Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 4.36

Das Logbuch geht weiter: Aus vielen Splittern wird kein Ganzes

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Ob Greta Thunberg wohl dem Herrn Netanjahu glaubt, wenn er seinem Bedauern darüber Ausdruck verleiht, bei der Schonung ziviler Menschenleben im Gazastreifen „nicht besonders erfolgreich“ zu sein? Gretas Gefolgschaft wiederum gefällt gar nicht, was sie selbst zum Israel-Palästina-Konflikt sagt – sofern das in den Medien überhaupt korrekt und vollständig wiedergegeben wird. Ärgerlicherweise liest und hört man ja immer mehr Kommentare als O-Töne, doch diese Woche hatten Gretas O-Töne einen Fan offensichtlich dermaßen in Rage gebracht, dass er die Bühne stürmte, ihr das Mikrofon aus der Hand riss und sich darüber echauffierte, dass sie eine Klima-Kundgebung für Politik missbrauche. Nun, das Klima musste doch von Anfang an für Politi-PR herhalten, schließlich wurde Greta auf der internationalen Bühne herumgereicht wie eine Wunderheilerin. Allerdings habe ich mich schon damals gefragt, was die Leute an einem jungen Mädchen finden, deren unbewegte Miene eher an Chucky, die Mörderpuppe, als an eine moderne Jean d'Arc erinnert – falls man sich von der überhaupt eine optische Vorstellung machen kann. Vielleicht sieht sie ja so aus wie Carola Rackete … doch dazu später mehr.

Auf jeden Fall passen Leidenschaft und Empathie zu Frau Thunberg so gar nicht – wieso also sollte sie sich in Bezug auf den Nahost-Konflikt jetzt „menschelnd“ geben? Ich schätze, dem guten Mann hat weniger das Politische an sich missfallen, als vielmehr ihre Position. Dabei könnte man ihre Worte vielleicht auch so interpretieren, dass Greta an hochindustrialisierten Staaten nicht mag, dass diese per se umweltschädlich agieren und das Klima stärker beeinflussen, als einfacher ausgestattete Wirtschaftsräume, die bevorzugt von Handarbeit und niedertechnologischer Landwirtschaft leben. Insofern muss sie natürlich für „die Kleinen“ sein – Klima geht vor Mensch und Maschine, da bleibt sie ihrer Linie treu.

Ebenfalls für das Klima engagieren tut sich oben erwähnter Shootingstar, der auf den passenden Namen „Rackete“ hört. Carola ist ihr Vorname, von Beruf ist sie Kapitänin und ihre Berufung ist die Rettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer. Zumindest bis jetzt – denn nun soll sie als Parteilose die dahinsiechende Linke retten und für diese – ich sage es nur ungerne – „politische Resterampe“ ins EU-Parlament einziehen. Dort will sie für frischen Wind sorgen, außerdem die DDR-Vergangenheit aufarbeiten und idealerweise den lästigen Namen abschaffen. Da bin ich in jedem Fall dafür, denn die klassisch eindimensionale Unterteilung in „links“ und „rechts“ funktioniert schon lange nicht mehr. Dennoch hält man daran fest – warum eigentlich? Aus alter Gewohnheit, schätze ich, denn eine wirkliche Erneuerung unserer Demokratie scheint sehr anstrengend, wenn nicht gar illusorisch zu sein.

Anstrengend könnte dieser Versuch auch für eine hannoversche Initiative werden, die sich die Gründung eines „Bürgerrates“ zum Ziel gesetzt hat. Darin soll es ungefähr 20 Sitze geben, deren Inhaber streng paritätisch nach einem ausgeklügelten Kriterienkatalog ausgesucht werden – relevant sind darin unter anderem drei Geschlechter und vier Einkommensgruppen. Passenderweise werden die Kandidaten in einem Losverfahren generiert: also im Grunde genommen genauso, wie das Leben selbst ihnen die Kriterien, nach denen sie nun als Bürgervertreter ausgesucht werden sollen, zugelost hat. Und wer von den Ausgelosten im ersten Anlauf nicht mitmachen will, der muss eben überzeugt werden – in einem, zwei oder drei Gesprächen. Irgendwann wird er-sie-es schon weich und ist, schwupps, Bürgerratsmitglied. Dieser Bürgerrat soll dann den Profipolitikern bei ihren Entscheidungen auf die Finger gucken und unterstützend mit Vorschlägen eingreifen. Betont wird, dass es sich hierbei nicht um eine Opposition zu den jeweiligen Machthabern im Stadtrat oder in der Region handeln soll, sondern um Leute, die ehrenamtlich mitreden und darauf achten sollen, dass die Demokratie gewahrt bleibt. Eigentlich eine spannende Idee, doch bei Lichte betrachtet auch recht peinlich – bestätigt es doch genau das, was Kurt Tucholsky bereits vor über 100 Jahren beschrieb: Egal, ob Republik, Demokratie oder Kaiserreich – der Deutsche, der bleibt immer gleich. Ein Untertan.

Wenn also „Bürger“ in einem neuen, nach ihnen benannten Rat sitzen, wer sitzt dann in diesem riesigen eklektizistischen Gebäude mit der Kuppel oben drauf? Was soll das sein, dieser „Stadtrat“? Wenn man eine Änderung der politischen Machtverhältnisse schon für so unerreichbar hält, dass man sich unter gnädiger Duldung der Großkopferten mit einem Katzentisch zufriedengibt, wie sehr glaubt man dann eigentlich noch an die Demokratie? Besonders spannend: Es wird gemunkelt, dass einige Mitwirkende dieser durchaus sehr ehrenwerten und sympathischen Gründerrunde bisher an die SPD und die Grünen geglaubt haben. „Geister, die ich rief“… wenn ich schon nicht daran glaube, sie loswerden zu können, dann will ich wenigstens daran glauben, dass ich sie etwas beeinflussen kann. Dass solch ein Bürgerrat sehr schnell zu einem pluralistisch gefärbten Feigenblatt unserer Scheindemokratie werden kann – Restrisiko.

Damit der Rubel auch ohne Demokratie weiter rollen kann, geht es im Einzelhandel kräftig voran – aus dem „Black Friday“, einem Hardselling-Tag, dessen Name mich schon immer gestört hat, ist eine „Black Week“ geworden. Soviel verbale Schwarzmalerei für soviel dummdödeligen Kommerz lässt in mir den Wunsch keimen, dass es wirklich mal so richtig rabenschwarz für unsere sinnentleerte Konsumwelt werden sollte. Stecker ziehen, Licht aus und im Dunkeln neu orientieren ... doch STOPP: „Totensonntag“ ist ja erst kommendes Wochenende.

Den absoluten Vogel allerdings schießt diese Meldung ab: Es soll jetzt eine Spritze zum Abnehmen geben! Das ist doch klasse – seit Corona haben Spritzen anscheinend Hochkonjunktur –, so lasst uns doch alle Probleme einfach wegspritzen. Anfangen sollten wir dabei mit Pieksern gegen schlechte Gesellschaft, schlechte Angewohnheiten, schlechtes Essen und schlechten Geschmack ganz allgemein.

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