Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.23

Das Logbuch geht weiter: Die Schule des Lebens und Sterbens

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Kaum ein Tag vergeht, an dem die Zeitungstitel keine Hiobsbotschaften verkünden. Mal sind es 58% Lehramtsanwärter, die schon im Referendariat ihre Berufsunfähigkeit zu Protokoll geben, dann wiederum wollen 63% der Beschäftigten den Arbeitgeber wechseln, und selbst der großen FAZ fällt am Samstag nichts besseres ein, als zu titeln, dass die Deutschen immer übergewichtiger werden, obwohl sie sich um eine gute Ernährung bemühen. Die Gastronomie tut dies auch – vor allem quantitativ, wie sich mühelos an den gefüllten Tellern ablesen lässt, die die Gäste zurückgehen lassen. Wie lange die Überfütterung noch andauern wird, wenn die Mehrwertsteuer wieder von 7 auf 19% angehoben wird, ist allerdings fraglich. Diese Hiobsliste ließe sich mühelos fortsetzen, Tag für Tag, Schlagzeile für Schlagzeile...

Was ist los mit uns? Wollen wir nicht mehr, können wir nicht mehr oder sind wir schlichtweg zu unbeweglich geworden? Sind wir wirklich so phlegmatische Medien-Junkies, dass wir nur noch nach neuen Botschaften lechzen, die den Niedergang der Kultur – und damit meine ich nicht die „Kulturlandschaft“, sondern unsere gesellschaftliche Gesamtkultur – benennen und beziffern, ohne dass wir den Drang verspüren, uns dagegen zur Wehr zu setzen? Im Bewusstsein der meisten Menschen sind es stets die Anderen, die daran schuld sind, dass es so katastrophal läuft. Wir selbst – jeder Einzelne von uns – sind gefangen in den äußeren Umständen und können nicht anders. „Freiheit“ und „Demokratie“ sind schöne Schlagworte, solange wir nicht die Verantwortung haben, dafür einzustehen und sie mit Leben oder gar Eigenverantwortung zu füllen. Das Gute daran ist: Am nächsten Tag wartet eine neue Hiobsbotschaft auf uns und das, was wir gestern gelesen, gehört oder gesehen haben, ist bereits wieder vergessen. Vor den ganzen Schlagzeilen davonzulaufen ist nicht schwerer, als vor sich selbst davonzulaufen, sich davonzustehlen, oder gar zu „desertieren“. Woanders ist das nicht so leicht ...

Besonderes Highlight dieser Tage ist ein großes Strategie-Spiel zum Mitfiebern, zu finden auf den Seiten 2 und 3 unseres lokalen Käseblattes. Aus einem Schaubild, dass mich an die Bundeswehr erinnert – mit dem Unterschied, dass hier keine roten Panzer mehr vorkommen –, geht hervor, wie viele Panzer auf beiden Seiten des Ukraine-Krieges „zerstört“, „beschädigt“, „verlassen“ und „vom Gegner erbeutet wurden“. Wäre Deutschland nicht nur als Rüstungskonzern, sondern auch personell mit Soldaten in den Krieg involviert, müsste man wahrscheinlich noch die Rubrik „gar nicht erst bestiegen“ hinzufügen. Daneben, auch das ist anders als auf früheren Bundeswehrschaubildern, steigt hier mal eine kleine Rauchwolke auf, und dort sind kleine Explosionen im Comic-Stil zu sehen. Man vermittelt uns das Kriegsgeschehen wunderbar niederschwellig – es fehlen lediglich die passenden Emojis.

Übrigens endet der zweiseitige Artikel mit der Erkenntnis, dass für westliche Ausbilder und Kriegsexperten aufgrund der Waffensysteme der ohnehin weit überlegenen Russen vorhersehbar war, dass die Ausbildung für ukrainische Panzerfahrer eher als Einweisung für ein Selbstmordkommando zu bewerten sei. Die dreizehn Leopard-Panzer, die seinerzeit so euphorisch gefeiert wurden, existieren nicht mehr, beziehungsweise sind nicht mehr einsatzfähig. Wie viele Menschen darin gestorben sind, wird nicht beziffert – es scheint mehr die profitable Stahlhülle als die sterblicher Hülle darin zu sein, die dem geneigten Zeitungsleser nahegebracht werden soll.

Quergelesen könnte man unserer Zeitung entnehmen: Russische Kampfdrohnen knacken das deutsche Prestigeprodukt Leo 2 ungefähr so mühelos, wie eine deutsche Schulklasse einen Referendar.

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