Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.27

Das Logbuch geht weiter: „Pattensen, Peine, Paris“

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Dieser Ausspruch, der ursprünglich ein typisches Bonmot hannoverscher Prägung war, wird Realität: In der Landeshauptstadt tauchen vermehrt Versatzstücke eines geplanten Fahrrad-Highways auf, die selbst holländische Pendants schmalbrüstig aussehen lassen – denn wie alle hannoverschen Fahrradzonenmarkierungen, die scheinbar willkürlich auf die Straßen gepinselt werden, sind sie knallrot. Da wird eine zweispurige Hauptverkehrsader quasi über Nacht einspurig, um auf vier Metern Breite einem rein fiktiven Fahrradaufkommen Platz zu bieten, dass nur wenige Meter davor und dahinter für gnadenlose Massenkarambolagen sorgen würde. Wird erwartet, dass bald halb Europa durch die Landeshauptstadt radeln wird?

Generell ist Hannover eine Stadt, deren inkonsequentes Verkehrskonzept die „extra3“-Kolumne über widersinnige Baumaßnahmen à la Schilda ganz alleine füllen könnte, wenn es diese Kolumne noch gäbe (… falls es sie noch gibt, bitte ich Herrn Ehring um Entschuldigung, ich schaue seine Sendung nicht mehr). Hannover hat einen grünen Bürgermeister, der einerseits die Innenstadt autofrei gestalten möchte, andererseits jedoch nicht in der Lage zu sein scheint, einen längs durch ebendiese Innenstadt führenden Fahrradweg ganztägig für Radfahrer nutzbar zu machen. Ebenso scheinen ihm die Hände gebunden, eine der aktuell naturrechtswidrigsten Rodungsaktionen Deutschlands zu verhindern, die dem Ausbau eines Stadtschnellweges auf Autobahndimensionen dient. Und das, obwohl eine ebenfalls neu zu bauende Unterführung den Verkehrsfluss in diesem Abschnitt ohnehin drosseln wird. Ergebnisse anachronistischer Planfeststellungsverfahren müssen umgesetzt werden und bestellte Bauunternehmen müssen bauen. Die (noch) nicht von Bauarbeitern genutzten Baucontainer werden zwischenzeitig vermutlich Polizeibeamte beherbergen, die besagte Rodung rechtsstaatlich zu schützen haben – auch, wenn über 8.000 Bürgerunterschriften dagegen vorliegen. Was die EU dazu sagt, beziehungsweise welche Gerichtsurteile sie dazu erwirkt, geschenkt – die nicht unerheblichen Strafgelder übernimmt ja ebenfalls der nichtsahnende Steuerzahler. Es wird höchste Zeit, dass Politiker durch rechtskräftige EU-Urteile als „Täter“ persönlich haftbar gemacht werden.

Hannover war nach dem Krieg mächtig stolz darauf, Deutschlands erste „autogerechte“ Stadt zu sein. Nach den Wünschen einer mächtigen Auto-Lobby sollte sich an der autogerechten Stadt am besten nichts ändern – nur den „Stolz“, den darf man heute nicht mehr unverhohlen zeigen. Aggressive Automobilpolitik muss zur Abwendung negativer PR bis zur Unkenntlichkeit getarnt werden – also tut man andererseits so, als begünstige man den Radverkehr. Beispielsweise gibt es an einer besonders schwer einsehbaren Unterführungssituation Stoppschilder, die einem für Autofahrer wie aus dem Nichts kreuzenden Radweg Vorfahrt einräumen – was für nicht wenige Gäste aus anderen Städten und Bundesländern ein Absurdum darstellt. Einen Zebrastreifen für Fußgänger gibt es hier übrigens nicht – die Stoppschilder sorgen bei ortsunkundigen Autofahrern für mehr Irritation als Information. Hier zeigt sich Hannover erstaunlich eigenwillig und kreativ – jedoch leider auch wenig radfahreraffin. Denn wenn man auf seinem Highspeed-Zweirad diesen Highway so nutzt, wie es gedacht ist, muss man an dieser Stelle sowieso stark abbremsen, weil man nie sicher sein kann, ob aus der nicht einsehbaren Unterführung nicht doch ein ortsfremder Autofahrer angeprescht bekommt, der das Stoppschild schlicht übersehen hat, weil man solch eine ungewöhnliche Verkehrsreglementierung in keinster Weise vermutet.

