Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.19

Das Logbuch geht weiter: Das Sommerloch – pro und contra

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Geht es auch Ihnen so, dass Sie das „Sommerloch“ vermissen? Mit dem großen Corona-Loch scheint auch diese Tradition so etwas verloren gegangen zu sein. In früheren Jahren waren die Leute im Juli und August meistens weg – uns umgab eine Aura der Unerreichbarkeit. Jetzt zeigt diese Aura Risse und Löcher: Es finden Bewerbungs- und Vorstellungsgespräche statt, Arbeitsgruppen zoomen von ihren Urlaubsorten aus miteinander oder man kümmert sich – zum Teil alleine aus der Angst heraus, die Geschäfte könnten noch stärker wegbrechen als ohnehin schon – bereits um die Herbst- und Vorweihnachtszeit. Wobei ich gestehen muss, dass Beamte nicht zu meinem bevorzugten Bekanntenkreis gehören, bei denen sieht es womöglich ganz anders aus.

Dass mehr Deutsche als früher ihren Urlaub im eigenen Lande verbringen und ihre Auszeiten in kleine Häppchen teilen, scheint jedoch ein messbarer Trend zu sein. Wenn dann mal ein Bekannter sagt, „ich bin jetzt sechs Wochen auf Bali“, löst das zumindest bei mir schon fast Befremden aus. Wobei einige meiner Bekannten auch ohne Urlaub ein bisweilen befremdliches Verhalten an den Tag legen. Wohin auch mit dem Frust, wenn man „urlaubsreif“ ist, ohne dann auch in den Urlaub zu fahren? Oder, wenn man dann dort angekommen ist, mittels elektronischer Kommunikationsmittel doch an allem teilnimmt, was einem aufgedrängt wird oder von dem man meint, dass man teilnehmen muss? Doch lassen wir das an dieser Stelle …

Nutzen wir diese Woche also, uns das „Sommerloch“ etwas genauer anzuschauen. Anscheinend stammt der Begriff von den Medien, die in den beiden zwischen Juni und September liegenden Monaten weniger als sonst zu vermelden haben und deswegen über Haus, Hof, Garten, Zoos und Urlaubsthemen berichten. Und weil viele Menschen unterwegs sind, beziehungsweise noch weniger Lust auf Politik haben als sonst, können in den noch dünner als sonst besetzten Parlamenten unangenehme Dinge wesentlich eleganter durchgelotst werden. Wobei der August im Bundestag sitzungsfrei ist. Also bereitet man wichtige Entscheidungen am besten dort vor, wo die Presse einen nicht aufspürt – zumindest stellt sich das der „Kleine Mann“ so vor: „Die da oben mit ihren Privatflugzeugen“ treffen sich irgendwo zufällig in der „Sommerfrische“. Übrigens ein viel schöneres Wort als Sommerloch, diese „Sommerfrische“. Auch ich denke, dass der Sommer subjektiv nichts mit einem „Loch“ zu tun haben sollte – denn endlich hat man mal Zeit, intensiv eigene Dinge zu verfolgen.

Viele jedoch scheinen gar keine eigenen Dinge zu haben. So ist es für mich nicht nachvollziehbar, dass Fußball-Konsumenten schon Ende Juli in ihren Trikots zu irgendwelchen PR-Veranstaltungen pilgern, um irgendwelche Neuzugänge für die kommende Saison zu bejubeln, die oft nur wenige Monate später von den Fans ausgebuht und in der Lokalpresse unterirdisch benotet werden. Ist es nicht zeitig genug, erst mit dem Spielzeitstart wieder an Freud und Leid seiner lokalen Kicker teilzunehmen? Themenwechsel: In Hannover haben wir ein „Maschseefest“. Festlich daran ist natürlich gar nichts, es geht eher darum, den Zuhausgebliebenen einen pseudomaritim angerichteten Konsum-Mix zu bieten. Das musikalische Programm wurde im Laufe der Jahre immer eintöniger und für schrägen Humor gab es irgendwann gar keine Bühne mehr, weil der Veranstalter darin kein ausreichendes Biernachbestellpotenzial sah. Kulturelle Schonkost als Beiwerk zum Verzehr ist die Dosis, die dem Fußvolk einer ehemaligen Dichter- und Denkernation mit ins Sommerloch gegeben wird. Ein Sommerloch, das intellektuell betrachtet mittlerweile das ganz Jahr andauert.

Sicher kennen die Meisten das Lied „Ein Loch ist im Eimer“. Hier geht es darum, dass das Loch gestopft werden soll, die Protagonisten jedoch zu passiv und umständlich (oder dumm) sind, dies schnell und effektiv zu tun. So läuft das Wasser aus und nichts wird dagegen unternommen. Überträgt man dieses Phänomen auf den Sommer, kommt heraus: Der Sommer verrinnt und nichts beginnt. Bis zum Schluss. Danach kommt der Herbst und die Leute schimpfen über das Wetter. Wenn das dann so richtig ungemütlich wird, hetzten alle auf Weihnachten zu, um danach an Silvester ihren ganzen Weihnachtsfrust rauszulassen. Wenn in Januar und Februar das richtige Schmuddelwetter da ist, sehnen alle den Frühling herbei und bemängeln dessen Absenz, wenn im Mai schon wieder 30 Grad herrschen. Im Anschluss daran kommt der Sommer und mit ihm das leidige Loch, in das dann kollektiv hineingefallen wird. Bei einem so straffen Zeitplan braucht man vielleicht auch gar keine Kultur mehr, die Sinne, Geist und Seele beansprucht und bereichert.

Wenn sich die Medien im Sommer also mit liebenswert harmlosen Inhalten füllen, wäre es doch nett, wenn wir ein „Jahresloch“ einführten und nie mehr furchtbare Sachen im TV sehen müssten.

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