Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.34

Das Logbuch geht weiter: Keine Antwort auf die „Judenfrage“ – hätte man sie bloß niemals gestellt

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Meine aktuelle Lektüre: Kurt Tucholsky, 100 Jahre alte Texte. Nun fragt man sich, was das mit der Überschrift zu tun hat. Damals wurden Walther Rathenau und Rosa Luxemburg, aber auch Nichtjuden wie Karl Liebknecht und Kurt Eisner sowie viele andere politisch fortschrittliche Menschen ermordet. Antisemitismus war ebenso Normalität wie der Hass auf Linke, fortschrittliche Demokraten und Pazifisten. Gemordet haben überwiegend Monarchisten, Rechte und Militaristen, und die Richter haben die meisten Verbrechen dieser Couleur durchgewunken. Das Militär hatte eine noch immer exklusive gesellschaftliche Position und das Bürgertum war alles andere als aufgeklärt und hungrig nach Demokratie. Für Tucholsky war klar: Alles wird den Bach runtergehen, und die Chance wird verspielt werden. Dass ein neuer Krieg kommen würde, war für ihn nur eine Frage der Zeit. Zuwanderung gab es auch, jedoch eher aus Polen und Tschechien. Eine nennenswerte Zuwanderung islamischer Kulturen ist nicht überliefert, eine Nähe zur Türkei hatte es zwar auf politischer Ebene gegeben, für den Durchschnittbürger stand das Land jedoch eher für „1000 und eine Nacht“ oder Kaffeegenuss vom Bosporus (merke: nicht „am“ Bosporus).

Dann kam alles noch viel schlimmer, als Tucholsky es sich in seinen kühnsten Texten hatte von der Seele schreiben können – sodass er selbst das bittere Ende nicht mehr erleben wollte und sollte. Schon länger war klar, dass die Juden einen eigenen Staat brauchen und nach dem Krieg ging alles sehr schnell. Dachte Europa damals wirklich, ein altes Problem damit wegdelegieren oder gar lösen zu können? Nur 25 Jahr später dann die Attentate von München. Damals galten Palästinenser bei uns noch als Exoten und einige forsche Revoluzzer – unter ihnen ein gewisser Joschka Fischer – besuchten deren Land, um eine Kampfausbildung zu bekommen, welche Bundeswehr und BKA scheinbar nicht im Angebot hatten. Irgendwie muss sich damals festgesetzt haben: Palästina = Freiheitskampf = Links. Wie links Joschka wirklich war, das durften wir spätestens im Jugoslawienkrieg feststellen. Die zotteligen Arafat-Tücher haben wir ja alle gerne getragen – zumindest die von uns, die einen Parka hatten – und das Dope aus den umliegenden Ländereien war auch recht beliebt.

Gut 50 Jahre nach München haben wir nun ganz viele neue Mitbewohner, die aus ebenjenen muslimischen Ländern rund um Israel kommen. Dachte man, dass die mit der Ankunft in Deutschland zu Israel- und Judenfreunden werden? Einfach so? Neunmalkluge Politiker kamen auf die Idee, Zuwanderer auf eine „Leitkultur“ hin zu schulen und zu prüfen, doch Fragen zu den Juden dürfte es auf den Testbögen nicht gegeben haben – alleine das hätte noch vor wenigen Jahren als antisemitisch gegolten. Also lieber keine Themen anschneiden, die wir selbst ungerne behandeln. Wird schon alles gutgehen mit der Interkulturalität, dachten sich … ja, wer dachte sich das eigentlich? Wahrscheinlich niemand, gedacht wurde in der Flüchtlingspolitik herzlich wenig und viel zu spät.

Wie es sich nun entwickelt, ist schon bemerkenswert: Lange Zeit wurden von Zuwanderern begangene Ordnungswidrigkeiten und Straftaten gerne heruntergespielt und verschleiert – bloß nichts gegen neue Mitbürger (in spe) sagen. Nun kracht es wieder so richtig im Nahen Osten und alle sind aufgeschreckt. „Abschieben“ ist das Wort der Woche, es hat so gar nichts Anrüchiges mehr, und alle übertrumpfen sich mit tollen Vorschlägen, wie man der antisemitischen Zuwanderung entgegentreten sollte. Gerade so, als hätten es ureigene einheimische Interessen zuvor nicht gegeben, doch jetzt – ja JETZT – sind wir das unseren jüdischen Mitbürgern schuldig. Welch ein Wertewandel in so kurzer Zeit!

Schon Tucholsky stellte häufiger in seinen Gesellschaftsstudien fest, dass es in Deutschland kein Augenmaß nach klarem Sachverstand – oder generell „Verstand“ – und kein zwischen den Extremen gäbe. Sondern, dass etwas entweder so oder eben das genaue Gegenteil sei.

Wenn das so weitergeht, haben wir bald wieder innereuropäische Grenzen und wer weiß, was noch alles. Gar nicht davon zu reden, was die ganze Fehlentwicklung einer nicht erkennbaren Zuwanderungspolitik so kosten mag. Und wie gewohnt: Rein gar niemand zeigt sich für all das verantwortlich. Auch das war schon zu Tucholskys Zeiten so.

Ich bin heilfroh, an dieser Stelle nur Pantoffel-Beobachter zu sein – ein kleines Licht, dass nicht bei „hart aber fair“, Lanz oder Maischberger herumlungert und so tut, als habe es die Weisheit mit Löffeln gefressen. Womöglich würde ich dort die ungeschickte Frage stellen, wo denn die ganzen ausgewiesenen Palästinenser wohnen sollen, wenn es in ihrem Land keine Häuser mehr gibt.

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