneller Fahrer, ein Kranführer. Ich suche ein Zimmer

Ich: Ist im 3 Stock, wir haben aber auch eine Treppe!

Warum so viele Interessenten es nicht einmal für nötig halten, wenigstens zwei Zeilen zu schreiben und von einem Muttersprachler checken zu lassen, werde ich wohl nie verstehen:

Fatma: Hallo Ich habe Interesse an Ihre Wohnung, können Sie bitte ein Termin vereinbaren?

Ich: Mit wem?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von