Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.26

Das Logbuch geht weiter: Von Angelsachsen und Fischköppen

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Wer etwas aus der großen weiten Welt erfahren will, muss nur nach Sachsen fahren und sich dort unters Volk mischen. Denn die Sachsen reisen gerne – und sie erzählen gerne: ungefragt, unverblümt und ununterbrochen. Da wir diesen Sommer keinen zusammenhängenden Urlaub hatten, nutzen wir eine Konzertreise nach Leipzig, um noch ein paar Badetage am legendären Kulkwitzer See anzuhängen. Dort tummeln sich eingefleischte Datschenbesitzer, die alle Liegewiesennachbarn an ihren Urlaubserlebnissen teilhaben lassen – und an ihren Ernährungsgewohnheiten. So erfahren wir, dass es im Fläming so preiswertes Lammfleisch gibt, dass man dort am besten nur Lammfleisch isst – morgens, mittags, abends und idealerweise selbst zubereitet, anstatt in einem Restaurant. Kein Wunder, dass die Gastronomie trotz noch immer 7% Mehrwertsteuer am Stock geht und bisweilen auch komplett geschlossen bleibt.

Ein besonders redseliger Leipziger erzählt den Anwesenden offenherzig, dass man Fisch am besten an der Schlei bekommt, und dass er von Flensburg sehr enttäuscht war und Laboe – das sei jedoch schon einige Jahre her – für einen von den Deutschen besetzten französischen U-Boot-Stützpunkt gehalten habe. Wie die meisten Ossis war er bei der WM 1974 für die westdeutsche Mannschaft und wähnte das damalige Trainingslager „Malente“ in Spanien. Madrid, Madeira, Mallorca (übrigens ausgesprochen wie geschrieben) oder Alicante – so ganz unrecht hat der gute Mann mit seiner fantasiebegabten, DDR-typischen Assoziationskette ja nicht gehabt – schlauer als Andy Möller mit seinem „Madrid oder Mailand – Hauptsache, Italien“ ist er allemal. Und ist er, wie auch der zweite Tag seiner Urlaubserzählungen verrät. Zwischen erfrischend nicht veganen Mahlzeiten fährt der gute Mann Rad, und wenn er wieder zuhause an seinem eigenen Teich ist, gießt er seine Lieblingsbirke. Denn der geht es im Zuge des Klimawandels nicht besser als ihren Artgenossen in Spanien. Nächste Woche soll es nach Griechenland gehen - dort werden sich die Feuerwehrleute bestimmt freuen, wenn solch ein wackerer Sachse sie unterstützt.

„Bei euch regnet es schon“, empfängt er uns beim nächsten Badetreffen. Woher um alles in der Welt weiß er, wo wir herkommen? Wir haben doch kaum geredet am Vortag, als er seine Reiseberichte lautstark kundtat. Tja, man soll bloß nicht denken, die Sachsen seien ein bisschen beschränkt oder bekämen nicht viel mit. Sie tun nur gerne so, damit niemand merkt, wie helle sie in Wirklichkeit sind. Vor allem wissen die Sachsen ganz genau, bei welchem Russen oder „Fitschi“ man die besten Lebenmittel bekommt - „Politcal Correctness“ überlassen sie gerne anderen.

Diejenigen, die sich keine Urlaubsreise nach Mallorca oder in den Fläming leisten können, besetzen die Ufer ihrer Seen entweder mit Angelruten oder aufblasbaren XXL-Camping- und Badeutensilien für die ganze Familie. Im Wasser muss man aufpassen, dass man nicht zwischen Stehpaddelbretter (auf denen sich mit Vorliebe junge Pärchen necken), Modellboote oder Taucher gerät, die nach dem Auftauchen sogleich von riesigen Fischen erzählen.

Auf Norddeutsche kann Sachsen schon etwas befremdlich wirken – doch seid beruhigt, liebe Fischköppe: Den Sachsen ist es wurscht, ob ihr ihre markante Mundart mögt oder sie für dumme Ossis haltet – im Windschatten aller Vorurteile gestalten sie ihr Leben lauschig, lustig und lecker.

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