Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.35

Das Logbuch geht weiter: Torwartfehler des Monats

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Ja, ich hatte das Thema schon mal, und ja, es ist wieder Fußball. Und das, obwohl Friedrich Schiller diese Woche für mich viel wichtiger ist, aber dazu fällt mir kein Blogeintrag ein – das muss man live erlebt haben!

Nicht live erleben muss ich die Torwartfehler des Monats, denn um nichts anderes als solche handelt es sich bei der Vorstellung der Tore, die als „Tor des Monats“ zur Wahl stehen. Arnd Zeigler hat es kürzlich auch schon angesprochen: In letzter Zeit führen auffallend viele Weitschüsse zu Toren. Der gute Arnd, dessen Sendung ihren Reiz daraus bezieht, dass er schräge Fußball-Ereignisse mit unverzogener Miene vorstellt und überaus lakonische Fragen dazu stellt, ohne den Anspruch auf eindeutige Antworten zu erheben, hat auch an dieser Stelle nichts abschließend Erhellendes dazu verlauten lassen – außer eben, dass in letzter Zeit auffallend viele Tore aus hoher Distanz erzielt werden. Ersatzweise sehe ich mich nun gefordert, es noch einmal in aller Klarheit auszusprechen: Die meisten Torhüter, die derartige Tore kassieren, zeigen an der Stelle ein miserables Stellungsspiel. Einem Maier oder einem Buffon sind solche Weitschüsse nicht ins Netz gegangen, wenn ich das richtig erinnere. Und warum nicht? Weil die ein gutes Stellungsspiel hatten. Und nicht mal vom legendären „Radi“ Radenkovic, der als Torwart gerne Ausflüge über das halbe Spielfeld unternahm, ist überliefert, dass er erfolglos hätte rückwärts laufen müssen.

Und dann schaue man sich den armen Ron-Robert Zieler an. Ich habe ihm noch gesagt, er soll nicht immer so weit entfernt vor seinem Tor rumturnen. Und was macht er? Er kassiert ein Tor aus der Rekorddistanz von 82 Metern von seinem ehemaligen Mitspieler Moritz Stoppelkamp – wobei er in diesem Fall kurz vor Spielschluss und beim Stande von 0:1 die eigene Offensive unterstützen wollte, was zumindest eine Teilentlastung ist. Doch Zieler hat auch zuvor schon häufiger zu weit vor dem Tor gestanden – alleine schon bei seinem (wenn ich mich recht erinnere) allerersten Gegentor als Nationaltorhüter gegen Dänemark. Es mag auch einen technologischen Grund für die teils spektakulären Flugbahnen des Balles geben: Die heutigen Spielgeräte haben bessere Flugeigenschaften als zu früheren Zeiten. Nichtsdestotrotz lautet die häufigste Entschuldigung, die Torhüter seien eben „Mitspielende“. Ich hätte lieber „Mitdenkende“ – denn auch andere Besonderheiten fallen auf. So rennen heute etliche Keeper schon aus ihrem Kasten, wenn der ballführende Angreifer noch weit außerhalb des Straftraums ist und dann irren sie umher, rennen hinterher und ein oder zwei Verteidiger, deren Job das eigentlich wäre, hetzten in Richtung des eigenen Tores und kommen dennoch fast immer zu spät. Ich fordere ganz direkt: Die sollten sich vor dem Spiel alle mal abstimmen, was eigentlich ihre Positionen sind. Denn andererseits beherrschen viele Verteidiger die Manndeckung nicht mehr und Torhüter bleiben ausgerechnet dann auf der Linie kleben, wenn eine Ecke oder Flanke direkt in ihren Fünfmeterraum segelt. Und aus drei Metern Distanz hilft bei einem Kopfball aus vollem Lauf auch der akkurateste Hampelmannsprung à la Manual Neuer – in Wahrheit übrigens von Robert Enke beziehungsweise im Handball erfunden – nichts mehr.

Andererseits möchte ich die Keeper auch mal in Schutz nehmen: Die vielen Elfmeter, die sie heute vermeintlich verursachen, sind für mich oftmals keine. Da legt sich ein Torwart unter höchstem Verletzungsrisiko vor einem Stürmer quer auf den Boden, und der stolpert natürlich über die Hände des Keepers – insbesondere, wenn er sich den Ball eh schon zu weit vorgelegt und keine Chance mehr hat, ihn zu erreichen und einzunetzen. Ja, welche Abwehrmöglichkeit hat ein Keeper denn überhaupt noch in solch einer Situation, als sich lang hinzulegen? Ein Stürmer, der noch die Chance des Abschlusses sieht, kann ein kleines Hüpferchen über die Hände des Keepers machen und fertig. Er will aber lieber den Elfmeter und fällt hin, die heuchlerische Memme – mit Sport hat das nichts zu tun.

Ja, Fußball wird heute anders gespielt. Verteidiger sind oft keine Verteidiger mehr, sondern „Dreier- oder Viererketten-“ beziehungsweise „Rauten“-Spieler, die zwar auf Abseits setzen und ganz ansehnlich im hinteren Mittelfeld hin und her passen können, aber in den seltensten Fällen noch bereit sind, gegnerische Stürmer abzuschrecken, zu entnerven und „völlig abzumelden“, wie man früher sagte. Doch ehe ich mich hier verzettele: Eigentlich wollte ich nur vermerken, dass wohl erstmalig in der Sportschaugeschichte vier der fünf zum „Tor des Monats“ vorgestellten Treffer Weitschüsse sind – einer gar im Frauenfußball erzielt – , während nur einer in guter alter Dribble-Manier erzielt wurde: Florian Wirtz vernascht drei, vier oder fünf Gegenspieler auf engstem Raum wenige Meter vor dem Tor und lässt dann auch dem Keeper sowie dem dahinter auf die Linie eilenden Verteidiger keine Chance. Grandios!

Für mich stellt sich das nun so dar, dass wir für den Monat Oktober 2023 ein „Tor des Jahres“ von Wirtz und vier „Torwartfehler des Monats“ haben. Nur eben kein „Tor des Monats“ und auch kein „Kacktor des Monats“, wie es der liebe Herr Zeigler in seinem amüsanten Repertoire feiert. Also lasst uns diese Rubrik in der Sportschau endlich abschaffen – es gibt sowieso schon zu viele Umweltbanausen, die mit bei Gewinnspielen ergatterten Wohnmobilen Europa verschandeln, um dann an irgendeiner Steilküste zu stehen und nicht aufs Mehr, sondern Fußball zu gucken.

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