Highlight des hannoverschen Mega-Fahrradweges von Pattensen nach Paris – auf dem sich das Radleraufkommen im Gegensatz zum Erscheinungsbild richtiger Fahrradstädte übrigens lächerlich gering ausnimmt – ist ein Straßenabschnitt, der nur mit viel sprachlichem Aufwand so beschrieben werden kann, dass seine ganze Sinnlosigkeit offenbar wird: Bisher war an der betreffenden Straße zusätzlich zu einem Kiesfußweg ein asphaltiertes, nicht explizit als Radweg gekennzeichnetes Trottoire – drei Meter breit – und eine beidseitig befahrbare Autostraße – sechs Meter breit, die in „T“-Form auf eine quer dazu verlaufende Straße stießen. Nun ist aus diesem T-Stück mittels besagter roter Straßenbemalung – also über eine Breite von insgesamt neun Metern – ein Radweg geworden, der als Vorfahrtsstraße gekennzeichnet ist. Die rote Kennzeichnung ist so ausladend, dass sie direkt bis unter die in der einmündenden Straße einseitig abgestellten Fahrzeuge verläuft. Kurz: Egal, ob ich Fußgänger oder Autofahrer bin, ich befinde mich nicht nur beim Passieren oder Kreuzen des „T“-Stücks permanent auf Fahrrad-Terrain, sondern allein schon durch das Parken. In Anbetracht einer zunehmenden Militanz hannoverscher Radler – bevorzugt elektrifizierte Yuppies und drahtige Familienväter mit Helm, die viel zu schnell für den übrigen Verkehr fahren – sind Konflikte und im schlimmsten Fall Kollisionen vorprogrammiert. Ab sofort rollt man als Autofahrer – übrigens ebenfalls aus einer Unterführung herauskommend – ganz langsam an diese rote, einer Hubschrauberlandfläche nicht unähnliche Markierung heran, bis man den Fahrrad-Highway nach links und rechts ausreichend einsehen kann, stoppt und denkt: Es könnte ja ein E-Bike mit Tempo 50 angerast kommen. In mindestens neun von zehn Fällen kommt an dieser Stelle übrigens überhaupt kein Radfahrer. Vorfahrtsstraßen sind üblicherweise wesentlich belebter.

Soweit mein kleiner Exkurs zu „echt hannöverscher“ Verkehrsplanung ohne Sinn und Verstand – getoppt höchstens von einer mittlerweile auch in anderen Städten beliebten „roten Welle“, die mich als Autofahrer auch am Sonntagmorgen vor neun Uhr auf nur 300 Metern dreimal zum Halten zwingt, obwohl weit und breit kein weiterer Verkehrsteilnehmer zu sehen ist. Vergessen werden sollten andererseits auch die vielen Einbahnstraßen nicht, die von Radfahrern in beiden Richtungen befahren werden dürfen; was insbesondere S-Klassen-Chauffeure, die ihre Fahrerlaubnis auf schilder- und markierungslosen Schotterpisten gemacht zu haben scheinen, gerne zum Anlass nehmen, Radfahrer zu gefährden, zurechtzuweisen oder zu beleidigen.

Die hierin geschilderten sowie weitere Verkehrsanomalien dürften dazu beitragen, dass Hannover in einer Hinsicht sicher auch weiterhin vorne liegen wird: Als die Stadt Deutschlands, in der man – abgesehen möglicherweise von Berlin – im Straßenverkehr am häufigsten ansatzlos und in Duzform als „Arschloch“ beschimpft wird.

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