Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.24

Das Logbuch geht weiter: Kontroverse um flotte Verse

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Kunst ist alles, alles ist Kunst. Jetzt anscheinend auch Hip-Hop. Erst jetzt? Da hat man wohl ein paar Jahrzehnte verschlafen. Ich finde, das Stadium der Kunst hat der Hip-Hop längst überschritten. Er ist in der „bürgerlichen Mitte“ angekommen, alleine das sollte Indiz genug sein, dass er keine Kunst mehr ist. Erstaunlich, dass gerade vermeintlich kulturaffine Menschen den Hip-Hop zunehmend im Musentempel der Künste verorten – jetzt, da fast jeder sich ein paar Zeilen herunter zu toasten traut. Auf der Bühne, vor der Bühne, oder ganz ohne Bühne.

Bereits seit Jahren wird die Hip-Hop-Sparte bis in große Feuilletons hinein besprochen und bietet in schöner Regelmäßigkeit Anlass für kritische Betrachtungen bezüglich Sexismen und Rassismen. Irgendwie scheint beides dazu zu gehören, ist Rap doch eine ausgesprochen konkurrenzorientierte Angelegenheit, die ihren Ursprung im Rassen- und Klassenkampf hat. Was mich ebenfalls wundert: Wenn sich jemand Dreadlocks flechten lässt oder einen Sombrero aufsetzt, macht er oder sie sich der „kulturellen Aneignung“ schuldig – im deutschsprachigen Rap sind mir derartige Vorwürfe explizit noch nicht aufgefallen. Warum eigentlich? Vielleicht muss eine kulturelle Aneignung einfach nur aggressiv genug ausfallen und mittels ihrer Chuzpe jeden Widerspruch sofort im Keim ersticken. Kommen wir also zur „Kunst“ ...

Auf der „Haben“-Seite ist festzustellen, dass man sich im Hip-Hop eine ganze Menge Text draufschaffen und diesen flüssig sowie rhythmisch – unter Zuhilfenahme mindestens eines mit nach unten geknickter Hand winkenden Armes – darbieten muss. Wurde von den Alten zu meiner Schulzeit noch beklagt, dass wir Jungen keinen Goethe und Schiller mehr auswendig aufsagen können, befassen sich die Kids von heute mit derlei Bildungsballast gar nicht erst – sämtliche Lernkapazitäten werden direkt auf die wichtigen Dinge des Lebens fokussiert: Mädels, Mode, Money, Mind Games und Minderwertigkeitskomplexe, wobei anzuerkennen ist, dass die „Moral“ zumindest unter den gebildeteren jungen Rappern ein gewisses Ansehen genießt. Festzuhalten ist: Texte, Texte und nochmal Texte in einer Wortflut, dass einem Hören und Sehen vergehen kann. Auf diesem Gebiet also toppen viele Youngster vieles von dem, was es vorher gab. Auch wenn die Kids in ihren Texten zumeist bei sich bleiben und philosophische Höhenflüge eher selten sind: derartig lange Satzungetüme über die eigene Wenigkeit und die seiner Homies muss man auch erstmal zusammentexten und ohne zu stocken abspulen.

Auf der „Soll“-Seite sehe ich die Musik. Gemeint ist diese üblicherweise aus synthetischen und gesampelten Fragmenten zusammengestückelte Klangtapete, für die man keinerlei handwerklich-musikalische Vorerfahrung benötigt. Als Intro gibt es oft eine Hookline, die wie von sonstwoher geklaut klingt und meistens auch ist, und direkt im Anschluss daran nimmt die 90-BPM-Quantisierung ihren Lauf. Keine ungewöhnlichen Harmonien, keine interessanten Wendungen, keine Spannungsbögen, keine stilistische Bandbreite – alles muss genau so ablaufen, wie es das überlieferte Protokoll verlangt.

In der Pop- und Rockmusik dauerte es seinerzeit keine 20 Jahre, bis sich eine stilistische und handwerkliche Bandbreite entwickelt hatte, die – trotz einiger Todgeburten und Irrwege – sehr unterschiedliche Geschmäcker und Stimmungen zu wecken und bedienen wusste. Im Vergleich dazu pflegt der landläufige Hip-Hop heute eine Gleichtaktung und Monotonie, die – ähnlich der Schunkelmucke in stickigen Bierzelten – über keinerlei Entwicklungspotenzial zu verfügen scheint, sich selbst(gefällig) in ihrer Limitierheit genügt und in Ermangelung musikalischer Ambitionen fantasielos die eigenen Eier schaukelt.

Nun ja: 1970 wollten alle Gitarre spielen können und wie Jimi Hendrix klingen, nur wurde sehr bald klar: Die meisten würden es nicht schaffen – und das, nachdem sie sich redlich abgemüht und die „schmerzliche Erfahrung“ gemacht hatten, dass es harte und ausdauernde Arbeit erfordert, ein Instrument zu erlernen. Die, welche eine respektable Virtuosität erreichten, wurden nur wenige Jahre später von Drei-Akkord-Knüpplern auf die Plätze verwiesen – oder von Tapping-Monstern á la Van Halen vor neue, noch größere Herausforderungen gestellt. Zumindest gab es Vielfalt und Abwechslungsreichtum mit einer Luft nach oben, die man förmlich riechen konnte. Was dagegen bietet der Hip-Hop dieser Tage?

Sound und Rhythmus sind im Grunde genommen nicht mehr als ein tanzbares Vehikel für die „Lyrics“. Um Musikalisches geht es nicht – deshalb kann ich die bei einigen meiner Altersgenossen gelegentlich herauszuhörende Anerkennung für den Hip-Hop als musikalisches „Jugend forscht“-Projekt beziehungsweise „Kunst“ nicht so recht teilen. Es wird nicht geforscht, nicht experimentiert und schon gar keine Musik entwickelt. Fantasie und Grenzerweiterung in Sachen Klangkunst sind die Sache der Hip-Hop-Kids nicht – im Gegensatz zu vielen durchaus virtuos gedrechselten Texten, die den Qualitäten des Genres bisweilen eine ziemliche Schlagseite verleihen. Gemeinsames Musizieren und musikalische Progression sind nicht vorgesehen, Brücken zu anderen Ebenen der Tonkunst werden üblicherweise nicht gebaut. Eher versucht ein Rapper den Mainstream-Pop durch Imitation irgenwelcher Hits lächerlich zu machen – nicht wahrnehmend, dass er selbst nichts anderes als Mainstrem ist – dabei allerdings nicht so gut singen kann wie der Original-Interpret. Das Publikum nimmt auch dies dankbar hin.

Wenn man darüber hinaus die markenstrotzenden Klamotten und Accessoires der Akteure, Animateure, Mitmacher und Mitläufer berücksichtigt, mutet das Gesamtbild des Hip-Hop ausgesprochen konsumistisch und konformistisch an.

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